Am 19. Mai 2021 schrieb uns Thomas R.: „Guten Morgen, ich hätte da mal eine Frage, warum schreibt Ihr immer noch Ost und West? Es gibt keinen Osten mehr (Alternde Erwerbsbevölkerung in Ost wie West), denn ich wohne in Mitteldeutschland. Also warum schreibt Ihr es immer noch so?“ Eine durchaus interessante Frage.

Wir gestatten uns seit nun knapp 17 Jahren gern und regelmäßig auf Leserpost per Mail auch zu antworten. Und spannende Schriftwechsel anschließend auch zu veröffentlichen. Hier ist die Antwort auf die Frage von Thomas R.. Auf eine Reaktion warten wir noch.

Lieber Herr R., vielen Dank für Ihre interessante Frage.

Leider bildet sich bei nahezu jedem soziodemografischen Faktor, den man so kennt (Durchschnittsalter, Einkommen, Renten- und Lebenserwartung, Löhne, Wirtschaftsstruktur, Eigentumsrate beim Wohnen, Erbschaften und Vermögen, Migrationsanteil und vielem mehr) bis heute häufig das Gebiet der 1989 untergegangenen DDR erneut auf den Karten Deutschlands ab.Als ein Gebiet mit den größten Gemeinsamkeiten im Unterschied zur „alten“ BRD. Wie auch teilweise auf dieser Karte des Artikels „Alternde Erwerbsbevölkerung in Ost wie West: Das demografische Drama in zwei neuen Karten“.

Um eben diese Unterschiede auch geografisch und sinnhaft fassbar zu beschreiben, verwenden wir „der Osten“, „Ostdeutschland“ oder zählen die darin umfassten Bundesländer auf.

Deshalb halten wir unter anderem die Begrifflichkeit noch immer für präziser, als „Mitteldeutschland“. Denn mit Mitteldeutschland im engeren Sinne wären ja nur Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gemeint – könnte man meinen. Denn auch diese Definition dürfte nicht stimmig sein.

Deutschland in den Grenzen vom 31.12.1937. Wikipedia Gemeinfrei, Autor: Ziegelbrenner
Deutschland in den Grenzen vom 31.12.1937. Wikipedia Gemeinfrei, Autor: Ziegelbrenner

Ein „Mitteldeutschland“ als Verwaltungseinheit oder gar politisches Konstrukt hat es nie gegeben. Auch nach 1989 entschied man sich dafür, die heutigen Bundesländer zu definieren: vielleicht auch, weil „Mitteldeutschland“ im Sprachgebrauch der Weimarer Republik bis in die NS-Zeit (die Grenzen von 1937 oder 1918) voraussetzte, dass es weiter östlich der Oder/Neiße-Grenze weitere deutsche oder von Deutschland beanspruchte Gebiete gab.

Damit lagen damals die heutigen Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen annähernd in der Mitte Deutschlands, oder eben in Mitteldeutschland.

Womit die Frage im Raum steht, was denn heute wirklich Mitteldeutschland wäre?

Neuere Bestrebungen (Petitionen usw.) und Ideen einiger Weniger, nach 1990 die drei genannten Bundesländer zu einem, namens Mitteldeutschland zu verschmelzen, sind gescheitert. Rein geografisch betrachtet, wäre es auch eher merkwürdig, Sachsen beispielsweise als Teil „Mitteldeutschlands“ zu bezeichnen.

Denn die geografische Mitte Deutschlands in den heutigen Grenzen liegt schließlich im äußersten Norden Westthüringens nahe dem Dreieckspunkt mit Hessen und Niedersachsen.

So betrachtet, wären also in alle vier Himmelsrichtungen eher Teile dieser drei Bundesländer tatsächlich das heutige Mitteldeutschland, vielleicht noch gemeinsam mit Teilen Sachsen-Anhalts.

Wenn Sie also schreiben, sie lebten in „Mitteldeutschland“, gibt es keine klare Definition, welcher Ort genau gemeint ist. Eine Verwaltungseinheit oder ein Bundesland ist es auch nicht und wenn es um Sachsen geht, ist es letztlich sogar geografischer Unsinn. Oder Sie beziehen sich – was ich nicht hoffe – revanchistisch auf das Deutschland in den Grenzen von 1937.

Naheliegend als Sprachgebrauch könnten Sie also eigentlich heute nur umgangssprachlich behaupten, sie lebten in Mitteldeutschland, wenn Sie wenigstens in Thüringen (oder eben Hessen, Niedersachsen oder Sachsen-Anhalt) zu Hause sind.

Ich hoffe, ich konnte erklären, warum wir Begrifflichkeiten wie „Osten“ oder „Ostdeutschland“ benutzen. Es klingt neben den oben genannten Faktoren der Zeit um 1989 auch geschichtlich irgendwie freundlicher für die Nachbarn Sachsens.

Ihr Michael Freitag
für die Redaktion der Leipziger Zeitung

Auslöser des Schriftwechsels: „Alternde Erwerbsbevölkerung in Ost wie West: Das demografische Drama in zwei neuen Karten“ 

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Keine Kommentare bisher

Ostdeutschland (ohne Bayern)- so als Vorschlag zur Güte?
(Ohne Berlin – geht ja auch.)

Über Mitteldeutschland könnte man vielleicht sprechen, wenn sich Düsseldorf dem Mitteldeutschen Rundfunk anschließt.
So wegen Oben und Unten, und dazwischen die Mitte.
Geographisch eher bei Flüssen: Oberlauf, Mittelfluss, Unterlauf(Nieder) – mehr im Sinne des Geländes vom Gebirge zum Meer gedacht.

Aber eigentlich geht es ja wohl um die zu überwindenden(?) Bezeichnungen “Ossi” und “Wessi”.
Als Auf- oder Abwertung der Herkunft.
Vor 1989 gab es in der damaligen BRD Nord- und Süddeutschland.
Und gerüchteweise mochten die sich auch nicht so recht.
Aber dass die sich als “Nordi” und “Südi” bezeichnet hätten. Nagut, Aldi ^^

Das mit den Unternehmensberatern, die in jedem Falle zu Kosten-Reduzierung drängen,
also Personalabbau (sozialverträglich: erst die Jungen, dann die Alten in Vor-Vor-Ruhestand ohne Ersatz und ohne Nachwuchsheranbildung) und Filialschließung (da wo der Protest die Zentrale nicht trifft) –
ist da schon komplizierter.

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