Einmal wieder Wähler sein. Ganz stinknormaler Wähler, der mit einem leichten Sektschwipps sonntags zur Wahl hirscht, sich nicht weiter Gedanken machen muss, außer „Wo ist nochmal diese blöde Wahlbescheinigung, die lag doch die ganze Zeit hier?!“ und natürlich „Scheiße, wo mach’ ich denn nun mein Kreuz?“. Ich, ihr Kolumnist der Herzen, neide all jene da draußen – also SIE, liebe Leserinnnen, denen nur noch ein fertiges Wahlblatt serviert wird, mit mehr oder meistens weniger guten Ankreuzoptionen.
Multiple-Choice Democracy, quasi. Es könnte so einfach sein! Aber ihr MP in spe a.D. und Landesvorsitzender von Sachsen (immer noch, denn es will immer noch keine andere den „Job“ „machen“) schaut wie immer hinter die Dinge, und lernt dabei Sachen, auf die man auch verzichten könnte, sie kennengelernt zu haben.
Ergebnisprotokolle zum Beispiel. Denn so einfach ist es gar nicht, und das ist wenig Leuten bewusst, welch durch und durch teutonischen und gleichsam titanischen Zettelapparat es auszufüllen gilt. Da gibt es Aufstellungsversammlungen und Wahlen für Wahlvorstände, Mitschriften für Niederschriften, Wählbarkeitsbescheinigungen und stattliche Eidesstattliche Erklärungen.
Denn: wer was falsch macht, macht sich strafbar. Siehe § 154, StGB – „Wer vor Gericht oder vor einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle falsch schwört, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.“ Huiuiui, denkt sich da der demokratisch interessierte Bürger und lässt es lieber gleich bleiben.
Doch darum gibt’s es – al-Hamdu li-Llah! – die PARTEI. Mit einer intrinsischen Verachtung für die verwaltete Welt, bei gleichzeitiger dem Helsinki-Syndrom gleichenden Faszination für das Öde, stellen sich alljährliche Genossene in großen und kleinen Versammlungen den Fährnissen des Apparats.
Da wird munter aufgestellt, dem grauen Koloss hämisch in die ausdruckslose Fratze gelacht, ausgefüllt und unterschrieben. Und was habe ich dieses Jahr nicht schon alles unterschreiben müssen! Da sind Kommunalwahlen im ganzen Sachsenland, allein in Leipzig mit zehn Wahlkreisen, und die Anrainer, denen wir von der PARTEI Leipzig doch so gerne unter die Arme greifen.
Nordsachsen beispielsweise, der verbrannte Landstrich da im Norden dieser unserer schönen Stadt, in dem noch anständige Deutsche, also Faschos, in großem Stile das Crystal Meth auf die Straßen bringen, und nicht das giftige Geschäft vom „Asylerer“ überfremdet ist. Im betulichen Schtetl Taucha, da treten Genossene an, denen die Deutschen auch schonmal das Fahrrad anzünden (wirklich kein Scherz). Da gibt es den Kreis Meißen, letztmaliger Gewinner des „Braun-Award“ für die meisten rechten Stimmanteile in ganz (!) Sachsen.
Da ist Dresden, dieses schlecht gebombte Barockmuseum, mit seinen sogar elf Wahlkreisen und noch viel mehr Stadtbezirken, die man überraschenderweise sogar direkt wählen darf (in Leipzig hatte Kuno Kumbernuß einen ähnlichen Antrag im Stadtrat gestellt, aber den Leipziger Demokraten war die Demokratie zu teuer).
Die Gebiete Ostelbiens, die in Sachen Braun-Award schon immer ganz weit vorn mitspielen, versuchen auch dort letzte Bastionen der Vernunft zu halten. In der Sächsischen Schweiz hingegen sind die Festen schon geschliffen, die letzte Waldbrandsaison hat die letzten bunten Flecken scharz-braun gefärbt. Das Erzgebirge ähnlich düster („Aue – das tut weh!“), allerdings gibt es Hoffnung in den Westlanden. Werdau als Leuchtturm des Kreises Zwickau („Eenma Zwicke, und züricke“).
Allerorten schreiten die Genossenen unbeirrt in Richtung der Wahlämter, um FÜR SIE auf dem Wahlzettel zu stehen. Keine Mühe gescheut, kein Formular unausgedruckt lassen sie, um die letzten demokratischen Wahlen in diesem Freistaat zu zelebrieren.
Mental schon auf dem Weg in die illiberale Demokratie
Ihr MP in spe a.D.
Tom Rodig
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