Der Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, Rico Gebhardt, hat heute an der turnusmäßigen Fraktionsvorsitzenden-Konferenz der Linken in Potsdam teilgenommen. Auf der Tagesordnung stand auch das geplante EU-USA-Freihandelsabkommen TTIP.
Dazu wurde folgende Erklärung verabschiedet: Die Fraktionen der Linken im Deutschen Bundestag und in den Landesparlamenten sowie die Delegation der Linken im Europäischen Parlament fordern den Stopp der gegenwärtigen Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Zugleich wollen wir verhindern, dass das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA), das die Blaupause für das TTIP ist, ratifiziert wird.
Die Verhandlungen zwischen der EU und den USA zur Transatlantischen Freihandels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) sind entgegen den Forderungen des Europäischen Parlaments nach maximaler Transparenz von beiden Verhandlungsparteien als geheim eingestuft worden, um – wie es heißt – “den Verhandlungserfolg nicht zu gefährden”. Die praktischen Folgen bisheriger Freihandelsabkommen veranlassen zivilgesellschaftliche und andere Akteure in aller Welt, darunter auch die deutsche Linke, zu höchster Aufmerksamkeit und größter Skepsis. Die Gefahr ist groß, dass das TTIP weitreichende und irreversible Folgen für die EU, ihre Mitgliedstaaten, die Bundesländer (Regionen) und die Kommunen haben wird: nicht nur für das Wettbewerbs- und Unternehmensrecht in der EU, sondern vor allem auch für Bereiche wie das Sozial- und Arbeitsrecht, den Verbraucherschutz oder den Schutz von Natur und Umwelt. Die gegenseitige Anerkennung bestehender Regeln und die Angleichung künftiger Gesetzgebung ohne klare Festlegung, wie die unterschiedlichen, oftmals nicht kompatiblen Regelsetzungen der EU und der USA unter Einhaltung demokratischer Festlegungs- und Kontrollmöglichkeiten denn umgesetzt werden sollen, birgt erhebliche Risiken. Sie stellt eine Gefahr für das in der EU bisher erreichte Schutzniveau in vielen für die Bürgerinnen und Bürgern bedeutsamen Bereichen dar.
Wir lehnen ein Abkommen ab, das die Schaffung eines übergeordneten ständigen Rates für die Regulatorische Kooperation (Regulatory Cooperation Council) vorsieht. In Europa gilt das Prinzip, dass derjenige, der ein Produkt zulassen will, nachweisen muss, dass es für Verbraucherinnen und Verbraucher unschädlich ist. In den USA ist es anders herum – da müssen Verbraucherinnen und Verbraucher nachweisen, dass ein Produkt schädlich ist. Die EU-Kommission will das bisher in der EU gültige Prinzip mit dem TTIP aufgeben. Die Politik würde sich damit in zentralen Politikfeldern der Normen- und Standardsetzung selbst entmachten und die Verbraucherinnen und Verbraucher erheblichen Risiken aussetzen.
Wir lehnen ein Abkommen ab, das die Entscheidungs-, Organisations- und Selbstverwaltungshoheit der Parlamente der EU-Mitgliedstaaten, von Ländern (Regionen) und Kommunen, wie sie durch das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union gesichert ist, direkt oder indirekt einschränkt. Die Parlamente und Selbstverwaltungskörperschaften müssen ihre Rechte im Rahmen der Rechtsordnung des jeweiligen Mitgliedstaates auch in Zukunft wahrnehmen können. Wir unterstützen die Bemühungen der kommunalen Spitzenverbände, darunter des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg, zum Schutz der kommunalen Daseinsvorsorge und weiterer öffentlicher Dienstleistungen und zur Sicherung ihrer Rechte im öffentlichen Beschaffungswesen.
Wir lehnen ein Abkommen ab, in dem private Investoren einen Mitgliedstaat bei Gewinneinbußen auf Schadenersatz verklagen können, und zwar nicht vor ordentlichen Gerichten, sondern vor privaten Schiedsgerichten; die Verhandlungen vor diesem Gerichten sollen nicht öffentlich erfolgen und die Beschlüsse nicht anfechtbar sein. Die Rechtsprechung wird somit privatisiert, Steuerzahlerinnen und Steuerzahler werden für die Gewinne der Investoren in Haftung genommen.
Wir lehnen ein Abkommen ab, das die in der EU geltenden Standards im Bereich des Sozial- und Arbeitsrechts, des Verbraucher-, Natur- und Umweltschutzes, des Schutzes persönlicher Daten sowie des Wettbewerbs- und Unternehmensrechts zur Disposition stellt und ggf. preisgibt. Wir bestehen auf der Einhaltung der “acquis communautaire” (Gemeinsamer Besitzstand) der EU, z. B. für die Produktsicherheit, den Umweltschutz, den Gesundheits- und Tierschutz als auch von internationalen Verpflichtungen, wie zum Beispiel der Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).
Wir lehnen ein Abkommen ab, das den besonderen Charakter von Gütern und Leistungen im Kulturbereich missachtet. Die Bereiche Kultur und audiovisuelle Medien müssen aus dem Abkommen ausgeschlossen bleiben. Kultur darf nicht zu einer reinen Handelsware werden, die allein den Gesetzen des Marktes unterliegt. Das betrifft auch alle grundsicherungspflichtigen Leistungen im Gesundheitswesen sowie im Bildungsbereich.
Wir lehnen ein Abkommen ab, bei dem nicht in allen Verhandlungsabschnitten die vollständige und rückhaltlose Information der Öffentlichkeit hergestellt und gesichert ist. Die gegenwärtig praktizierte Beschränkung der Information von Abgeordneten auf die dienstliche Verwendung nehmen wir nicht hin. Die EU muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass jede Bürgerin und jeder Bürger sich ihre/seine Meinung über das Abkommen eigenständig bilden kann. Die bei der EU-Kommission eingerichtete Beratergruppe muss verbindlich vor jeder Verhandlungsrunde in die Erarbeitung der Verhandlungspapiere eingebunden werden. Die Mitglieder müssen Rückkoppelungsmöglichkeiten in ihre eigenen Strukturen haben und berechtigt sein, Transparenz zu den erörterten Fragestellungen herstellen zu können.
Die Fraktionen der Linken im Deutschen Bundestag und in den Landesparlamenten sowie die Delegation der Linken im Europäischen Parlament werden gemeinsam alle ihnen parlamentarisch und außerparlamentarisch zur Verfügung stehenden Rechte und Möglichkeiten nutzen, um ihre politischen Forderungen zu den Verhandlungen über das TTIP durchzusetzen. Wir werden uns mit den Kritikerinnen und Kritikern in Deutschland, in den Nachbarstaaten der Bundesrepublik, in der EU und den USA vernetzen, austauschen und gemeinsam politisch agieren.
Zum Hintergrund: Seit 2013 verhandeln die EU und die USA offiziell über ein Transatlantisches Freihandels- und Investitionsabkommen, mit dem der umfangreichste Handelsraum der Welt geschaffen werden soll. Weltweit nimmt der Protest gegen das geplante Abkommen zu. Vor dem Hintergrund der beabsichtigten Neuregelung weitreichender regulatorischer Standards wächst die Besorgnis, dass die volkswirtschaftliche Entwicklung in vielen anderen Ländern und Regionen sowie der Handelsaustausch einseitig im Interesse der USA und EU beeinflusst werden soll. Inhaltlich stehen zwei Punkte besonders im besonderen Fokus der Kritik. Zum einen sollen Investitionsschutzklauseln in dieses Abkommen hineinverhandelt werden, in deren Folge nationale Regierungen von Konzernen vor “unabhängigen” Schiedsstellen auf Entschädigungszahlungen verklagt werden können, wenn sie ihre Renditeerwartungen nicht erfüllt sehen. In diesem Rahmen könnten daher auch demokratisch legitimierte, gesetzliche Regelungen (wie z. B. höhere arbeitsrechtliche oder Produkt-Standards) wie andere ?Handelshemmnisse? Gegenstand einer Klage werden. Der im rechtsstaatlichen System zusätzlich eingebaute Schutz im Bereich der Rechtsprechung durch Revisionsmöglichkeiten vor anderen unabhängigen, höheren Instanzen stünde den beklagten Staaten zudem nicht zur Verfügung. In der Kritik steht zudem auch, dass die Verhandlungen für die Öffentlichkeit völlig intransparent gestaltet werden. Zugang wird zum einen nur zu bereits fertigen Vertragstexten gewährt und zum anderen nur einem begrenzten Kreis von Personen. 600 Wirtschaftslobbyisten sollen hinter den Kulissen Einfluss auf die Vertragsverhandlungen nehmen – Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und sonstigen zivilgesellschaftlichen Akteuren sind hingegen ausgeschlossen.
Das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement – CETA) wurde auch intransparent und unter weitgehender Ausklammerung der Öffentlichkeit ausgehandelt und ist trotz noch nicht in allen Bereichen fertig vereinbarter Positionen bereits von der EU-Kommission und Kanada in einer politischen Erklärung als Übereinkunft deklariert worden. Die Kommission rechnet mit der Unterzeichnung durch die Mitgliedsländer bereits Mitte 2014. CETA soll nicht nur als Blaupause für das TTIP dienen; kritisiert wird vor allem, dass das Abkommen Bestimmungen zur Bekämpfung von Produktfälschungen, die Bestandteil des im Juli 2012 im EU-Parlament abgelehnten ACTA-Abkommens sind, teilweise wörtlich übernimmt. Falls es ratifiziert wird, gibt es allen in Kanada ansässigen Weltkonzernen das Recht, ihre Produkte in die EU zu exportieren, wie umgekehrt die EU weitgehenden Marktzugang sowohl auf Bundes- wie auf der Provinzebene in Kanada erhält.
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