Sie denken vielleicht, diese PARTEI-Arbeit sei ein Zuckerschlecken: Man lässt sich gemütlich volllaufen, während man am Tresen hängt und ulkige Sprüche klopft, die den Gesamtunsinn aufzeigen und ins Lächerliche ziehen. Mit fortgeschrittener Stunde werden die Ideen immer absurder, vieles davon wird zum Glück am nächsten Morgen vergessen sein.
Das Schlimmste ist der Kater tags drauf. Von den Plänen, die man sich vorlegt, wird höchstens ein Drittel umgesetzt, und beim Rest ist es auch nicht schlimm drum, wenn sie in der Schublade vergammeln. Das ist PARTEI-Arbeit, und das ist auch gut so.
Dieser grundfeste Konsens in jener meiner Partei wird jedoch ins Wanken gebracht durch die hintertückische Gesetzgebung des Parteienrechts. Denn jede, wirklich jede Partei muss dem Staat, in dem sie wählbar sein möchte, einen Stapel offiziösen Papiers hinwerfen.
Dieser besteht zumeist aus Protokollen, Satzungen und Grundsatzprogrammen. All dieses muss angefertigt werden, in einer Weise, die genauso verregelt daherkommt, wie das deutsche Steuerrecht. Und damit werden sogar gestandene Genossinnen und Genossen von Die PARTEI mürbe gemacht.
Parteitag im Sportpalast
Wenn Wahlen die Freudenfeste der Demokratie sind, dann sind Parteitage die Wochenendfestivals der Politszene. Denn eine Partei soll nicht nur nach außen den Demokratiebetrieb bespielen, sondern muss selbst nach demokratischen Regeln spielen. Darum gibt es Parteitage, auch bei Die PARTEI und zuletzt sogar den größten solchen, nämlich einen BundesPARTEItag. Da meine Partei mich so sehr schätzt, hat sie dieses Jahr das Datum sogar auf meinen Geburtstag gelegt. Nochmals danke dafür!
Solche Großveranstaltungen dienen vor allem der Wahrung des demokratischen Scheins. Ist Die PARTEI doch eine führerzentrierte Kaderpartei, die Wahlen von Vorständen, Schiedsgerichten, Volkskommissariaten, Zentralräten und solcherlei Strukturwust in der Tiefe ihres Herzens komplett ablehnt. Aber was will man machen, so leicht darf man es den Feinden der PARTEI da draußen nicht machen und sich wegen Formalitäten vom Wahlzirkus disqualifizieren lassen. Und so findet sich ihr Autor wieder in der Reisegruppe „PARTEI-Reisen Teil 574“, diesmal auf dem Weg nach Leverkusen.
Bekannt für seine Werkself, den namensgebenden Chemiekonzern Bayer und Unfällen, wie der Explosion im Chempark, deren Druckwelle weit über die Stadtgrenzen hinaus spürbar war, ist die Stadt selbst zudem ein Produkt der Industrialisierung.
Wann sonst hätte ein Fabrikant, nämlich Carl Leverkus, eine Stadt um sein Werk herum errichten können, und sie auch noch – mit der ganzen Bescheidenheit, die einem adligen Chemiefabrikanten eben eigen ist – nach sich selbst benennen können?
Wenigstens verfügt Leverkusen über eine Halle, die den niedrigen Ansprüchen einer Partei wie der unsrigen angemessen ist. Die sogenannte Ostermann-Arena dient im Normalfall der Austragung von Basketballspielen der Bayer-Frauen, Konzerten von weniger und nicht ganz so wenig bekannten Musikinterpretinnen und anderem kulturindustriellen Abhub, der in Arenen dieser Größenordnung aufgefahren wird.
Und an diesen schönen Ort nun sind meine Genossierenden und ich am Wochenende gefahren, um jenen Vorstand zu wählen, der sich Bundesvorstand rufen lassen darf. Nach einer weniger chaotischen Anreise als befürchtet (denn die Deutsche Bahn hat zumindest unsere Fahrt nicht beim ersten Windstoß ausfallen lassen), reiten wir mit wehenden Fahnen in Leverkusen ein.
Eine Favela unter der Autobahnbrücke
Das Problem einer Partei mit Wachstumsquoten wie der unsrigen (enorme Quoten!) ist die Notwendigkeit, ausreichend große Räume zu finden, die eine biertrinkende Pöbelhorde wie uns aufnehmen möchte. Finanziell hat die PARTEI keine Schwierigkeiten mehr, seitdem ihre Steuergelder, Stichwort: Parteienfinanzierung, in unsere Kassen fließen.
Doch dass der Verband sich in einen leicht in die Jahre gekommenen Arena-Bau einquartieren kann, ist das eine. Dass so manchem prekären PARTEI-Mitglied das nötige Kleingeld fehlt, um sich in ein leicht in die Jahre gekommenes Hotel in Leverkusen einzumieten, das andere.
So trifft es sich ganz ausgezeichnet, dass wir von Die PARTEI ausgerechnet am Wochenende des BundesPARTEItags ein Protestcamp unweit des Veranstaltungsortes ausrichten. Mit tatkräftiger Unterstützung der hervorragenden Leverkusener Genossys wurde eine offiziell angemeldete und genehmigte Dauerversammlung abgehalten: Von Freitagnachmittag bis Sonntagmittag demonstrierte PARTEI-Pöbel „Gegen ‚Leverkusen‘ – und alles, was daraus folgt“. Angenehmer Nebeneffekt: Zeltplätze für die aus Nah und Fern Angereisten, denen das Kleingeld fehlt, sich dekadent im Hotel niederzulegen.
Das Motto „Gegen Leverkusen“ zieht auch den WDR auf den Plan, der während der Aufbauphase das Camp besucht. Da wir wie immer bestens vorbereitet sind, haben wir uns die passenden Phrasen zur Erläuterung des Geschehens zurechtgelegt: „Was wäre Deutschland, gar die Welt, hätte es Leverkusen nie gegeben? Das Hustenmittel Heroin hätte nicht den Siegeszug angetreten, die erste Autobahn (A1) wäre nie gebaut worden und Giftmüll in rauen Mengen nicht auf dieses herrliche Stück Land am Rhein abgelagert worden.“
Mit dem hehren Versprechen, diese großen Fragen einer Beantwortung zuzuführen, lagerten wir uns selbst auf dem Grünstreifen neben der A1 ab. Antworten haben wir dort nicht gefunden, aber wir sind schließlich Die PARTEI und stellen nur die richtigen Fragen.
Verwahrloste Elendsdebatten
Beseelt vom Pressewirbel stratzten wir dann am Samstag die hundert Meter vom Camp auf das PARTEItagsgelände des „Sportpark Leverkusen“, der liebevoll und mit historischer Referenz aufgeladen in „Sportpalast“ umbenannt wurde.
Denn wer würde nicht gern einmal im Leben in einem Sportpalast eine Rede halten? Zu Beginn fühlte es sich auch noch wie eine gute Idee an – der Parteivorsitzende Sonneborn hält eine flammende Rede, der Parteipöbel ist angeheitert und leicht beschwipst wird ein neuer Vorstand gewählt. Doch dann kam alles anders.
Ein kleiner Teil der insgesamt schon als „extrovertiert“ zu bezeichnenden PARTEI war offensichtlich beschwingt von der Sportpalast-Atmosphäre und gab dem inneren Drang nach, die Veranstaltung in die unerhörte Länge von zehn (in Worten: zehn) Stunden zu ziehen. Mit Sachanträgen und (noch schlimmer) den dazugehörigen Sachdebatten wurde aus einem harmlosen Parteitag eine stundenlange Folter.
Zum Glück verschwimmt die Erinnerung ihres sie, liebe Leserinnen, so schätzenden Kolumnisten an dieser Stelle. Ich weiß noch, dass der Antrag „Rauchen ist geil“ vom Lungenflügel der PARTEI zwar abgelehnt wurde, aber nur, weil auch ich draußen stand und rauchte.
Und das ist, wie ich finde, auch ein schönes Gleichnis für die wahrgenommene und die tatsächliche Wertigkeit von Parteitagsbeschlüssen. Was bleibt, ist der wieder im Amt bestätigte Bundesvorstand mit einem charismatischen Führer an der Spitze. Es ist also noch nicht alles verloren.
Froh, wieder im Osten zu sein
Ihr MP in spe a.D.
Tom Rodig
„Rodig reflektiert: Das Elend der Demokratie“ erschien erstmals am 27. Mai 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 102 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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