Es begab sich in der Aprilsitzung des Stadtrates, dass einmal wieder, wie alle sieben Jahre, eine Kulturbürgerinnenmeisterin zu wählen war. Das macht der Stadtrat, und der Stadtrat darf sogar auch eigene Vorschläge einreichen. Unser, mittlerweile aus den stalinistischen Fängen der Linksfraktion entkommene, Stadtrat Kuno Kumbernuß fackelte nicht lange und hielt dem verdienten PARTEI-Genossen Christoph Meißner ein paar Tage vor der Wahl einen Wisch unter die Nase, um sich seine Bewerbung bestätigen zu lassen und beim Oberbürgerinnenmeister einzureichen.
Und so mahlten die Verwaltungsgänge und der einzig wahre Christoph Meißner wurde Kandidat. Doch so einzigartig war er dann leider doch nicht. Die Stadtverwaltung schrieb erstmal den falschen Christoph Meißner an, der sich sogleich auf Twitter wunderte, dass Kuno ihn nominiert habe. Nichtsdestotrotz bereiteten sich der richtige Meißner und Die PARTEI eingehend auf die Wahl vor – eine Rede musste her!
Damit man etwas reden kann, muss man wissen, worüber. Also stiegen wir hinab in die Tiefen der Leipziger Kulturszene und ritten einmal quer durch die Kulturlandschaft, um dabei einen Zuckerguss aus turbopolitischen Forderungen auf sie niedergehen zu lassen.
Und an diesen vorzüglichen Genüssen möchte ich Sie, liebe Leserin, natürlich teilhaben lassen. Wie jede gute Rede beginnen wir mit den schlechten Dingen, also alles was falsch läuft in dieser Stadt. Da sehr viel kaputt ist, wir aber von Kultur reden, macht man es den Zuhörenden leichter, ein konkretes Themenfeld zu benennen. Was könnte da in Leipzig besser sein als: Musik? Genau!
In der Musikstadt Leipzig, wo der alte Bach schon lange keine neuen Sachen geschrieben hat, trällert der Thomanerchor. Doch sind reine Männervereine nichts, womit sich eine moderne Kulturstadt brüsten sollte. Wenn diese Männer dann auch noch „Knaben“ heißen, bekommt das direkt einen unangenehm-katholischen Touch. Soll doch lieber die Kirche ihren Propagandachor finanzieren!
Am anderen Ende der Reichtumsverteilung werden die, die ihren Lebensunterhalt am Eingang des Hauptbahnhofs zu bestreiten pflegen, unentwegt mit klassischer Musik beschallt. Statt der ewig gleichen, uralten Kantaten plädieren wir dafür, die schrammeligen Sounds von der Subkultur verhafteten Bands aus Leipzig über die Lautsprecher zu pumpen. Denn wer will beim Sterni trinken schon Bach hören?
Musik ist Kultur, aber eben nicht alle Kultur. Es gibt Protestkultur, die wir gerne an der Volkshochschule gelehrt wissen wollen – Stichwort: Kurse im Arbeitskampf und Barrikadenbau! Auch sollten die Jahresendfeierlichkeiten in Connewitz endlich ins UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen werden. Dann klappt’s auch bald mit der autofreien Innenstadt. Da Protestkultur engstens mit der Trinkkultur verbunden ist, wollen wir das obligatorische Sterniweitwerfen wieder bezahlbar machen.
Eine solidarische Um-Eignung der Sternburgbrauerei in kommunalen Besitz bringt frisches Geld in die Stadtkasse. Gemeinwohlorientierte Wirtschaft heißt, Sternburg Pils vom Markt zu nehmen. Apropos Gemeinwohl: Die Stadt Leipzig wird ja sehr gerne aus dem Umland bereist, denn es ist reich an Geld, aber arm an Kultur. Darum wollen wir eine Kultur-Kur-Taxe für Provinzler einrichten, die noch mehr frisches Geld in die Stadtkasse spült.
Und dies sind nur einige unserer progressiven Forderungen! Trotzdem bekam unser Turbokandidat Christoph Meißner nur drei Stimmen. Ein richtiger Job und sowas wie Zukunftsaussichten bleiben ihm damit verwehrt. Müssen wir ihn wohl doch in der Wirtschaft unterbringen. Aber das hat noch Zeit, die nächsten Kommunalwahlen sind erst 2024.
Freut sich schon auf einen Leipziger Kabarettbeauftragten
Ihr MP in spe a.D.
Tom Rodig
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