Hurra, es ist Krieg! Diese Worte fallen mir an den Kriegsdenkmälern in Großsteinberg ein. Das Erste erinnert an die Toten des Ortes von 1914 bis 1918. Es hat die Form eines Bismarckturms, oben drauf ein Kreuz. Darunter die Inschrift "Ehre den Toten". In der Mitte der Schriftzug "Unseren Helden" 1914 bis 1918.
Hinter dem Bismarckturm steht versteckt das Ehrenmal für die Gefallenen des zweiten Weltkrieges, dessen Ende sich heute zum 70ten Male jährt. Die Namensliste der gefallenen Soldaten auf dem Denkmal ist ungleich länger als die auf dem Bismarckturm.
Ich setze mich auf die Bank, die vor den Denkmälern steht und tue das, was der Name sagt, ich denke mal. Ich denke an meine Kindheit, an den Besuch bei Oma Münster, es war ihr Geburtstag. Genauer gesagt, der 14. März. Oma und Opa hatten am selben Tag Geburtstag.
Opa war ein sogenannter Pottjahrgang, 1900 geboren, Oma war 13 Jahre jünger. Ich denke an diesem Denkmal intensiv an diesen Tag, der mich noch faszinieren sollte. Ich saß mit meinem Vater, Opa und Onkel Benno – Opas Bruder – im Gästeschlafzimmer, dass wegen des Besucheransturms zum Männerzimmer umfunktioniert worden war.
Die Großen hörten die neuesten Fußballergebnisse im Radio, wussten alles besser und schrien das Radio an, wenn ein Foul passierte. Irgendwie kamen sie dann auf den großen Krieg zu sprechen. Voller Spannung hörte ich zu. In Gedanken nahm ich, der vielleicht acht Jahre alt war, an den großen Schlachten teil. Ich war der Held von Stalingrad und wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich im Alleingang die Russen besiegt.
Mein Vater hielt mich an ruhig zu sein, doch Onkel Benno fiel ihm ins Wort. Er zog an seiner Zigarette und erzählte, dass er gerne schon im ersten Weltkrieg dabei gewesen wäre. Mein Opa nickte und meinte, dass Onkel Benno damals nach Hause gelaufen kam und in der Küche laut “Hurra es ist Krieg” rief. Dann sagte Opa, dass er auch gerne dabei gewesen wäre aber, so wie Onkel Benno, zu jung dafür war.
Über den zweiten Weltkrieg, den beide mitmachen “durften”, erzählten sie so gut wie nichts. Ich fragte nach und bekam zur Antwort, sie seien Soldaten gewesen. Lediglich über die Kriegsgefangenschaft bei den Briten wussten sie Gutes zu berichten. Opa war Fahrer eines Offiziers und bekam, so erzählte es meine Oma später, abgetragene Uniformen, die für die Kinder zu Kleidung umgenäht wurden.
Ich sitze an diesem Denkmal und denke, dass ich von meinem Großvater nur weiß, dass er am 14. März 1900 geboren wurde, gelernter Waffenschmied und Soldat der Waffen SS war, Russland rechtzeitig verlassen konnte und nach der Kriegsgefangenschaft bei einer Behörde tätig war. Ich denke darüber nach, dass das ziemlich wenig ist, für einen Menschen, der 78 Jahre alt wurde. Der das Soldatenleben gut fand und von Disziplin und Pflichterfüllung schwärmte.
Ich denke darüber nach, ob er ein Schuldgefühl hatte, für das was die Deutschen kollektiv losgetreten hatten?
Ich denke darüber nach, warum meine Generation nichts über die Geschichte der Großeltern erfahren durfte. Warum gesagt wurde, nie wieder Krieg und im gleichen Atemzug der Satz “unter Hitler war nicht alles schlecht” folgte.
Ich denke darüber nach, warum wir mit Stolz den toten Helden zweier Kriege gedenken, uns jedes Jahr mit Blasmusik an Ehrenmalen versammeln und der glorreichen Zeiten gedenken. Zeiten, die die meisten von uns nur vom Hörensagen oder aus dem Fernsehen kennen?
Ich denke darüber nach, warum junge Menschen heute freiwillig von Deutschland aus in den Krieg ziehen. Darüber, wie tote Helden sein können?
Ein Held stirbt nicht, ein Held lebt! Ein Held tötet nicht, er bewahrt das Leben!
Wo ist die Glorie, wenn Menschen sich freuen, dass Krieg ist. Der gesunde Menschenverstand sagt einem doch schon, dass Kriege tödlich sind. Nicht nur für die anderen!
Und wer lebend aus einem Krieg zurückkehrt, ist innerlich gestorben!
Ich wünsche mir Frieden! Ich möchte keine toten Helden ehren. Ich möchte für meine Kinder ein Held sein, der in seinem kleinen Umfeld den Frieden bewahrt, in der Hoffnung darauf, dass viele andere Helden auch so denken.
Ich sitze an diesem Denkmal und denke mir, dass wir, so lange wir tote Helden ehren, nichts aus der Geschichte gelernt haben.
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