Zunächst entschuldigen Sie bitte, liebe Leserinnen, aber wir müssen schon wieder nach Chemnitz schauen. Denn heute, als ich diese Zeilen schreibe, ist bekannt geworden, dass da zwei überzeugte Neonazis, wohnhaft in der Karl-Marx-Stadt, sich einen vermeintlich schlauen Plan aus den Fingern gesaugt haben. Es sieht nämlich alles so aus, als wäre das vor zwei Wochen an einem der beiden verübte und recht blutige Verbrechen gar keins gewesen. Oder besser: ein ganz anderes Verbrechen. Was war denn nun passiert? Das fragen Sie sich zu Recht! Und ich will ihnen Antwort geben.
Der einschlägig bekannte, wegen Langfingerei vorbestrafte Nazi Alexander W. verliert drei Finger – abgehackt durch eine Machete. Die Rechtsradikalen von den „Freien Sachsen“ (bekannt durch Forderungen wie „Kretschmer verhaften“ und „Frieden für Ruß(!)land“) verkünden sogleich die Täter: „Hammer-Bande um Lina E. wird zur Macheten-Bande“.
Ganz klar, es waren also Linke. Aber Überraschung: Heute erfährt man, dass die Staatsanwaltschaft wegen „Vortäuschung eines Verbrechens“ ermittelt (was wiederum ein Verbrechen ist), denn der Kumpel vom 7-Finger-Mann habe angeblich die Machete geschwungen.
Die beiden haben das Verbrechen nur fingiert, um es Linken in die Schuhe zu schieben. Ob diese Ermittlungen nun durch Auffinden eines Fingerabdrucks oder wegen der allgemeinen Ungereimtheiten des Falls aufgenommen wurden, ist (noch) nicht bekannt.
Jedenfalls muss man die eiserne Gesinnung der beiden durchaus anerkennen. Es war klar, dass sich die Presse nach Gewalt-durch-Linke-Vorfällen die Finger lecken würde. Und sich für diese Fake-News vom Zehnfingersystem verabschieden, so überzeugt von der eigenen Schlauheit muss man erstmal sein. Allein, Konzertpianist wird dieser Herr W. in diesem Leben wohl nicht mehr.
Wenigstens reiht sich die Aktion in die lange Reihe von faschistischen Falschmeldungen ein. Ziemlich genau 100 Jahre und ein halbes ist der Reichstagsbrand her. Der hatte bekanntlich die Reichstagsbrandverordnung zur Folge, die wiederum den Weg bereitete, die verhassten Kommunisten und Kommunistinnen in die Konzentrationslager zu stecken. Spätestens bei dem berühmten Prozess, hier in Leipzig, wurde deutlich, dass die verdächtigen Antifaschisten es nicht gewesen sein konnten.
Einer der Verdächtigen und spätere bulgarische Ministerpräsident Georgi Dimitroff hatte sich zur Aufgabe gemacht, die Lügen der Nazis durch knallharte Kreuzverhöre und Befragungen bloßzustellen. Dies tat er derart erfolgreich, dass die zunächst öffentlichen Verhandlungen alsbald hinter verschlossenen Türen stattfanden und Nazigrößen wie Hermann Göring sich nicht nur in Widersprüche verstrickten, sondern am Ende vor Wut schnaubten. Hätten die beiden Schlauberger aus Chemnitz das einmal lieber als einen Fingerzeig des Schicksals verstanden.
Wir, die PARTEI Sachsen, werden jedenfalls am Wochenende einmal nach den Rechten sehen. Es ist nämlich „Tag der Sachsen“ und zwar in Aue. Genau, jenes Aue-Bad Schlema in dem ihr MP in spe erst vor ein paar Monaten vor Gericht stand. Denn im Vor- und Antäuschen sind wir auch nicht die Schlechtesten. Nicht dass sie mich falsch verstehen: Noch werden keine Streichhölzer unter unseren Genossenen gezogen, wer demnächst unter die Machete kommt.
Die PARTEI geht dabei wie immer mit deutlich mehr Fingerspitzengefühl vor. Nicht nur nehmen wir die Losung „Herzlich Willkommen im Schacht“ ernster als es den Auensern lieb sein wird, nein, wir bieten auch kulinarische Neuschöpfungen an. Zum Beispiel drei halbe Deutschländer Würstchen mit Ketchup, sozusagen: Fingerfood.
Leckt sich schon vor Vorfreude alle zehne …
Ihr MP in spe a.D.
Tom Rodig
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