Achtung, liebe Leserschaft, es dräut Ihnen eine Neiddebatte. Doch bitte, keine Sorge, es geht nicht um Ihren Wohlstand. Weder ihr neues Lastenrad, noch das frischgepresste Telefon, auch nicht die polierte Flasche Schampus, schon gar nicht der anstehende Bali-Urlaub will ich Ihnen neiden. Es ist sogar noch viel besser: Ich neide Ihnen überhaupt gar nichts. Nichts liegt mir ferner als Neid!
Dass ich mir damit doch nur in die Tasche lüge, das ist die Ansicht einiger vieler und vor allem lauter Debatteure. Denn von den Vorstandsgremien der FDP bis in die Redaktionspaläste der WELT wird oft und gern der Vorwurf in die Öffentlichkeit posaunt, Neid wäre etwas pathologisch Menschliches.
Insbesondere die Schlechtbetuchten, die sozial Abgehängten, die vulgo Armen dieses Landes würden Tag ein Tag aus nichts anderes tun als: neiden. Einzig ihr Neid sei der Grund dafür, den Reichen den Zaster, den Kaviar und die Sylter Hochzeit zu missgönnen.
Nicht etwa ein Gerechtigkeitssinn, nein, es muss Neid sein!, wenn man sich an den Obszönitäten stört, die dieser so reibungslos kapitalistisch organisierte Planet qua Erfolgsmenschentum hervorbringt. Das schwere Geschütz „Sozialneid“ an der Debattenfront in Stellung zu bringen, darum sind die Verteidiger der Profitoptimierung noch weniger verlegen, als ein Hofreiter Anton sich schwere Waffen in den Donbass wünscht.
Doch woher kommt er? Welch tiefer Güllegrube der menschlichen Gefühlslandschaft entspringt er? Ich meine natürlich nicht den Neid, sondern den Neidvorwurf. Die Sabberhexer (und Hexen) des marktradikalen Feuilletons prusten ihn heraus, als wär’s ihnen angeboren.
Sie liegen in ihren aus Ruhmsucht und Ehrgeiz gehäkelten Hängematten mit dem allerneuesten MacBook auf dem Schoß und wüten. Wüten über die Armen, auch die vermeintlichen, über jene, deren Gerechtigkeitssinn noch nicht völlig vom Verblendungsapparat vernagelt ist.
Und wir, liebe Leserschaft, die sie mit mir im selben, schäbigen Kutter sitzen? Wir sollen Ruhe bewahren und Anerkennung zeigen, wenn mal wieder einer der Charaktermasken des Kapitals ein ganz besonders schweinisches Kunststück der Zurschaustellung von überbordendem Wohlstand fertiggebracht hat.
Christian Lindner (genau, der schmierige FDP-Finanzer) hochzeitet dort, wo „Multimillionäre die Insel kapern“ („Spiegel“-Titel vom 23.07.), wobei es sich nicht einmal um eine besonders große Schweinerei handelt, dank medialer Rundumberichterstattung zwar eine sehr sichtbare, und der Plebs soll sich im Zaum halten, alle Kritik am ostentativen Geldrauswerfen, auch noch während der Krise (wobei immer Krise ist, fragen sie Kalle Marx) sei reiner, purer, moralistisch saurer Neid, und das kann der WELT-Redakteur natürlich nicht auf die Kette kriegen, weil doch gerade die FDP-Wählerschaft den Lindner-Lackaffen genau dafür gewählt hat.
Die Tochter des Neides ist die Verleumdung, sagt der italienische Abenteurer Giacomo Casanova und hat damit ein Zitat geprägt, das schwitzende Kolumnisten in ihre Texte einbauen, wenn sie das Neiden diskreditieren wollen. Missverstehen Sie mich richtig: Der Neid ist kein erstrebenswertes Gefühl.
Ihn aber gegen jeden berechtigten Einwand bezüglich der irrationalen Verhältnisse anzubringen, ist nicht nur faul, sondern auch dumm. So schön dumm sogar, dass er immer wieder in Stellung gebracht wird, wo das a) absurde Gebaren der Reichen und b) die Quellen ihres Reichtums in der Öffentlichkeit abgebildet werden. Man könnte ja aus Versehen die Kräfte des Marktes beleidigen.
Ihr Kolumnist ist schon deshalb beleidigt, weil ihm damit auch immer unterstellt wird, insgeheim auch gern reich zu sein. Und das ist wirklich die größte Schweinerei von allen.
Bleibt dann doch lieber arm und selig,
Ihr MP in spe a.D.
Tom Rodig
„Rodig reflektiert: Über den Neid“ erschien erstmals am 29. Juli 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 104 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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