Es ist Sonntag und aus dem Radio trällert Barbara Peters zu Georg Kreislers Klavierspiel. „Wir sind Terroristen gegen die Liebe, gegen die Faulenzer, gegen die Diebe, aber nicht einer gegen den Staat.“ Nun, gegen Staat und Kapital, da regt sich noch etwas – die sogenannte linke Szene. Der regional passende Code dafür lautet, in mühevoller Kleinholzarbeit erlangt und durch die bundesweite Presse etabliert, bekanntermaßen: Connewitz. Als linksradikale Trutzburg stilisiert, wo morgens schon der Duft zerbrochener Sterniflaschen, kokelnder Mülltonnen und Wutschweißreste nächtlicher Plenumse durch die Straßen weht. Man möcht’s glatt zum Geruch der Freiheit romantisieren.
Gewaltmonopoly
Das berühmt-berüchtigte Connewitz zieht aber mitnichten seinen Ruhm aus unsächsischen Alltäglichkeiten, wie einem solidarischen Miteinander, einer – für Ostdeutschland – recht hohen Akzeptanz für alternative Lebensweisen oder gar einem besonders linken, emanzipatorischen, oder wieauchimmer man es nennen will, politischen Gefüge. Connewitz steht im Kartoffelkopf vor allem als Chiffre für Gewalt. Gewalt gegen Abfallbehälter (Mülltonnen), Gewalt gegen Müllwerker (Polizei), Gewalt gegen Konsumhilfsmittel (Einkaufswagen).All diese Aktivitäten, denen von bürgerlicher Seite ganz grundsätzlich die Legitimität abgesprochen wird, werden von denen, die sie ausführen, verstanden als Gegengewalt. Und das macht auch Sinn, denn der Staat ist in seiner Gesamtheit genau jene Institution, die sich vorbehält, das Monopol an der Gewalt zu halten.
In einem modernen Staat wie dem deutschen lässt sich dieses Unterfangen sehr deutlich an der Ausstattung der Polizeikräfte erkennen: Schlagstöcke, schildkröteske Panzerung, Pfefferspray (aus der Dose), Tränengas (aus dem Gewehr), Wasserwerfer und nicht zuletzt Polizeipanzer, wie der berüchtigte „Survivor R“ des Freistaats Sachsen, ein bürgerkriegstaugliches 13-Tonnen-Ungetüm, passenderweise von Rheinmetall und MANs Tochterunternehmen „Military Vehicles“ hergestellt.
Dem gemeinen Demonstrierenden ist hingegen keine solche professionelle Ausstattung vergönnt. Unter dem Namen „passive Bewaffnung“ ist jegliche Schutzkleidung vor Knüppeln und knochenbrecherischen Wasserstrahlen verboten.
Nun könnte man annehmen, dass bei einer solch ungleichen Ausgangslage der Gewaltmittel jedwedes Aufbäumen zwecklos ist. Doch gibt die Geschichte genügend Beispiele, in denen Gewalt als Mitte seinen Zweck erfüllt hat. Der größte deutsche nichtstaatliche Gewaltakt war der Generalstreik im Jahr 1920, als Reaktion auf den rechten Umsturzversuch, landläufig als „Kapp-Putsch“ bekannt.
Die gesamte Geschichte der Arbeiter-, Frauen- und anderer Bürgerrechtsbewegungen sind voll von zerschossenen Demonstrationen, blutigen Kämpfen um politische Teilhabe, alternativen Staatsformen – oder gar keinen Staat, wie das anarchistische Projekt im Spanischen Bürgerkrieg – oder schlichtweg Gegenwehr gegen diktatorische Staatsstreiche. Allerdings lässt sich festhalten: Die Tage der Revolutionen sind gezählt. Das Gewaltmonopol der Bundesrepublik sitzt fest im Fahrerhaus des Wasserwerfers.
Gewaltige Folklore, oder: die brennende Tonne
Da sitzt man nun, in einer Demokratie, in der, wenn ein Auto brennt, die halbe Republik vor Empörung alle Manieren und Menschenrechtelei fahren lässt, und die zündelnden Linken wahlweise in die Fabrik oder ins Lager wünscht. Kaum brennt eine Mülltonne, eskaliert die Wortfindung und man findet sich in „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ wieder. Die Opfer der Bürgerkriege von Tschetschenien bis Syrien können da nur müde lächeln, doch für eine reißerische Pressemeldung reicht’s.
So sehr die bürgerlichen Reaktionen vor autoritären Reinigungsmetaphern strotzen, so sehr dominieren die Demonstrationsaufrufe der Linken ein Pathos, der von vorgestern scheint. Dieses Vorgestern reicht vom 19. Jahrhundert bis in die Neunziger Jahre, in denen das Schlagwort „Freiräume erkämpfen“ noch tatsächlich zur Umsetzung gelangt war. Das Besetzen von Häusern im Nachwende-Berlin und ja, auch in Connewitz, hatten zumindest noch den Anklang von Selbstbestimmtheit und Aufbruch.
Nicht unerwähnt dürfen auch die antifaschistischen Schläge gegen Nazibanden und perspektivlos-versoffene Kameraden vom rechten Rand bleiben. Der viel zitierte Satz von Esther Bejarano, KZ-Überlebende und Antifaschistin: „Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlasssen“ hat sich in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen aufs Übelste bewahrheitet.
Heute reicht es nur noch für ein Schmunzeln, wenn in Connewitz der Kampf nicht mehr um Häuser, sondern um Wände geführt wird, wie am berühmten Basketballplatz am Kreuz, wo sich Polizei und autonome Autochthone seit Jahren einen „No Cops“-Graffiti-Übermalwettbewerb liefern.
Die Mystik von Connewitz und den dort Lebenden hat etwas Ritualhaftes. Ihren Kolumnisten beschleicht der Verdacht, dass das Ritual umso wichtiger wird, je ferner die Realisierung des Geforderten rückt. Diese Ritualisierung wird dann wiederum von der Presse immer sehr dankbar aufgenommen, denn nichts ist für eine Redaktion, die ihre Artikel vollbekommen muss, besser, als feste Daten, Jubiläen und sich jährlich an immer gleichen Tagen wiederholende Ereignisse – das zumindest erklärt zum Teil die Begeisterung der Boulevardblätter für die Silvesterfeierlichkeiten am Connewitzer Kreuz.
Andere Städte haben andere Anlässe, wie zum Beispiel Berlin mit dem 1. Mai (der dann doch nicht nach Leipzig gewandert ist, aber sehr erfolgreich in ein verhältnismäßig harmloses Kreuzberger Straßenfest umgewandelt wurde). Doch vom Generalstreik – keine Spur.
Der behagliche Mief des Dabeiseins
Es ist eben das „Schöne“ am bürgerlichen Kapitalismus: Jeder, jede und jedes darf über kurz oder lang seinen Platz einnehmen, solange er, sie oder es sich nur anständig als Arbeitskraft verwerten lässt und nicht auf die Idee kommt, Sachwerte zu beschädigen oder aus einem Nicht-EU-Land hierher geflüchtet zu sein. Wer sich wehrt, wird integriert, und wer nicht, sowieso.
Insofern ist die Rede davon, „dem aufziehenden Sturm der Barbarei etwas entgegenzusetzen“ (aus dem Demoaufruf zur verbotenen „Alle zusammen“-Demonstration am 23.10. in Leipzig) natürlich immer noch verständlich, vielleicht sogar geboten.
Aber ist der Pathos von der „kämpferischen Entschlossenheit“ nicht bereits integriert in das Spektakel der Politik und der Medien? Ist nicht jede Titelseite mit einer brennenden Tonne bereits ein Bild, das das bestätigt was ist, und nicht an dem rüttelt, was wegmuss? Kann es sein, dass der bürgerliche und der Mief der autonomen „Szene“ in den letzten Jahren nur immer dichter und gesättigter geworden ist?
Als Propagandist im Dienste meiner Partei könnte ich an dieser Stelle mich noch viel weiter aus dem Fenster lehnen, doch muss ich auch für Die PARTEI feststellen – sie ist angekommen im bürgerlichen Wettbewerb um Mandate und Relevanz. Satirische Provokation heißt Angriff – und wenn sie nicht wehtut, macht man etwas falsch, Satire arbeitet destruktiv, sie will den Gegenstand ihrer Kritik vernichten.
An dieser Stelle muss man fragen, ob die Bühne, die ein Mandat wie Martin Sonneborn im EU-Parlament oder Kuno Kumbernuß im Leipziger Stadtrat bekleidet, es wert ist, dafür den fundamentalen Widerspruch gegen das Daseiende aufzugeben, den Satire als Kraft der Negation innehaben muss. Offensichtlich ist die Zeit gekommen, die Daumenschrauben der Kritik noch viel fester anzuziehen. Man munkelt, der Weg führt in den bewaffneten Widerstand. Wo soll man auch sonst noch hin?
Putzt und schmiert bereits die Waffen der Kritik,
Ihr MP in spe a.D.
Tom Rodig
„Rodig reflektiert: Tirade der Gewalt“ erschien erstmals am 29. Oktober 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG. Unsere Nummer 96 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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