Schlafes Bruder ist der Tod. Die sehr deutsche Abneigung gegen den Schlaf, diesem archaischen Zustand der Unproduktivität, entspringt dem Wunsch nach ungebrochener Schaffenskraft, Schweiß und Fleiß. Schwielen an den Händen sind Ausweis nicht nur der getanen Maloche, nein, auch der eisernen Gesinnung und einer „gesunden“ Arbeitsethik. Das Feindbild: der Gammler, der Tunichtgut, der Nichtsnutz, eben ganz und gar ein Todsünder, der sich der Faulheit schuldig macht.
Meine Partei, Die PARTEI, sieht das anders. Denn dass Schlaf die Leistung schmälert, ist ja in sich bereits ein Widerspruch, denn wer will behaupten, Ausgeschlafene arbeiteten schlechter als Unausgeschlafene? Der Mensch, der am längsten wach war (insgesamt 264 Stunden), ist danach verrückt geworden. Nun also benötigen wir die Schlummerei zum Leben und zum Überleben.
In unserer großartigen Wertverwertungsgesellschaft steht aber nie auch nur ein Rad still, und sie ist somit Erzfeind des Schlafes und der Träumerei. Das kann Die PARTEI nicht mehr mit ansehen, und streut fleißig Schlafsand. Wir fordern nämlich im Stadtrat, den Mittagsschlaf (wieder) einzuführen!
Nach reichlicher Überlegung und vielen Mützen Tagesschlaf entstand durch unsere Feder ein Antrag im Rat zu Leipzig. Die Verwaltung möge ein Pilotprojekt durchführen, um zu testen, wie die Schaffenskraft der Mitarbeitenden bei einem 8-Stunden-Tag mit zweistündiger Mittagsschlafpause sich entwickeln würde.
Eingereicht durch PARTEI-Genosse Kuno Kumbernuß, den heute fraktionslosen Kämpfer für die Rechte aller Geknechteten, tat der Vorschlag „Mittagsschlaf für die Verwaltung offiziell einführen“ schon im Frühjahr ein Schlag bis München: zuerst berichtete die BILD (falsch) von einem Linkenantrag, der MDR sprang auf, das Kapitalistenblatt Business Punk ebenso, sogar bis in die Süddeutsche Zeitung drang die Kunde vom guten Leben. Und die Schreiberin erkannte sogar den tieferen Sinn der Forderung: „Der Vorstoß ist absolut ernst zu nehmen und dringend auf andere Branchen auszuweiten.“
Im Gegensatz zu jenem Leithammel, der offensichtlich seine Belegschaft hasst (man hört aus dem Rathaus: Es beruht auf Gegenseitigkeit), nämlich Bürgermeister für Allgemeine Verwaltung der Stadt Leipzig, seines Zeichens zuständig für Personalangelegenheiten, Ulrich Hörning. In einer städtischen Brandschrift gegen das Vorhaben, sieht er in dem Antrag einen „Affront gegen die Beschäftigten der Stadt“, der es in „ehrabschneidender Weise darauf anlegt“, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu diffamieren.
Ehrabschneidend? Sind wir denn hier in einer Burschenschaft? Abgesehen davon, dass der Menschenschinder Hörning als Unternehmensberater und Wirtschaftsfuzzi sowieso nur Maschinen und keine Menschen sieht, setzt er sich auch nicht einmal im Ansatz mit den sehr guten Argumenten auseinander, die Die PARTEI vorbringt. Denn es ist für alle was dabei!
Die SPD müsste den Antrag gut finden, wegen der Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die CDU, weil es die Schöpfung bewahrt, die Grünen wegen der eingesparten Energie, die Linken, weil es den arbeitenden Massen hilft, und die FDP-Freibeuter können eigentlich gar nicht über die Produktivitätssteigerung hinwegsehen, die so ein Kraftnickerchen mit sich bringt. Was die AfD davon hält, ist uns natürlich wie immer egal (ihnen wird sicherlich irgendein Schwachsinn dazu einfallen).
Dennoch wird’s wohl scheitern. In Leipzig demnächst selig ausgeruhte Verwaltungsmitarbeitende zu bestaunen, dafür ist die Stadt wohl einfach noch nicht weit genug. Kleechen bis zum Klimatod, lautet offenbar die Devise, aber wir, Die PARTEI, können uns nicht vorwerfen lassen, dem ewig rotierenden Hamsterrad kein Stöckchen in die Speichen geworfen zu haben.
Legt sich erstmal wieder hin
Ihr MP in spe a.D.
Tom Rodig
„Rodig reflektiert: Zeit für Mittagsschlaf“ erschien erstmals im am 30. Juni 2023 fertiggestellten ePaper LZ 114 der LEIPZIGER ZEITUNG.
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