Das Amt für Wirtschaftsförderung/Tourismus, im Leipziger Rathaus offiziell und irreführend „Amt für Stadtgrün und Gewässer“ genannt, war wieder einmal Auftraggeber und Finanzier einer tourismuswirtschaftlichen (nicht etwa naturschützerischen) Studie.
Nachdem von den Initiatoren und Beförderern eines Ausbaues der Gewässer in Leipzig und Umgebung für die motorbetriebene touristische Nutzung das sogenannte Wassertouristische Nutzungskonzept (WTNK) ohne irgendwelche ordentlichen Prüfverfahren munter als ausdrückliche Handlungsgrundlage der Verantwortlichen herhalten muss, wurde den nicht mehr staunenden BürgerInnen Leipzigs nunmehr auch noch der sogenannte „Masterplan für die mitteldeutsche Gewässerlandschaft“ vorgestellt als „informelles Instrument, das nicht das Planungsrecht der Kommunen berührt”, wie Angela Zabojnik, Abteilungsleiterin im benannten Leipziger Amt, erklärte.
Diese elegante Beschreibung, die schon für das WTNK erfunden wurde, suggeriert, dass mit diesem „Plan“ etwas in der Welt sei, auf das natürlich jeder, der das möchte, sich beteiligend Einfluss nehmen könne, der Bürger vielleicht oder die Umweltverbände. An diese richtet sich der Plan jedoch überhaupt nicht. Stattdessen an Kommunen und Verbände, private Akteure und die so heiß ersehnten privaten „Investoren“. Mit anderen Worten hat sich das Amt eine Handlungsanleitung für sich selbst schreiben lassen, ein nunmehr offiziell daherkommendes Papier, an dessen Zielen allerdings schon seit mehr als 10 Jahren im stillen Kämmerlein des Grünen Rings Leipzig gearbeitet wird.
Für die Veröffentlichung dieser Ziele wurde eigens der „Tag Blau“ erfunden, 2010 mit der Einweihung des „Schlüsselkurses 1“ durch den geschützten Floßgraben erstmalig ausgerufen und mit Pauken und Trompeten zelebriert. Zu diesem, sich selbst feiernden Ereignis begannen die öffentlichen Proteste gegen den geplanten Gewässerausbau für die Nutzung mit großen Motorbooten aus Hamburg und Berlin und für eine naturerhaltende und ökologisch nachhaltige muskelkraft- und windbetriebene Erholungsnutzung durch die hier lebenden Menschen und ihre Gäste. Insider hatten schon lange zuvor ihre Einwände formuliert und um inhaltliche Diskussion gebeten – sie hätten auch den Mond anbellen können.
Die „Schlüsselkurse“ sind von den Akteuren vorgesehen für eine motorisierte Gewässernutzung und machen damit einen Gewässer-Ausbau (Begradigung, Uferbefestigung, Ausbaggern, Abholzen der Bereiche bis hin zu Brückenanhebungen im gesamten Leipziger Stadtgebiet) unumgänglich, mit den damit verbundenen finanziellen Folgen nicht nur für den Bau, sondern auch für die regelmäßige Unterhaltung, für die es dann keine Fördermittelchen mehr gibt. Natürlich geschieht der avisierte Ausbau auch um den Preis irreversibler und schädlicher Eingriffe in die Natur, insbesondere die Gewässer und die daran angrenzenden Flächen des Leipziger Auwaldes.
Untermauert wird das Konzept von den Akteuren mit den (ebenfalls durch die Stadt Leipzig beauftragten und bezahlten) „Potenzialanalysen I und II“, die bei genauer Betrachtung Lobbyarbeit für die motorisierte Wasserwirtschaft und Bauunternehmen zu sein scheinen und deshalb selbst in der LVZ als „mögliche Gefälligkeitsgutachten“ bezeichnet wurden.
Der sogenannte „Charta 2030“-Prozess zur Beteiligung der BürgerInnen, bei dem MitarbeiterInnen des besagten Amtes schon mal ungeniert reichlich Publikumspunkte den sogenannten „Leuchtturmprojekten“ zuzuordnen, wurde initiiert, um dem Ganzen ein Mäntelchen demokratischer Teilhabe umzuhängen.
Schließlich ist sich keiner der Lobbyisten zu schade, mit dem Brustton der Überzeugung öffentlich völlig aus der Luft gegriffene Zahlen angeblich entstehender Arbeitsplätze zu postulieren, als gäbe es nicht die bitteren Erfahrungen der Menschen, die saisonal begrenzt für mickriges Geld und mit einer 60-Stunden Woche auf Rügen, in den Alpen oder an der Müritz von einer Arbeitslosigkeit zur nächsten ihr Dasein fristen. Und dann sind da noch die ebenso fantastischen, angeblich zu erwartenden finanziellen Einnahmen, die exorbitante „Wertschöpfungseffekte” auslösen werden. Als „Beweis“ wird dann angeführt, dass diese Effekte in den vergangenen 10 Jahren 31 Milliarden Euro betrugen, und es wird suggeriert, dass ein Wassertourismus diese Effekte erzeugte – den es doch aber da noch gar nicht gab. Und gleich überzeugend wird tollkühn behauptet, 54.200 Arbeitsplätze hingen hiervon ab.
Es mag sein, dass es in der Tourismusindustrie in Leipzig inzwischen eine solche Anzahl an Arbeitsplätzen gibt, 800 Jahre Thomanerchor, das Wagnerjahr u.ä. tourismusfördernde Jubiläen haben ihren Teil dazu beigetragen. Im Gewässertourismus gibt es sie jedenfalls in Leipzig nicht mal annähernd. Und diejenigen, die es gibt, sind Teilzeit- und befristete Jobs im Niedriglohnbereich in einer Branche, die unter der Einführung des Mindestlohns „ächzt“ und sich als existentiell bedroht erklärt.
Selbstverständlich wurden im Neuseenland Milliarden investiert: das sind mehrheitlich gesetzlich vorgeschriebene Pflichtaufgaben, wie z. B. die Sanierung der Braunkohltagebaue, und keineswegs, wie demagogisch behauptet, „Tourismus“-Investitionen!
Überhaupt wird so getan, es gäbe einen motorisierten Gewässer-“Tourismus“! Den gibt es bis dato definitiv nicht, denn als Tourist wird bezeichnet, wer von außerhalb kommt. Und den wird es nur geben, wenn hunderte Millionen Euro in den Gewässerausbau „investiert“ werden. Und es endet, selbst beim Neubau des Elster-Saale-Kanals, jeder motorisierte Bootstourismus im Lindenauer Hafen. Dort muss lt. WTNK und Potentialanalyse in ein gewässerangepasstes Boot und, wenn die Leipziger Fließgewässer am andern Ende verlassen werden sollen, wieder in ein „normales“ Sportboot umgestiegen werden, will man die umliegenden Tagebaurestlöcher befahren: Wie kommt dann für jene, die diese Unbequemlichkeit auf sich nehmen wollen, Kuhmist aufs Dach und die persönliche Yacht von Lindenau an den Cosi? Wer, bitteschön, macht denn sowas?
Was es jedoch gibt, ist ein Kultur- und Städtetourismus, in dessen Rahmen Touristen in einem gewässerangepassten Boot oder einem Kanu die Schönheit des Leipziger Auwaldes und die Entwicklung der Tagebaurestlöcher erfahren können.
Daneben gibt es von einer ortsansässigen betuchten Minderheit das durch vollmundige politische Versprechungen geschürte Bedürfnis, den Leipziger Auwald und die umliegenden Tagebaurestlöcher mit PS-starken Motorbooten zu befahren. Das jedoch ist ebenso wenig „Tourismus“, wie das Ausüben von Trendsportarten. Für diese Minderheit ist die Politik bereit, den zu den hiesigen Gewässern passenden, langsam aber stetig wachsenden muskelbetriebenen Boots-Tourismus, den es tatsächlich gibt, von Motorbooten verdrängen zu lassen.
Niemand ist gegen Tourismus. Die Frage ist nur: Was passt hierher, was ist zukunftsweisend und erhält die einmaligen Schätze der Region und was sind wir bereit, dafür an finanziellen Mitteln zu Lasten wichtigerer kommunaler und Länderaufgaben zu opfern.
Für den Gewässerausbau für eine motorisierte Gewässernutzung stehen offensichtlich erhebliche öffentliche Gelder und Steuermittel zur Verfügung, während für eine Renaturierung der nördlichen Burgaue und des südlichen Auwaldes und einen nicht nur technischen Hochwasserwasserschutz diese Mittel angeblich fehlen.
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