Lange haben Forscher gerätselt: Wann fing das den eigentlich an mit dem Greifen, Basteln, Bauen, Festhalten und Begreifen? Dass es wichtig war für die Menschwerdung, dass hat man ja schon gewusst. Aber wann wurde der Mensch oder einer seiner Vorfahren tatsächlich handgreiflich, fragen sich Forscher vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Jetzt wissen sie's: Das ist mindestens 2 Millionen Jahre her.
Die menschliche Hand unterscheidet sich in mancher Hinsicht von der Hand anderer Primaten. Mit ihr können wir Gegenstände präzise greifen und sie unter Kraftanwendung gebrauchen. Doch wie verwendeten unsere frühen menschlichen Vorfahren ihre Hände? Diese Frage war unter Wissenschaftlern lange umstritten. Anthropologen der University of Kent und des University College London, des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der Technischen Universität Wien konnten bestätigen, dass Australopithecus africanus vor drei bis zwei Millionen Jahren bereits Steinwerkzeuge nutzte. Er setzte dazu seine Hände auf dieselbe Art und Weise ein wie moderne Menschen heute.
Es war ein entscheidender Moment in der menschlichen Evolution, als unsere Vorfahren ihre Hände nicht mehr zum Klettern, sondern zum Gebrauch von Werkzeugen eingesetzt haben. Kraftvolles Zugreifen und die präzise Dosierung der eingesetzten Kraft waren dafür entscheidend. Wann genau die Hände nicht mehr zur Fortbewegung, sondern zum Gebrauch von Gegenständen eingesetzt wurden, ist jedoch unklar.
Mit neuen Untersuchungstechniken haben Matthew Skinner und Tracy Kivell vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und der University of Kent analysiert, wie bereits ausgestorbene Arten ihre Hände benutzten. Dazu analysierten sie die interne Struktur von Handknochen. Die schwammartige Struktur der sogenannten Trabekel (Knochenbälkchen) im Inneren der Knochen wird im Laufe des Lebens ständig umgebaut und spiegelt so das Verhalten eines Individuums wider. Je öfter der Knochen belastetet wird, um so stabiler muss auch die Struktur der Knochenbälkchen sein.
“Diese Strukturen richten sich im Lauf der Zeit so aus, dass sie die täglich auftretenden Belastungen möglichst gut aufnehmen können“, sagt Dieter Pahr vom Institut für Leichtbau und Struktur-Biomechanik der TU Wien, wo spezielle Computeralgorithmen für die Auswertung von Computertomografie-Aufnahmen von Knochen entwickelt wurden.
Zunächst untersuchten die Forscher die Trabekelstruktur in Handknochen von Menschen und Schimpansen. Dabei fanden sie deutliche Unterschiede: Im Gegensatz zu Schimpansen können Menschen einen Gegenstand kräftig und präzise mit dem Daumen und den anderen Fingern greifen und dabei umschließen. Diese für den Menschen einzigartige Fähigkeit konnte zuvor bereits für andere fossile Menschenarten, die nicht in Bäumen lebten und Steinwerkzeuge verwendeten, belegt werden, z. B. für die Neandertaler. Nur dass er unter den menschlichen Verwandten ein sehr junger Verwandter ist.
Doch richtig zugreifen konnten augenscheinlich auch schon viel frühere Verwandte.
Die neuen Forschungsergebnisse zeigen, dass die Trabekelstruktur des Daumens und die der Mittelhandknochen in der Handfläche von Australopithecus africanus ähnlich beschaffen sind wie bei modernen Menschen. Dies befähigte diese Art zum kraftvollen Zugreifen und Umschließen eines Gegenstandes mithilfe des Daumens und der restlichen Finger, wie es für den Gebrauch von Werkzeugen nötig ist. Und da mussten auch die Forscher nun etwas Neues lernen: Von der Art Australopithecus africanus, die vor drei bis zwei Millionen Jahren in Südafrika lebte, hatte man lange Zeit angenommen, dass sie für gewöhnlich keine Werkzeuge herstellte.
„Mithilfe der neuen Belege können wir das Verhalten unserer frühen Vorfahren jetzt noch besser verstehen. Sie waren uns in einigen Aspekten ähnlicher als bisher gedacht“, sagt Matthew Skinner vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und der University of Kent.
Darüber hinaus bestätigen die Ergebnisse der aktuellen Studie zuvor veröffentlichte archäologische Belege zum Steinwerkzeuggebrauch bei Australopithecinen. Sie liefern nun neue Befunde anhand von Skelettteilen dafür, dass unsere frühen Vorfahren die für Menschen typische Handhaltung viel früher und häufiger anwendeten als bisher bekannt.
„Es gibt mehr und mehr Belege dafür, dass die Entstehung der Gattung Mensch nicht auf der Entstehung völlig neuer Verhaltensweisen, sondern vielmehr auf einer Akzentuierung der bereits bei Australopithecus vorhandenen Eigenschaften fußte, einschließlich der Werkzeugherstellung und des Fleischverzehrs“, erläutert Jean-Jacques Hublin, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
Der Mensch entwickelte seine Fähigkeiten also nicht einfach so über Nacht, sondern konnte schon auf eine Reihe von Voraussetzungen bauen, die sich in der Reihe seiner Vorfahren seit über 2 Millionen Jahren entwickelt hatte.
Quelle: SJ, PG/HR, Max-Planck-Insitut für evolutionäre Anthropologie
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