Die Handballer vom THW Kiel gehören zweifelsfrei zu den besten Mannschaften in Europa und lassen sich nur an einem absoluten Sahnetag in die Knie zwingen. Zudem geben die Zebras in der heimischen Sparkassen-Arena quasi nie einen Punkt ab. Nur ein einziges Mal in den letzten anderthalb Jahren hatten die Kieler zu Hause Punkte gelassen. Dennoch prognostizierten viele Experten gegen den Tabellenachten aus Leipzig ein spannendes Match, und auch die Kieler sprachen im Vorfeld der Begegnung von einer ganz schwierigen Aufgabe. Das abschließende 27:26 aus Kieler Sicht sollte diese Vorhersagen vollends bestätigen.
Denn schon der Spielstart zeigte, auf was für einen Handballnachmittag sich die Fans aus Kiel und Leipzig einstellen konnten. Die ersten fünf Minuten gehörten zunächst den Gästen. Semper und Wiesmach brachten den SC DHfK mit 0:2 in Führung und auch die Abwehr der Leipziger war gleich zu Beginn hellwach. Der THW Kiel benötigte etwas Anlaufzeit, um in die Partie zu finden, ab der fünften Spielminute waren die Männer von Coach Filip Jicha jedoch auf Betriebstemperatur und gingen nach sieben Minuten mit 3:2 erstmals in Front.
Leipzig besaß aber einen gut aufgelegten Joel Birlehm zwischen den Pfosten, der sich in den ersten zehn Minuten des Spiels mit drei Paraden auszeichnete. Ein besonderes Spiel in einer – wie immer – ausverkauften Ostseehalle war die Begegnung außerdem für Raul Santos. Der österreichische Nationalspieler durfte bei seinem ehemaligen Arbeitgeber von Beginn ran und somit seine ersten Bundesligaminuten im Kalenderjahr 2019 absolvieren. Der Linksaußen war prompt zur Stelle und überwand Niklas Landin zum 3:4. Nach Parade Nummer vier und fünf von Joel Birlehm erhöhte Maciej Gebala auf 3:5 und Leipzig hatte bei Ballbesitz sogar die Möglichkeit, auf drei Tore wegzuziehen.
Der Rekordmeister nutzte jedoch eine Zeitstrafe gegen den Abwehrspezialisten Bastian Roscheck sowie die ein oder andere Abschlussschwäche der Leipziger, um die Begegnung wieder zu drehen. Nach 20 Minuten führten die Gastgeber vor 10285 Zuschauern mit 7:6 und sollten diesen Vorsprung bis Minute 25 auf 11:7 vergrößern. Allerdings hatten die DHfK-Männer kein Interesse daran, sich abschütteln zu lassen, und legten einen bemerkenswerten Endspurt zur ersten Halbzeit hin. So ging es mit einem denkbar knappen 12:11 für Kiel in die Pause.
Nach Wiederanpfiff knüpften die körperkulturellen Handballer sofort an diese Phase an und schlossen ihre nächsten vier Angriffe erfolgreich ab. Insbesondere Franz Semper drehte auf und netzte binnen weniger Minuten dreimal in Folge zu den Zwischenständen von 13:13, 14:14 und 15:15.
Die enorme Angriffseffektivität der Leipziger konnte erst durch eine doppelte Unterzahlsituation gestoppt werden, als Philipp Weber und Patrick Wiesmach eine Zweiminutenstrafe absitzen mussten.
Trotzdem blieb der SC DHfK gefährlich: Der ehemaliger Kieler Raul Santos erzielte zuerst das 16:16 und anschließend mit einem sehenswerten Kempa-Trick den 17:17-Ausgleich. Auch eine weitere Unterzahlsituation überstanden die Grün-Weißen schadlos, sodass es nach 42 Spielminuten weiterhin pari stand.
Es folgte jedoch eine Phase, in der die Leipziger das Glück nicht auf ihrer Seite hatten. So gingen zwei Bodenkämpfe um den Ball nach Abprallern verloren, schlichen sich technische Fehler ein, musste die nächste Zeitstrafe und ein Siebenmeter hingenommen werden. Anstelle einer möglichen Führung lagen die Gäste mit 21:18 zurück – zum ersten Mal in der Partie deuteten alle Anzeichen auf einen Heimsieg der Zebras hin.
Sinnbildlich für diesen Spielabschnitt: Nach einer überragenden Parade von Joel Birlehm versuchten drei Leipziger, den „Rebound“ aus der Luft zu pflücken. THW-Kreisläufer Hendrik Pekeler packte noch entschlossener zu, schnappte sich das Spielgerät und vollendete mit einem Durchbruch zum 24:21.
Kurz zuvor hatte DHfK-Trainer André Haber seinen Jungs in einer Auszeit ein paar taktische Kniffe auf den Weg geben. Zudem wechselte er den erfahrenen Torhüter Jens Vortmann für die Endphase der Begegnung ein. Das mit Erfolg! Denn „Vorti“ vernagelte den Leipziger Kasten förmlich und ermöglichte den Anschlusstreffer durch Franz Semper zum 24:23 sowie das umjubelte Ausgleichstor zum 24:24, ebenfalls durch den neunfachen Torschützen Semper. Die 55. Spielminute war bereits angebrochen, als der große Außenseiter aus Leipzig tatsächlich an einer riesigen Sensation schnupperte.
Die Überraschung blieb allerdings aus. Zwar blieb der SC DHfK durch das fünfte Tor von Raul Santos zum 27:26 weiter in Schlagdistanz, doch dann scheiterte Maciej Gabala aus vielversprechende Kreisposition zum Ausgleich an Keeper Niklas Landin. Der Abpraller landete (mal wieder) in den Händen der Kieler, die den Sack trotzdem noch nicht zumachen konnten. Denn mit einer starken Deckungsleistung erkämpften sich die Körperkulturellen den letzten Angriff und damit die Chance, erstmals einen Punkt aus der riesigen Sparkassen-Arena zu entwenden.
Mit dem siebten Feldspieler auf der Platte gelang es den Leipzigern jedoch nicht, in den letzten 20 Sekunden der Auseinandersetzung einen finalen Wurf aufs Kieler Tor zu feuern. So rettete sich der Rekordmeister mit letzter Kraft zum 27:26-Heimieg gegen eine absolut auf Augenhöhe agierende Leipziger Mannschaft.
André Haber (Trainer SC DHfK Leipzig):
„Beide Seiten haben vorher ein Kampfspiel heraufbeschworen, und die Kieler Spieler haben sich sehr respektvoll über uns geäußert. Wir haben daran geglaubt, hier punkten zu können. Der Zeitpunkt war angesichts des Programms, das die Kieler abzuspulen haben, günstig für einen außergewöhnlichen Moment. Wir haben dann das Spiel offen gestaltet und selbst beim 18:21 an uns geglaubt. Wir hatten die Einstellung, wir hatten Einzelakteure, die uns toll geholfen haben, und wir haben als Mannschaft toll gekämpft.
Es ist daher bitter und einmal mehr tragisch, dass man aus vier Spielen gegen Topteams nur zwei Punkte mitnimmt, aber eine ausgeglichene Tordifferenz aufweist. Und es war nahezu dusselig, dass wir es nicht geschafft haben, bei 21 Sekunden Restzeit den Ball wenigstens einmal aufs Tor zu bringen. Ich bin enttäuscht und traurig über den Ausgang, aber für die Minuten davor muss ich meiner Mannschaft viele Komplimente aussprechen.“
Filip Jicha (Trainer THW Kiel):
„Ich bin sehr froh über den Sieg. Wie vor dem Spiel angekündigt, ist Leipzig hier mit ganz breiter Brust aufgelaufen. Und wir wussten auch, dass sie gerade gegen Top-Gegner auch Top-Leistungen gebracht haben. Wir waren also gewarnt. Heute ging es nur über Kampf und Leidenschaft, wenn wir spielerische Lichtblicke hatten, waren die Leipziger Abwehr oder die Torhüter da. Solche Spiele wie heute gegen Leipzig sind die schwersten der Saison, und wir haben dieses mit großem Willen nach Hause gebracht. Darüber bin ich sehr stolz. Meine Spieler sollen jetzt heute den Augenblick genießen und sich im Kopf für solch einen Kampf gegen solch einen Gegner belohnen. Ab morgen widmen wir uns dann der nächsten schweren Aufgabe.“
THW Kiel gegen SC DHfK Leipzig: 27:26 (12:11)
THW Kiel: N. Landin, Quenstedt; Ehrig, Reinkind (1), M. Landin (3), Weinhold, Wiencek (3), Ekberg (7/4), Rahmel (1), Dahmke, Zarabec (2), Horak, Bilyk (7), Pekeler (2), Nilsson (1)
SC DHfK Leipzig: Vortmann, Birlehm; Semper (9), Wiesmach (4), Witzke (2), Krzikalla (1/1), Binder, Janke, Müller, Roscheck, Weber (3), Mamic, Remke, Gebala (1), Milosevic (1), Santos (5)
Zeitstrafen: Kiel 6 Min, Leipzig 12 Min
Siebenmeter: Kiel 4/4, Leipzig: 1/2
Zuschauer: 10285 Handballfans in der Sparkassen-Arena Kiel (ausverkauft)
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