Von Kay-Sandro Oly: Mit dem Thema Studiengebühren verhält es sich ein wenig wie mit dem Ungeheuer von Loch Ness: Von Zeit zu Zeit taucht es auf und sorgt für heftige Diskussionen. In Zeiten des Wahlkampfes wird der Ton erfahrungsgemäß rauer, und vor diesem Hintergrund muss man wohl auch die in Ansätzen schnotzig-polternde Reaktion von Herrn Dr. Thomas Feist auf einen Kommentar seines Kollegen Wolfgang Tiefensee einordnen.
Feist wirft Tiefensee grosso modo Inkompetenz, “Ratlosigkeit” und “platte Sprüche” vor, betrachtet jedoch offensichtlich das Thema Studiengebühren selbst recht undifferenziert und unkritisch sowie nahezu ausschließlich aus einer finanziellen Perspektive. Aber der Reihe nach.
Natürlich ist es begrüßenswert, dass die Mittel für den Hochschulbereich in der laufenden Legislaturperiode um 13 Milliarden aufgestockt wurden. Lässt man den von Herrn Dr. Feist angeführten Aspekt der Maßnahmen für bessere Anerkennung und Übergänge, die sich mir in ihrer finanziellen Größenordnung leider nicht erschließen, außen vor, macht das auf das Jahr gerechnet im Durchschnitt 3,25 Milliarden aus, die unter den 118 staatlichen Hochschulen und Universitäten in Deutschland aufgeteilt werden können.
Wie viel von diesen Geldern letzten Endes tatsächlich in eine qualitative Verbesserung der Forschung und Lehre investiert werden kann, bleibt allerdings unklar, zumal man bedenken muss, dass allein im Zeitraum von 2008 bis 2012 die Studierendenzahlen um etwa 475.000 gestiegen sind. Mehr Studierende heißt aber zwangsläufig auch, dass mehr Personal sowie mehr und/oder größere Unterrichtsräume benötigt werden. Das kostet. Darüber hinaus leiden auch Universitäten und Hochschulen unter steten Ausgabensteigerungen (höhere Tarifabschlüsse für das Personal, steigende Sachkosten, steigende Kosten für Energie etc.); diese werden augenscheinlich oft nicht ausreichend finanziell kompensiert. Ein aktuelles Beispiel aus Leipzig: Die Haushaltssituation der Universitätsbibliothek, von der sicherlich auch Herr Dr. Feist gehört hat.
Über Studienergebnisse zu Auswirkungen von Studiengebühren auf die Aufnahme bzw. Nichtaufnahme eines Studiums lässt sich (wie über jede andere wissenschaftliche Studie im Übrigen auch) streiten – das ist ein alltäglicher und essenzieller Bestandteil der wissenschaftlichen Diskussion. Allein die Tatsache, dass die OECD in ihren Länderberichten über Chancengleichheit im Bildungssystem Deutschland alljährlich dafür rügt, dass es eine starke Abhängigkeit zwischen der sozialen Herkunft (und mithin den finanziellen Möglichkeiten) und den Schulabschlüssen der Schüler/innen gibt, wirft allerdings zwangsläufig die Frage auf, warum der Faktor “Geld” ausgerechnet auf die Entscheidung für oder wider ein Studium keinen oder allenfalls einen geringen Einfluss haben soll. Denn Fakt ist, dass ein Studium nicht nur den/die Steuerzahlenden viel Geld kostet, sondern auch die Studierenden bzw. (je nach Förderung über Stipendien, BAföG oder Einkommen durch Nebenjobs etc.) deren Familien. Eine Einführung flächendeckender Studiengebühren könnte demnach durchaus als eine weitere finanzielle Barriere für die Aufnahme eines Studiums wahrgenommen werden und Abiturienten/ Abiturientinnen aus finanzschwächeren Familien von einem Studium abhalten.
Natürlich spielt bei dieser Entscheidung (mindestens) noch ein weiterer Aspekt eine Rolle, den auch Herr Dr. Feist – wenn auch in einer eher stereotypen und stark verallgemeinernden Art – angeschnitten hat: die Frage nach beruflichen Perspektiven von Akademikern. Herr Dr. Feist versucht hierbei, verschiedene Elemente im Bildungssystem gegeneinander auszuspielen, indem er den Wunsch äußert, kostenlose KiTa-Plätze anzubieten, “statt den Bildungs- und Einkommensgewinnern (= Studenten) ihren Aufstieg auf Kosten aller derjenigen zu finanzieren, die eben nicht studieren”.
Es scheint mir, als ob Herr Dr. Feist die sehr heterogenen Aufstiegs- und Verdienstrealitäten von Akademiker schlicht und ergreifend nicht wahrnimmt – oder nicht wahrnehmen will. Während vor ein paar Jahrzehnten das Abitur durchaus ein Garant für einen sicheren und gut entlohnten Job war, so ist heute selbst ein Universitätsabschluss keine Sicherheit mehr für eine ordentliche und (wie Herr Dr. Feist meint: überdurchschnittlich) gut bezahlte Arbeit.
Wer nicht gerade eines der sogenannten MINT-Fächer studiert hat, die aufgrund des Fachkräftemangels tatsächlich in der Regel noch höhere Einkommen und Aufstiegschancen versprechen, hat es heutzutage auf dem Arbeitsmarkt nicht gerade leicht. Sicherlich hat auch Herr Dr. Feist vernommen, dass in Sachsen trotz Lehrermangels nur ein Bruchteil aller Absolventen mit dem 2. Staatsexamen eine Arbeitsstelle als Lehrer finden. Und wer zu den wenigen Glücklichen gehört, darf sich im Übrigen dank der schwarz-gelben Politik in Dresden über die bundesweit niedrigste Entlohnung für Lehrer freuen.
Noch schwieriger wird es schließlich für Akademiker, die ein geisteswissenschaftliches Studium ohne konkreten Berufsbezug absolviert haben – und das betrifft, das dürfte sicherlich auch Herrn Dr. Feist bekannt sein, einen nicht kleinen Teil der Leipziger Studierenden. Insofern ist die Unterstellung, Akademiker wären Gewinner und würden per se besser verdienen als Nichtakademiker, in ihrem Absolutheitsanspruch schlichtweg falsch.
Schon der Tagesspiegel titelte vor ziemlich genau einem Jahr, dass sich ein Studium aus finanzieller Perspektive heute oftmals nicht mehr lohnt (Tagesspiegel vom 04.08.2012: http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/maessiger-verdienst-studieren-zahlt-sich-oft-nicht-aus/6962842.html). Oder wie wäre es sonst möglich, dass ein gelernter Facharbeiter am Fließband bei Audi mehr verdient als ein Ingenieur in einem kleinen mittelständischen Unternehmen? Oder ein Versicherungsverkäufer mehr verdient als ein Architekt? Oder (schein?)selbstständige Honorarlehrkräfte wie meine Kolleginnen/Kollegen und ich, die – das muss an dieser Stelle einfach mal gesagt werden – im Auftrag eines Bundesamtes unterrichten und am Monatsende weit weniger netto in der Tasche haben als ein/e gelernte/r Verkäufer/in im Einzelhandel*?
Ist es vor diesem Hintergrund dann nicht gerechter, ein Erststudium weiterhin kostenfrei aus Steuermitteln zu finanzieren? Wer als Akademiker später wirklich zu den Spitzenverdienern gehört, kann über die Steuern einen Teil seiner Ausbildung zurückzahlen. Und wer als Nichtakademiker zu den Besserverdienenden gehört, sollte dies auch verschmerzen können. Schließlich nutzt der akademische Betrieb nicht einzig und allein den Akademikern; Wissen, neue Forschungserkenntnisse und Entwicklungen etc. haben positive Rückwirkungen auf die Gesellschaft und selbstverständlich auch auf Wirtschaft und Industrie.
Insofern sollte sich Herr Dr. Feist, bevor er seinem Kollegen Inkompetenz und “platte Sprüche” vorwirft, wohl zunächst einmal selbst fragen, ob nicht auch seine Sichtweisen ein wenig zu platt für unsere komplexe Welt sind.
*Für den interessierten Leser sei folgende Petition empfohlen:
www.change.org
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