Seien wir mal ehrlich, ausnahmsweise, so kurz vor Weihnachten (sonst gibt’s ja keine Geschenke). Es waren – ein jeder setze nun ein, wie alt er oder sie sich fühle – wirklich schöne Jahre bis hier. Angefangen in der Zeit nach 1945, wo alle sicher waren: nie wieder Krieg und nie wieder … na dieses andere hier, was zum Krieg geführt haben soll.
Da musste man gar nicht lange diskutieren, das war vorbei, der Schrecken ließ nur langsam nach, der Rest wurde museal eingebettet und gilt seitdem als „Gedenken an …“. Es ging in Ost wie West voran, man sanierte oder baute Kastenhäuser neu, alle durften wieder zur Schule gehen, statt am Flakgeschütz in den Nachthimmel zu ballern. Oder irgendwo im Moder eines eilig geschaufelten Grabens zu verrecken, ohne Zeit gehabt zu haben, wenigstens die Landessprache ansatzweise zu lernen.
Es ging voran, aus Erdöl wurden Plastikeimer, Benzin und Autos, später sogar Computer, Sitzmöbel und Telefone. Kohle verwandelte sich Winter um Winter in warme Wohnzimmer und die Städte erstrahlten im Lichte der schier unerschöpflichen und sauberen Atomenergie. Dazu alle paar Jahre eine Gehaltserhöhung und der eine oder andere baute sich ein eigen Häuschen und die Frau blieb zu Hause, wenns der Mann, der Alleinverdiener, befahl.
Das wichtigste aber war wohl, dass man eigentlich nichts mitbekam. Gut, Vietnamkrieg, ja. Korea? Am Rande. Vielleicht die Kubakrise, da war sie vielleicht mal kurz nah, diese Welt da draußen – immerhin hätte es ja vielleicht Atombomben in Europa geregnet. Vorbei, es folgte das 90er-Jahre-Versprechen, dass nun wirklich jeder seines Glückes Schmied auf goldenem Boden und mit rosiger Zukunft sei.
Ansonsten konnte man sich ab und an wohlig gruseln, wenn mal wieder in einem der wenigen TV-Programme erzählt wurde, dass wir, der globale Norden, den Planeten verbrauchen oder das ferne Afrika arm ist, damit wir reich sind. Und wenn der Araber, auf unserem Öl wohnend, aufmuckte, gabs was vor den Latz. Zum Glück blieben die ja alle da wohnen, wo wir den verdienten Urlaub machten.
Und was hieß schon reich? Es stand uns zu, das hatten wir erarbeitet, wir Schmiede, das gehörte alles uns allein und niemandem sonst. Ganz normal.
Es wird ein sehr weiter, steiniger Weg in ziemlich kurzer Zeit werden, unseren maßlosen Egoismus nicht nur zu erkennen.
Frohe Weihnachten wünscht, Eure Ilse.
„Normalitäten“ erschien erstmals am 17. Dezember 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG. Unsere Nummer 97 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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Keine Kommentare bisher
Nuja, schau mer mal, wo sich das neue “normal” einpendelt. Sieht ja nicht so aus, als ob der gemeine Alman von seinem gewohnten Platz auf dem hohen Roß widerstandslos weichen wollen würde…