Wir schreiben dieser Tage das 14. Jahr der Coronakrise, Moment, meinte ich Coronadiktatur? Nein, ich verwechsle was. Jedenfalls muss es Monate heißen. Es könnten allerdings auch 14 Tage gewesen sein, ich bin mir wirklich nicht sicher. Man munkelt, es sei Frühling, deshalb gehe ich davon aus, dass wir uns nicht mehr im Jahr 2020 befinden.
Es ist also schon wieder ‘33, denn vor kurzem wurde das Ermächtigungsgesetz erlassen. Aber warum ist Hitler schon über 70 Jahre tot? Verfügt mein Volksempfänger eigentlich schon über 5G-Empfang, und wenn nein, warum nicht? Notiz an mich: Bundesnetzagentur anfragen wegen des neuen Chipsatzes.
Welcher Schurke – oder welche Schurkin? – hat eigentlich diese grassierende, hochansteckende Planlosigkeit erfunden? Ihr findiger Kolumnist vermutet einen perfiden Plan der Regierenden dahinter. Mich beschleicht der Verdacht, der eigentliche Plan ist die Vortäuschung eines Planes.Darin besteht die eigentliche Perfidie: Den kreuz- und quer-Denkenden wird allenthalben vorgegaukelt, es gäbe so etwas wie ein fertiges Drehbuch, um sie mit der Analyse und „Recherche“ über Ausgestaltung und Charakter einer riesenhaften Globalverschwörung zu beschäftigen. Wacht endlich auf! Es hat nie einen Plan gegeben, nur den Plan, keinen zu haben.
Geplante Revolution und planlose Realpolitik
An einem Ort jedoch wird wie verrückt geplant und getüddelt, gezuppelt und verhandelt, abgewogen und eingeschätzt, eingewogen und abgeschmeckt. Es ist die Leipziger Ratsversammlung, in der sich bis zu 70 gewählte Vertreterinnen und Vertreter mit sich und der Verwaltung streiten, welche Pläne nun die besten Pläne sind und warum die Pläne der anderen schlechte Pläne sind und überhaupt, dass nun jemand mal einen wirklich guten Plan machen sollte.
Bebauungspläne, Haushaltspläne, Aktionspläne, Fluchtpläne, Pläne für Planfeststellungsverfahren sind nur eine kleine Auswahl. „Wer hat das getan? Dein Freund, der Plan!“ sprach schon Walter Ulbricht, und der war immerhin geborener Leipziger und hatte richtig Plan vom Plan.
Darum ging es in der letzten Sitzung des Stadtrats natürlich auch wieder sehr viel um Pläne. Die €DU-Fraktion hatte beispielsweise einen Plan vorgelegt, wie man, welch Ironie, dem Ende der Planwirtschaft gedenken sollte. Ihr famoser Plan: Die Orte der Montagsdemonstrationen (immer nur montags, denn in Deutschland werden sogar Revolutionen durchgeplant) zum UNESCO-Weltkulturerbe erklären lassen.
Die PARTEI-Stadtrat Kuno Kumbernuß sah seine Chance, der Debatte die nötige Würze zu verleihen und klärte die Ratsversammlung sowie das Livestream-Publikum über die eigentlichen Heldinnen und Helden der „Friedlichen Revolution“ auf.
Nämlich jene Gammler, Hippies, Langhaarige, Querulanten und Mitglieder der diversen Subkulturen, die sich von der Staatssicherheit auf die Mappe hatten geben lassen, bevor es en vogue wurde. Die schon 1965 in den Tagebau geschickt wurden, weil sie gegen das Verbot von Beat-Musik (jüngere Leserinnen denken dabei vielleicht an HipHop, aber mögen hierbei an die Beatles erinnert sein) auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz demonstrierten.
All jene, die geschlagen und getreten, eingeknastet und verstoßen wurden, weil sie eine weniger verplante, freiere Republik im Sinn hatten. Folgerichtig forderte Kumbernuß die Erklärung der Revolution zum Intergalaktischen Kulturerbe, um das Engagement dieser Menschen angemessen zu würdigen.
Wenn schon Symbolpolitik, dann bitte mit Strahlkraft über die Grenzen dieses winzigen Planeten hinaus!
Offenbar fehlte aber dem Plenum die Planungssicherheit, was symbolische Ehrungen in extraterrestrischen Gefilden angeht, und der Antrag wurde abgelehnt. Da erging es dem Antrag zu einem anderen Planungsvorhaben nicht anders. Marcus Weiss, der andere Stadtrat für Die PARTEI, unternahm den Versuch, den Bebauungsplan für den Leuschnerplatz einer Umplanung zuzuführen.
Die Idee bestand darin, der Armutshauptstadt des Ostens ein repräsentatives Antlitz im Zuge der Neugestaltung des Leuschnerplatzes zu verschaffen, durch Verlegung der Agentur für Arbeit ins Stadtzentrum. Weg von der Peripherie, also der hinteren Georg-Schumann-Straße, hinein ins Zentrum. Als Mitglied des radikaloppositionellen Flügels hatte Weiss seine Rede weder gut vorbereitet, noch gut gehalten, frei nach der Devise: Lieber keinen Plan haben, als planen.
Einzig ein gescheiterter Verkehrsplaner hatte sich zum Redeschreiben mit hinzuziehen lassen und genug Ritalin eingeworfen, um mit hanebüchenen Planungsplänen der Argumentation den Schliff ins Absurde zu verpassen. Denn auch das ist PARTEI-Arbeit: den Prinzipiengaul reiten, bis er tot zusammenbricht.
Planspiele
Der Stadtrat Leipzig, das Karnickelzüchter-Vereinsheim unter den politischen Verwaltungsgremien, ist nicht der einzige Ort, an dem mit „Leidenschaft“ gestritten und agitiert, bessergewusst und verplant wird. Aber er ist ein besonders plastisches Beispiel für vorangetragene Planungsfreude, die allzu oft im Äther der Sachzwänge verpufft.
Verstehen Sie mich nicht falsch, streiten macht Laune, wirkt belebend auf Körper und den demokratischen Geist, und in einer vernünftig eingerichteten Welt würden wir ohne Ansehen der Person den ganzen Tag miteinander streiten, was wir mit all der Freizeit und den überschüssigen Ressourcen anfangen wollen, während wir in der Hängematte liegen.
Wenn aber gestandene Stadträtinnen von „Legislaturperiode“ reden, während sie die Dauer ihrer Verwaltungstätigkeit im Rat meinen, dann ist da astreine Selbstüberhöhung im Spiel. Denn Legislatur kommt von Lex, dem Gesetz, und in der Legislative werden Gesetze gemacht.
Das ist im Stadtrat natürlich nicht der Fall, sondern den Parlamenten vorbehalten. Das mag jetzt kleinlich klingen, doch soviel Klugscheißerei muss eine Demokratie aushalten können!
Wir von Die PARTEI sind natürlich dennoch der Meinung, dass Beschlüsse über die Sortierung menschlichen Lebens verhandelt gehören. Stichwort: Ordnungsamt und der dazugehörige Vollzugsdienst, und in deren Tätigkeit zeigt die Stadt gern die deutsche Fratze vom „Recht und Gesetz“.
Notiz an mich: Demnächst eine Demonstration vor dem Gebäude des Ordnungsamtes anberaumen.
Jedenfalls, wir spielen mit, das Spiel von den Anträgen und den Anfragen, den Änderungsanträgen und den Redebeiträgen, den Gremien und den Ausschüssen. Natürlich gibt es Spannenderes, eine ganze Menge sogar, als sich eine 7-stündige Sitzung des Stadtrates zu geben.
Für jene, die noch nie das Vergnügen hatten, einer solchen Sitzung beizuwohnen: Es ist harte Arbeit, nicht mit dem Kopf auf den Tisch zu schlagen, abwechselnd aus Frust und aus Langeweile. Insofern gleicht eine Ratsversammlung immer einer kaputten Sauna, die man mit kaltem Schweiß auf der Haut und dem dringenden Bedürfnis nach Bier in der Kehle verlässt, garniert mit dem illusorischen Gefühl des Als-ob. Früher im Gemeinschaftskundeunterricht nannte man das: Planspiel.
An dieser Stelle möchte ich, als Landesvorsteher von Die PARTEI, einmal allen unseren Wählerinnen und Wählern dafür „Danke“ sagen, dass sie uns so zahlreich gewählt haben und in dieses Gremium der Ödnis haben setzen lassen. Ob in Chemnitz oder Dresden, im fernen Erzgebirge oder hier in Leipzig, gibt es Mandate in den sächsischen Räten für Die PARTEI. Ein wunderbares Beispiel, wie Pläne trotz der eigenen völligen Verplantheit sich erfüllen können.
Vermutlich müssen wir zur nächsten Wahl einfach einen Wahlkampf machen, der jeder und jedem die Fußnägel hochrollt, einen echten politischen Ekel erzeugt und alle Sympathisierenden völlig verstört. Nur damit lässt sich eine Wiederwahl vielleicht verhindern. Aber das ist noch ferne Zukunft und wer weiß schon, wann die wieder losgeht.
Wüsste jetzt nur noch gerne, welchen Tag wir heute haben
Ihr MP in spe a.D.
Tom Rodig
„Rodig reflektiert: Dein Freund, der Plan“ erschien erstmals am 30. April 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG.
Unsere Nummer 90 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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