Im Folgenden möchte ich mich damit auseinandersetzen, wie die STI-Prävention - also u.a. die Beratung zu sexuell übertragbaren Infektionen und die Testung auf diese, um sie bestenfalls frühzeitig zu entdecken und Infektionsketten zu durchbrechen - während der derzeitigen Corona-Situation in Leipzig (nicht) funktioniert. Ich nähere mich dieser Frage aus einer queeren, schwulen Perspektive.
Seit Monaten steht unser Leben unter dem Einfluss der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Maßnahmen, um eine weitere Ausbreitung des Sars-CoV-2 zu verhindern respektive zu entschleunigen.
Warum die queere community besonders stark vom social distancing betroffen ist, sammelte Jeff Mannes bereits im Juni im queeren Szenemagazin „Siegessäule“.[1] Zum einen, weil viele Orte der queeren community von Schließungen im Rahmen der Coronamaßnahmen betroffen sind – Bars, Clubs, Saunen, Dark Rooms, queere Vereinsräume, Ball Rooms etc. Diese bieten neben Unterhaltungsaspekten vor allem auch safe spaces und Rückzugsräume vor Cis-Heteronormativität, queer-feindlicher Diskriminierung und Gewalt sowie Möglichkeiten der freien Entfaltung und des Empowerments.
Zum anderen sind die sozialen Beziehungen von Queers, welche sich nicht selten jenseits bürgerlicher Kleinfamilie oder monogamer Pärchenormativität konstituieren und deshalb meist nicht in nur „zwei Haushalten“ stattfinden, von den Maßnahmen betroffen. Mannes zählt Freund/-innenschaften, Wahlfamilien und Fuckbuddys auf.
Zur Frage, ob man während der Corona-Pandemie noch guten Gewissens Sexdates haben kann und warum es zwar aus epidemiologischer Perspektive gut ist, sich weniger zu treffen, es aus queerpolitischer Sichtweise aber problematisch ist, diejenigen moralisch zu verurteilen, die sich weiterhin zum Sex treffen, hat Dr. Karsten Schubert in der „Siegessäule“ ein Interview gegeben.[2] Wie Sex überhaupt in Zeiten von Corona gedacht werden kann, erörtern hingegen Max Schnepf und Ursula Probst von der FU Berlin.[3]
Die Betrachtung von Intimität, Sex, Moral, Solidarität, privilegierten Formen zwischenmenschlicher Beziehungen in Zeiten einer pandemischen Krise und inwiefern das Fehlen von Körperkontakt an sich krank machen kann, erfordert eine notwendige Auseinandersetzung. Darum soll es mir hierbei aber nicht gehen. Denn feststeht: Es wird weiter gevögelt. Auch während Corona. Ob moralisch verurteilt oder nicht. Ob schwul, lesbisch, bi/pan oder hetero.
Und wo gevögelt wird, besteht auch die Gefahr, sich mit STIs anzustecken. Doch wer sich momentan bei der Beratungsstelle für sexuell übertragbare Infektionen und AIDS des Gesundheitsamts der Stadt Leipzig beraten und testen lassen will, steht vor verschlossener Tür oder liest bereits auf der Website, dass die Beratungsstelle „aktuell coronabedingt geschlossen“ ist. Es wird zur Aidshilfe Leipzig verwiesen, wo donnerstags zwischen 15 und 20 Uhr oder nach Terminvereinbarung HIV-Selbsttests angeboten und begleitend beraten werde.
Der Test selbst kostet 20 €. Ich bin froh, dass es zumindest dieses Angebot gibt, welches nur ein kleiner Bestandteil der wichtigen Arbeit der Aidshilfen ist. Dennoch kann es die Leistungen der städtischen Beratungsstelle nicht ersetzen. Zum einen, weil es neben HIV noch eine Reihe anderer STIs gibt, wie Chlamydien, Syphilis und Gonorrhoe, auf welche ich mich bei der Aidshilfe nicht testen lassen kann. Zum anderen sind 20 € eine monetäre Hürde, die bestimmte Menschen von der Testung ausschließt, welche nur bei der kostenfreien Testung im Gesundheitsamt diese Möglichkeit bekommen.
Eine andere Option könnten die HIV-Schwerpunktpraxen der Stadt sein, welche die Aidshilfe Leipzig auf ihrer Website für den Raum Halle/Leipzig zusammengetragen hat.[4]
Doch die Praxen sind überbelegt und testen ohnehin häufig nur ihre Bestandspatient/-innen. Wer sich als neue/-r Patient/-in aufnehmen lassen will, hat momentan erfahrungsgemäß mit Wartezeiten von mehr als zwei Monaten zu rechnen.
Wo also hin, wenn ich mich nicht erst im neuen Jahr auf STIs testen lassen oder zur PrEP (Prä-Expositions-Prophylaxe; ein HIV-Medikament für HIV-negative Menschen, welches bei richtiger Einnahme genauso wirksam wie Kondome oder Schutz durch Therapie vor einer HIV-Infektion schützt)[5] beraten und mir diese ggf. verschreiben lassen will?
Vielleicht ins nahegelegene Halle; dort bietet der Fachbereich Gesundheit der Stadt die Beratung und Testung auf HIV und andere STIs laut Website nach vorheriger Terminvereinbarung weiterhin an. Doch wenn ich dort innerhalb der angegebenen Sprechzeiten anrufe, nimmt auch nach mehreren Versuchen an verschiedenen Tagen niemand ab und auch der Mailverkehr gestaltet sich schwierig.
Hinzu kommt, dass auch hierbei wieder all diejenigen das Nachsehen hätten, die nicht mit der Unicard ohne zusätzliche Kosten nach Halle fahren und sich das Ticket nicht leisten können (oder zumindest von dem finanziellen und zeitlichen Mehraufwand abhängig machen würden, ob sie sich testen lassen).
Dass sich Corona, AHA-Regeln und STI-Beratung sowie Testung nicht ausschließen, zeigen andere Städte wie Berlin. Es gibt sowohl Angebote wie den Checkpoint BLN, bei dem nach vorheriger Onlineberatung und Terminvereinbarung STI-Tests durchgeführt werden und auch die städtischen Gesundheitsämter bieten Beratung und Testung mit Terminen an. Ein homosexueller Freund in Berlin zeigt sich negativ überrascht, als ich ihm mitteile, wie schwierig sich die Lage gerade in Leipzig gestaltet.
Dabei ist mir durchaus bewusst, dass Berlin eine andere Hausnummer ist und auch, dass dort die STI-Beratungen und Testungen vielfach von nicht-städtischen Akteuren wie besagtem Checkpoint BLN durchgeführt werden, die noch einmal viel näher an den der Lebenswelt der Aufsuchenden und der queeren Szene sind.
Genauso steht außer Frage, dass Behörden wie die Beratungsstelle für sexuell übertragbare Infektionen und AIDS in Leipzig die eigenen Mitarbeitenden sowie die Aufsuchenden schützen wollen und es sicherlich gerade noch massivere Personalengpässe bei allen Gesundheitseinrichtungen gibt, als ohnehin schon.
Dennoch ist die derzeitige Situation, dass die Beratungsstelle prinzipiell geschlossen ist, in meinen Augen untragbar und verantwortungslos. STI-Prävention darf auch nicht während einer pandemischen Krise fallengelassen werden! Es ergibt schlichtweg keinen Sinn, die eine Infektionskrankheit aufhalten zu wollen und dafür zuzulassen, dass andere Pandemien – nämlich die der STIs, die, schambehaftet wie sie sind, sowieso weitestgehend ignoriert werden – sich noch ungehinderter als sonst ausbreiten können.
Ich fordere die Stadt auf, sich ein Hygienekonzept zu überlegen, mit dem zumindest nach vorheriger Terminvereinbarung weiterhin Beratung und Testung durch die Beratungsstelle möglich ist. Eben weil wir nicht Berlin sind und es keine niedrigschwelligen Alternativen zur kostenfreien Testung gibt.
Dass nicht-städtischen Akteuren der STI-Prävention wie der Aidshilfe in Leipzig oder dem Check-point BLN in der Hauptstadt mehr Fördergelder zur Verfügung gestellt werden sollten, damit auch diese ihre Tests kostenfrei und somit zugänglicher für alle Personen, unabhängig ihrer finanziellen Situation, anbieten können, gebe ich direkt noch an die entsprechenden Landesebenen weiter.
[1] https://www.siegessaeule.de/magazin/was-macht-social-distancing-mit-der-queeren-community/
[2] https://www.siegessaeule.de/magazin/schwuler-sex-in-corona-zeiten-verbotspolitik-ist-nicht-hilfreich/
[3] http://somatosphere.net/2020/thinking-sex-in-times-of-corona-a-conversation.html/
[4] https://www.leipzig.aidshilfe.de/leben-mit-hiv/hiv-behandler-halleleipzig
[5] https://www.aidshilfe.de/hiv-prep
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