Von Dr. Thomas Bernstein: Liebe Redaktion, ich freue mich, dass ihr den kritischen Leserbrief zum Kommentar über den angeblich nicht gekauften Erfolg von RBLeipzig veröffentlicht habt. Das, was der Leserbriefschreiber Herr Stöck da zusammengetragen hat, ist ja wirklich erschreckend. Ich hoffe, dass Ihr Kommentator das auch mal liest und sich vielleicht mal von seinen blauäugigen Fantasien verabschiedet. Aber wahrscheinlich ist er ja ein glühender Fan und beileibe kein Journalist.
Die Marketingstory um Red Bull in der deutschen Bundesliga beginnt ja eigentlich viel früher: Bevor man auf den Notnagel Leipzig kam, gab es ja schon ganz andere Versuche. Als erstes versuchte man, in völliger Verkennung der Lage, den FC St. Pauli zu kaufen. Als man damit krachend gescheitert war, war Fortuna Düsseldorf das nächste Ziel. Auch dort kann man vor Lachen nicht in den Schlaf. Es soll noch weitere, natürlich erfolglose, Versuche gegeben haben.
Als Notlösung blieben dann nur noch Markranstädt beziehungsweise Leipzig.
Also nichts mit von wegen “wunderbare Menschen, Heldenstadt und hier muss unbedingt Bundesliga – Fußball her” – blanke Heuchelei! Es geht einzig um Marketing für ein Produkt, also um Kohle. Dafür braucht man aber nützliche Idioten, und die hat man in der Heldenstadt gefunden.
Antwort der Redaktion / Michael Freitag
Lieber Herr Dr. Bernstein, vielen Dank für Ihren Leserbrief und die Anerkennung für unsere übliche Darstellung beider Seiten. Gestatten Sie mir aufgrund Ihres Anwurfes an unseren Kollegen René Loch jedoch einige Hinweise im Namen unserer gesamten Redaktion zum Inhalt, zur Sache selbst und eine persönliche Meinung am Schluss. Sozusagen als unbeteiligter Dritter mit einer gewissen „Seitenausperspektive“ was Fußballfanschaften anbelangt.
Sie kommen, was uns betrifft, spät mit Ihrer Kritik, wie (auch) so viele (Medien), die RB Leipzig erst so richtig mit dem Aufstieg in die 2. Bundesliga auf dem Schirm hatten. Die L-IZ.de hat in den vergangenen 7 Jahren den Weg RB Leipzigs nachhaltig und als einzige Leipziger Zeitung kritisch begleitet. Unter wissender Inkaufnahme aller Begleitumstände.
Und der Themen gab es viele in diesen Jahren, deshalb hier ein unvollständiger Abriss in Unkenntnis, ob Sie dies alles bei uns verfolgen konnten: Angefangen beim Einkauf beim SSV Markranstädt, die „Logo-Frage“, immer wieder Stadionübernahmeumbaukaufpläne und Parkplatzsuche im Naturschutzgebiet, der Beginn der RB-Nachwuchsarbeit, unzulässige Werbung an Schulen mittels Maskottchen, die Frage, ob RB Jugendspieler von anderen Clubs ansprach oder nicht, Selbstverköstigung von gut verdienenden Profis in der hiesigen Studentenmensa und natürlich die 50 + 1 – Frage. Auch Kommerz, Plastikfußball, Leipziger Fußballgeschichte rauf und runter.
Auch über die eher unprofessionelle Offenlegung von Namen von Vereinsmitgliedern am Vereinsregister und last but not least die Hinterfragung der etwas intransparenten Verbindungen zwischen Stadt Leipzig und Club schrieben und schreiben wir. Und als RB-Fans (wie einst leider geschehen) mal in homophobe Sprechchöre am Rande eines Spiels der RB Leipzig II. verfielen oder sich Fangruppen mit der Clubleitung stritten, waren wir stets nicht weit mit einem Artikel dazu …
Zuletzt haben wir auch mal nachgerechnet, was aus dem Jobwunder RB Leipzig wirklich geworden ist – die Zahlen waren nicht für jeden Leser bis hin zum Oberbürgermeister Leipzigs Quell purer Freude. Es geht also darum, das gesamte Bild jenseits von den Spielen selbst, irgendwelchen Jubelarien aber auch vorschneller Verurteilung zu zeichnen.
Beobachten konnten wir so auch in diesen zurückliegenden Jahren, wie sich andere lokale/regionale Medien hier vor Ort zu RB-Blättern wandelten und wenig kritisch auf so manche Sache blickten oder sich erstaunlich wenig dafür interessierten. Es soll sogar Medien geben, die von „Red Bull Leipzig“ sprachen – eine journalistische Offenbarung – aber wo König Fußball regiert …
Anmerken wollen wir in diesem Zusammenhang auch, dass es keinerlei werbliche Kooperationen zwischen RB Leipzig und der L-IZ.de gibt. Wir haben auch nie darum gebeten.
Es dürfte demnach auch Gründe haben, warum wir als (wohl) einziges Lokalmedium vor Ort trotz der langjährigen Begleitung des Clubs seit dem Aufstieg in die 1. Bundesliga unsere Akkreditierungen vor jedem Spiel einzeln beantragen dürfen, also etwas überraschend keine Dauerakkreditierung mehr wie früher erhielten. Der offizielle Grund war „Platzmangel auf der Pressetribüne“ und eine neue Medien-Priorisierung, deren Parameter man uns nicht nennen wollte.
Die „Qualität“ unserer Berichterstattung wurde auch angesprochen – was genau damit gemeint war, ist bis heute wenig transparent geblieben. Wie auch die Frage, was ein ehemaliger BILD-Journalist im heutigen Marketing-Dienst von RB Leipzig mit dem Wort “Qualität” letztlich verbindet.
Dieser für uns letztlich kopfschüttelnd abgefrühstückte Zustand dürfte sich auch zukünftig nicht ändern, denn neulich erst hatten wir, also eben jener von Ihnen so gescholtene Kollege Loch – den Sie in einer etwas fernsichtigen Art zum Nicht-Journalisten machen wollen – neben seinen regen RBL-Spielberichten auch die Causa Mateschitz und die Wirkung (oder das weitgehend unkritische Gewährenlassen) in Teilen der RB-Fan-Szene am redaktionellen Wickel. Und auch die aufgedröselte Frage nach dem Arbeitsplatzversprechen von vielen Tausenden Arbeitsplätzen durch RB Leipzig dürfte nicht jedem gefallen haben.
Dies alles zusammen ergibt bei manchem RB-Fan eher das windschiefe Bild, wir würden RB Leipzig „hassen“ oder irgendwie nicht leiden können. Was so nicht stimmt, eher bleiben wir da schön auf journalistischem Kurs und kritisieren gern sachlich, aber klar. Übrigens immer im Vier-Augen-Prinzip vor der Veröffentlichung, wie auch bei dem Kommentar von Herrn Loch – das macht einfach mehr Teamspaß und hilft auf lange Sicht auch gegen “Fakenews”.
Alles über die Jahre mit der Konsequenz, dass man auch mal sauber aneckt und verbale Prügel droht – mal von der einen, mal von der anderen Seite.
Zusammengefasst: Sie sprechen eindeutig mit den falschen Leuten, wenn Sie hier Fanboys und unkritische Sichtweisen anhand eines durchaus berechtigten Kommentars von René Loch zum „erkauften Erfolg“ vermuten. Ebenso hat der gründliche Leserbrief von Ronny Stöck seine Berechtigung. Oder gar die Sicht, dass es gewichtigere Themen gäbe, als sich an RBL abzuarbeiten.
Eben das macht ja den Spaß aus, wenn man alle Seiten betrachtet und dabei auf das gemeinsame Niveau achtet.
Deshalb auch noch zur aktuellen Debatte und der anderen, entgegengesetzten Seite der umstrittenen Fußball-Dose
Es ist auch viel Heuchelei bei der, vor allem vonseiten anderer nicht in Leipzig agierenden Clubs und Fans geführten, für uns oft zu aggressiven, verspäteten und vor allem auch falsch ausgerichteten Debatte derzeit. Man möchte die klarerer Grenzziehung beim Thema 50+1? Keine weitere „Kommerzialisierung des Fußballs“? Keine „Farmteams in der halben Welt“? Fair P(l)ay in der Bundesliga und mehr „Gleichberechtigung“ zwischen allen Clubs? Gern auch eine stärkere Einschränkung beim Ankauf junger Talente aus anderen Clubs?
Für den echten und wahren Fußball und mehr Gerechtigkeit?
Dann wenden Sie und alle, die sich dafür stark machen wollen, sich mit Ihrer Kritik bitte auch und vor allem an den DFB und an die DFL, denn diese erlassen die Regeln für alle Clubs gemeinsam und ließen RB Leipzig gewähren. Was übrigens ahnen lässt, dass sich auch andere Clubs bald auf die erfolgreichen Aspekte des RB-Schemas einstellen werden oder diesem längst näher sind, als es die jeweiligen Fans sehen wollen.
Es ist offenbar soviel leichter, ein klar umrissenes Feindbild zu haben, als sich mit den Gesamtumständen zu befassen.
Deshalb mein persönlicher Tipp an dieser Stelle ausdrücklich ohne Kenntnis Ihres persönlichen Verhaltens: Gehen Sie doch gern ab der dritten Liga abwärts zu Fußballspielen, wenn sich die Lage in der Bundesliga immer weiter in eine Richtung entwickelt, die Sie nicht gut finden. Die Clubs freuen sich alle über mehr Zuschauer – sie bekommen nämlich von den Fernsehgeldern praktisch nichts ab, haben eher kleine Merchandisingumsätze und machen dennoch Tag um Tag einen wichtigen Job. Sie integrieren Menschen, unterhalten mit Sport und fördern junge Spieler von Kindesbeinen an – wie die „Großen“.
Und vergessen Sie bitte nicht Sky abzubestellen, so sie dort ein Abo haben, um Bundesliga zu schauen. Dann bleibt mehr Geld für den Stadionbesuch.
Werbeblock: Dies ist die perfekte Stelle, wo ich Ihnen und anderen Lesern mit dem freiwerdenden Geld (oder lieber noch aus Überzeugung) gern ein Abonnement der L-IZ.de empfehlen möchte. Nur 8,50 Euro im Monat für jede Menge geile Texte rings um RB Leipzig in unserem Archiv und in Zukunft. Garantiert RB-werbefrei, naturecht und nah am Geschehen vor Ort.
Für mich ist die Wahrheit schlicht: RB Leipzig zeigt einfach, wie weit der Regel-Rahmen in der deutschen Bundesliga längst dehnbar war und ist. Kein Grund für Hass, finde ich. RB zerstört gar nichts – RB treibt nur das Bestehende auf die Spitze (und wurde so zum ernsthaften Verfolger Bayerns).
So legt der Weg RBs (meinerseits wertungsfrei gemeint) offen, wo der Profifußball mittlerweile steht. Angesichts der interessanten Verschuldungsstrategien vor allem spanischer Clubs oder dem Mäzenatenfußball in England weiß Gott nicht nur in Deutschland. Ein weitgehend unbemerktes Detail ist für mich immer wieder die ikonenhaft überzeichnete Darstellung junger Fußballer als Gladiatoren – nicht nur bei RBL …
Kapitalismus halt, ein Mordsgeschäft noch dazu und dies für alle Beteiligten. Übrigens auch für Medien – die einen, weil sie mitverdienen, die anderen, weil sie ihre Leserschaft durch Frontstellung gegen RB Leipzig bei Laune halten. Und auch mitverdienen.
RB Leipzig ist nur der vollends glattpolierte Spiegel dessen, was Bundesliga und das Drumherum heute eben ist. Natürlich auch und noch immer eine beliebte Freizeitbeschäftigung, Treff und Begegnungsstätte, wenns am Wochenende ins Leipziger Zentralstadion oder ans Choreo-Malen geht. Eine Entwicklung derzeit sehr zur Freude vieler Leipziger und Nordsachsen, die nun die Spiele besuchen und in Rasenball ihren Club gefunden haben. Manche freuen sich sogar diebisch darüber, dass sich das Geschäft nun erstmal hier in Leipzig abspielt.
Warum auch nicht?
Sie haben jedes Recht, sich darüber zu freuen, wie weit man in dieser ersten 1. Bundesliga-Saison kommen kann, wenn man früh mit einigen Spielern plant und strategisch (also frühzyklisch) investiert. Oder glaubt heute noch jemand ernsthaft, RBL versuche nicht perspektivisch in einer Milliardenindustrie namens Fußball Gewinn zu machen? Wer die Möglichkeit abstreitet, sollte mal genauer durch die Bücher in München gehen.
Was übrigens aus meiner Sicht vorerst mittelfristig aufgeht (siehe Einnahmen nun aus der Championsleague, TV-Gelder, Merchandising usw. für RB). “Wer hat, der kann” sagt ein leider noch zu unbekanntes Sprichwort. Bekannter ist das vom Teufel, welcher immer auf den großen Haufen … na Sie wissen ja. Dennoch gilt auch: nur mit dem Herzen sieht man gut.
Also – ein Minusgeschäft, um eine Dose zu promoten?
Der quasi sich selbst ständig durch Siege aufwertende RB-Kader ist heute bereits das Zigfache dessen wert, was er zum Beginn der aktuellen Saison gekostet hat – die Transferbilanzen dürften sich also bald ändern. Selbst aktuell führen die negativen Transferbilanzen beim Beispiel RBL zu Mehreinnahmen an anderen Stellen (siehe TV-Gelder etc.).
Was daraus auf lange Sicht wird, wird sich erweisen müssen. Da stehen noch spannende Fragen an: Geht zum Beispiel ein Timo Werner irgendwann für das Mehrfache seiner einstigen Transfersumme zu einem anderen Club? Kann RB die jetzige Mannschaft zusammenhalten, womöglich sogar noch stärken oder nicht?
Wird RB Leipzig weiterhin beim Recruiting so erfolgreich bleiben oder haben die anderen Clubs schon dazugelernt und der Wettkampf um die jungen Talente wird noch härter? Wo bleibt eigentlich das erste Leipziger Nachwuchstalent der Rasenballer im Startaufgebot oder muss man ständig weiter zukaufen? Wird RBL auf Dauer Verluste machen oder ist es nicht doch so, dass der bisherige Weg zeigt, dass die Verantwortlichen mit Geld ganz gut umgehen können?
Oder ist nicht auch der von Ihnen etwas gering geschätzte Standortfaktor „Leipzig“ ein ziemlich starkes Argument für manchen Spieler, in unsere schöne Stadt zu ziehen?
Ist also der Bundesligaerfolg dieser Saison ein Einmaleffekt oder kann RB seinen Weg stabilisieren?
Alles offen.
Doch stellt man die Fragen so, wird auch klarer, dass es bei Fußballclubs (fast) wie in jedem Unternehmen ist. Ein verkäufliches Produkt, brüllendes Marketing, gezieltes Personalmanagement – Aktivziele: Emotionen erzeugen und den Verkauf ankurbeln. Also beschwert man sich nun über den durchaus ungerechten Kapitalismus oder über RB Leipzig, welches die nicht immer schönen Regeln bedient?
Deshalb meine ganz private Meinung als „Heldenstädter“ (sic!) und Nicht-Fußballanhänger irgendeiner Mannschaft am Schluss.
Eines amüsiert mich durchaus seit Monaten in der aktuellen Diskussion. Dass es jahrzehntelang links der Elbe fast Niemanden erregte, wenn westdeutsche Clubs praktisch 20 Jahre lang quietschvergnügt nach der Wende den ganz nahen Osten und Osteuropa und somit auch Leipzig als preiswertes Einkaufsgebiet erkannten. Und zum erweiterten Nachwuchsrevier erklärten. Wer gut kickte, ging halt nach Bremen, Karlsruhe, Hamburg, Köln, Dortmund, München usw. War doch normal und brachte Freude in die Stadien dieser und anderer Städte und die sogar die deutsche Nationalmannschaft?
Die Freude der Leipziger war, auf bessere Tage zu hoffen – und es gab viele Anläufe und viel Hoffnung nebst Niederschlägen.
Dass genau auch diese Umstände den Ostclubs, welche zwar guten Nachwuchs hervorbrachten, aber keinen Großsponsoren hatten (Wirtschaft im Osten? Wo? ^^), schwer zu schaffen machte, spielte in München, Stuttgart und Hannover keine besondere Rolle. Die Osteuropäer bekamen dafür zumindest sehr gute Nationalspieler zurück, die besten Sachsen hingegen spielten wie der Görlitzer Michael Ballack medial als “Leverkusener” oder “Münchner” in der Nationalmannschaft.
Ich ahne also, dass genau die bereits eingetretene Veränderung so mancher Wanderungsrichtung im Fußballbusiness nun nach Leipzig hin viele Fans von RB bei aller Kritikwürdigkeit des Treibens gern über genau die Sachen hinwegsehen lassen, die andere so mächtig erregen. Weil es auch um einstige Hoheitsgebiete geht.
Deshalb vielleicht noch am Ende zum Thema „Notlösung“: Ja, die DFB-Gründungsstadt Leipzig, welche bis heute mit dem VfB Leipzig den ersten Deutschen Fußballmeister der Geschichte stellt, hätte eine eigene Mannschaft schon vor Jahren verdient, die oben mithalten kann. Nur die Welt, sie ist nicht so und Düsseldorf war offenbar aus Salzburger Perspektive näher als Leipzig – so westlich betrachtet. (Moment mal, das ist doch die 620.000-Einwohnerstadt, die wir demnächst bei der Einwohnerzahl überholen werden?)
Und selbstverständlich steht aus genannten Gründen auch das Fußballmuseum seit 2015 fälschlicherweise in Dortmund – aber eben das zeigt ganz hübsch, wie sehr der DFB an „Tradition“ wirklich ernsthaft interessiert ist. Und, dass die „Marketingstory um Red Bull“ auch und vor allem eine um den DFB ist.
Fazit: RB Leipzig passt perfekt in eben die 1. Bundesliga wie sie heute funktioniert. Entwickelt sich Leipzig als Wirtschaftsraum so, wie es sich derzeit andeutet, ist in den kommenden Jahren vielleicht noch mehr drin. Denn da gibt es ja noch mindestens zwei andere spannende Clubs in unserer Stadt, die längst wissen, wie das Geschäft funktioniert.
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