Von Dr. Leonhard Kasek: Die bisherige Praxis in Deutschland, Arbeitslose zu zwingen, jede Arbeit anzunehmen führt dazu, dass Niedrigstlöhne sich ausbreiten, deren Bezieher weiter auf soziale Transferleistungen angewiesen sind. Das Problem dieser Kombilöhne, der Subventionierung zu niedriger Löhne, ist, dass sie für die Arbeitgeber Anreize schaffen, die Löhne zu drücken und zugleich den schlecht bezahlten Arbeitnehmern Anreize nehmen, sich für höhere Löhne einzusetzen.
Es kommt davon bei ihnen kaum etwas an, solange sie noch zusätzlich Sozialtransfers beziehen. Bei Subvention von Niedrigstlöhnen durch Sozialtransfers zahlt der Staat die Differenz zum Existenzminimum. Das Geld dazu stammt letztlich aus Steuern. Werden Mindestlöhne eingeführt, wird das Existenzminimum bei Vollerwerbstätigen von den Unternehmen gezahlt. Da damit aber die Sozialausgaben für den Staat sinken, könnte der Steuerfreibetrag erhöht werden, so dass Vollerwerbstätige, die den Mindestlohn erhalten überhaupt keine Lohnsteuern mehr zahlen. Das wirkt sich unmittelbar auf die Binnennachfrage aus, so dass Arbeitsplätze entstehen können, die in der Regel den Wegfall von Arbeitsplätzen, die durch Mindestlöhne nicht mehr wettbewerbsfähig sind, kompensieren. Ja, Mindestlohn führt nach den Erfahrungen der Länder in denen es Mindestlöhne gibt in einigen Branchen zum Verlust von Arbeitsplätzen. Da hat Herr Zastrow Recht. Dem stehen aber Gewinne in anderen Branchen gegenüber. Entscheidend ist die Gesamtbilanz, nicht das Herauspicken mutmaßlicher Verliererbranchen.
In Deutschland votieren bei sozialwissenschaftlichen Untersuchungen mindestens 70 % für Mindestlöhne. Auch bei den Selbständigen und gut Verdienenden, die von Mindestlöhnen keinen persönlichen Nutzen haben bzw. sie bezahlen müssten wie Selbständige, die Mitarbeiter beschäftigen, sind ca. 60 % dafür. Auch unter denen, die 2009 FDP gewählt hatten ist eine Mehrheit für Mindestlöhne. Herr Zastrow polemisiert also auch gegen einen erheblichen Teil seiner eignen Anhänger. Hätten wir eine funktionierende Demokratie, bei der vor allem Volkes Wille zählt, müssten Mindestlöhne sofort eingeführt werden.
Mit 8,50 Euro läge Deutschland in Westeuropa nahe der unteren Grenze der Mindestlöhne in den entwickelten Ländern. Die Linke plädiert im Mittel für 10 Euro brutto je Stunde. Das ist mehr als die Ergebnisse empirischer Untersuchungen aus Ländern mit Mindestlohn (in der EU alle außer Deutschland und auch in den USA gibt es einen Mindestlohn) für einen Mindestlohn nahelegen, der nicht zum Anwachsen der Arbeitslosigkeit führt.
Alternativ zum gesetzlichen Mindestlohn wäre es auch möglich per Gesetz festzulegen, dass die Tarifverträge zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften für alle Unternehmen der Branche bindend sind, unabhängig davon, ob sie dem Arbeitgeberverband angehören oder nicht. Der Tariflohn sollte aber dann mindestens so hoch sein, dass alle sozialen Transferleistungen überflüssig werden. Dieses Modell hätte den Vorteil, dass es möglich wäre, viel differenzierter auf die Branchen und einzelne Berufsgruppen einzugehen. Solche, von den Tarifpartnern ausgehandelten branchenspezifischen Mindestlöhne, gibt es z. B. in der Schweiz. Wenn also Herr Zastrow dafür plädiert, die Kompetenzen der Tarifpartner per Gesetz so ausgeweidet werden, dass Abschlüsse für die gesamte Branche bzw. Berufsgruppe gelten, so dass keine Schlupflöcher bleiben, dann würde ich das unterstützen. Am besten wäre es, beides zu verknüpfen: ein gesetzliches Minimum, das für alle gilt und auf dieser Basis qualifikations- und branchenabhängige Mindestlöhne, die von den Tarifpartnern ausgehandelt werden und jeweils für alle gelten, die die entsprechenden Qualifikationen in den jeweiligen Branchen haben.
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Das Argument, Mindestlöhne führen zu erhöhter Arbeitslosigkeit, ist nicht stichhaltig. Es ergibt sich aus mathematischen Modellen, die neoliberalen Prämissen folgen. Diese Prämissen halten empirischen Überprüfungen nicht stand. Ich empfehle hier Herrn Zastrow einen Blick in die Veröffentlichungen der beiden Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann (Schnelles Denken – langsames Denken) und Joseph Stiglitz (Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht und Im freien Fall: Vom Versagen der Märkte zur Neuordnung der Weltwirtschaft). Für die Neoliberalen gilt Einsteins Feststellung: “Mathematik ist der beste Weg, sich selbst an der Nase herumzuführen.” Der radikale Neoliberalismus ist eine in Mathematik gehüllte lebensblinde Ideologie.
Modelle, die sich auf neokeynesianische Theorien stützen, sagen eine Abnahme der Arbeitslosigkeit durch Mindestlohn voraus, weil die Kaufkraft steigt. Aber auch die Neokeynesianer vereinfachen in ihren Theorien die komplexe Realität zu sehr. Inzwischen gibt es zahlreiche empirische Untersuchungen in Ländern mit Mindestlohn. Am aussagekräftigsten sind die aus Großbritannien, weil sie den Mindestlohn von Anfang begleitet haben. Ergebnis: In einigen Branchen wie Bau kam es zu Personalabbau, dafür besonders in personenbezogenen Dienstleistungen zu Zuwachs. Alles zusammengerechnet hat der Mindestlohn in Großbritannien zu einem leichten Beschäftigungszuwachs geführt. Hier spielt sicher auch eine Rolle, dass der Mindestlohn von Anfang an wissenschaftlich begleitet wird und die Forschungsergebnisse regelmäßig in die Neujustierung einfließen.
In Frankreich lassen sich Ergebnisse schwieriger abschätzen. Dort wurden Mindestlöhne bereits Ende der 40er Jahre eingeführt und die empirischen Untersuchungen setzen erst sehr viel später ein, verstärkt erst in den 90er Jahren. Daraus lässt sich vorsichtig ableiten, dass die Zu- und Abnahmen in den Branchen ähnlich denen in Großbritannien sind, der Gesamtsaldo aber leicht negativ, d.h. die Zahl der Beschäftigten hat geringfügig abgenommen. Beide Länder bilden die Extreme, die anderen mit Mindestlohn, einschließlich USA, liegen dazwischen. Kurz: der Einfluss des Mindestlohnes auf die Zahl der Arbeitslosen ist gering. Wird das Instrument maßvoll eingesetzt und die Höhe ständig an Inflation und Konjunktur angepasst (jährliche Veränderung = Zuwachs der Arbeitsproduktivität + Inflationsrate), dürfte sich in Deutschland bei einem Startmindestlohn von 8,50 Euro ein geringer Beschäftigungszuwachs erzielen lassen.
Ausnahmen für Ungelernte und Jugendliche sollten nicht gemacht werden. Das würde unweigerlich dazu führen, dass vor allem bei Dienstleistungen verstärkt Ungelernte zu Lasten derer mit abgeschlossener Berufsausbildung eingestellt würden, um Lohnkosten zu sparen. Damit würden Qualifikationen entwertet und Anreize zur beruflichen Fortbildung zerstört. Hier müssen andere Wege gefunden werden, Ungelernte in Arbeit zu bringen, z. B. befristete Lohnkostenzuschüsse, wenn mit dem Ungelernten vom Unternehmen eine Qualifizierungsvereinbarung abgeschlossen wurde, die zu einem von der IHK anerkannten Berufsabschluss führt.
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