Eine Kolumne ist ein Kreuz. Nun schreibe ich seit 24 Monaten in diese Zeitung meinen Sermon hinein und muss feststellen: Der Laden ist immer noch nicht umgeworfen, die Mächtigen immer noch nicht gestürzt, arme Seelen verhungern, verdursten oder erfrieren nach wie vor (ob körperlich oder geistig, das sind im Grunde genommen nur Detailfragen). Das Leben im Elend des Spätkapitalismus läuft unaufgehalten fort. So war das aber nicht abgemacht, Liebe Chefredaktion! Es sollten doch meine Reflektionen auf dem Leserseiten-Plätzchen in der Ihnen vorliegenden „Leipziger Zeitung (LZ)“ dem Weltenlauf ebenjenen entscheidenden Stupser geben, um endlich den Stein der Veränderung ins Rollen zu bringen!
Pustekuchen. Nach zwei Jahren und zwei Dutzend Kolumnen wird man ja auch bescheidener und erfreut sich leise an der Vergeblichkeit des eigenen Schaffens. Schauen Sie nur nach draußen, und Sie bemerken: Noch vor wenigen Wochen lagen alle Wege und Straßen, Dächer, Wiesen und Bäume voll mit der weißen Scheiße, oder wie manche sagen: Schnee.Was ist davon geblieben? Nischt. Alles fort.
Nur mit Glück ist in einem kühlem Grunde ein kleines Häufchen weißes Elend übrig geblieben, doch auch das ist bald vergangen. Ein paar hübsche Fotos fürs Familienalbum. Einige neue Schlaglöcher auf den Fahrradwegen dieser Stadt. Dem angesprochenen Weltenlauf aber, dem ist das insgesamt eher schnuppe. Wer bin ich, mich dagegen aufzulehnen? Gegen das ewig unveränderliche Holtern und Poltern von „Staat und Kapital“ (Prof. C. Drosten) sich schriftlich zu ereifern?
Das Verhältnis meiner Kolumne zu den Verhältnissen ist recht analog zu der jüngsten Entscheidung im Stadtrat über die sogenannte Waffenverbotszone rund um die Leipziger Eisenbahnstraße. Es gibt insgesamt nur gute Argumente gegen diesen Ordnungsmacht fetischisierenden und sowieso nicht durchsetzbaren Unsinn, darum entscheidet „die Stadt“ (also ihre ehrenamtlichen Verwaltungshelfer, genannt „Stadtrat“), den Oberbürgermeister Burkhard J. im sächsischen Innenministerium auf den Tisch hauen zu lassen.
Das ist nämlich eigentlich verantwortlich dafür, dass dieser Unfug eingeführt wurde, es ist schließlich Sache der Polizei, und die ist bekanntlich Sache des freiesten aller Freistaaten: Sachsen. Und deshalb wird der OBM „beauftragt, dem Sächsischen Staatsministerium des Inneren, die Meinung der Stadt Leipzig zur Waffenverbotszone im laufenden Evaluierungsprozess zu übermitteln“ und „auf eine Aufhebung der Waffenverbotszone hinzuwirken“.
Also auf den Tisch zu hauen wurde erbeten und beschlossen. Aber nicht zu fest draufhauen, wir sind ja nicht bei Ton Steine Scherben und für die Leute in den Jugendstrafanstalten braucht Burkhard sicher auch kein Mikrofon. Andererseits auch nicht zu sanft hauen, denn „Positionierung“ heißt die glänzende Wortboje, und darauf lässt sich schon sehr viel einbilden. Da kann man sich bereits stolz hinstellen und fröhlich das „Ende der Waffenverbotszone“ ausrufen.
Chapeau!
Pustekuchen. Gewiefte Leserinnen erinnern sich vielleicht: Grüne und SPD sind in Sachsen an der Regierung beteiligt. Wirklich, ich will Sie nicht verarschen! Dass die beiden sich in Bezug auf Sicherheitspolitik immer spitzenmäßig gegen die CDU durchsetzen konnten, haben wir bereits im Nachgang des 07.11.2020 gesehen, der wohl maximal möglich vermasselte Einsatz gegen die querdenkenden Ringlatscher.
Innenminister Roland Wöllers Nicht-Rücktritt hat mich am Ende einen Kasten Bier gekostet und das nehme ich erstens ihm selbst und zweitens den weichbrotigen Koalitionären von Grün-Rot ganz besonders übel. Dieselben naiven Lumpen verkaufen einem nun die Entscheidung des Stadtrats als großen Sieg gegen die sächsisch-polizeiliche Unvernunft.
Doch eigentlich war ich dabei, mich über das Verhältnis der Kolumne zu den herrschenden Verhältnissen auszulassen und da kommt die gerade aus dem Waffenzonenbeschluss gefischte Antragslyrik mir bestens zupass. Denn letztlich mache ich hier auch nichts anderes als „Meinung zu übermitteln“ und auf „Aufhebung hinzuwirken“.
Das hat bei Lichte gesehen nicht viel mehr Wirkmacht als ein piefiger Stadtratsbeschluss, aber wenigstens stehe ich nicht unter Fraktionszwang.
Also alles nur eitel Schreibereien?
Pustekuchen. Den Quatsch, der da draußen tagtäglich angestellt wird, in noch größeren, und damit viel schwerer zu übersehenden Quatsch zu verwandeln, das ist ureigener Auftrag der Partei Die PARTEI. Und als Ministerpräsident in spe, zwar außer Dienst, aber unentwegt unterwegs im Dienste meiner Partei, füge ich mich willfährig dieser Doktrin.
Darum schippe ich den Schnee, der drei Tage später von selbst wegtaut. Darum arbeite ich seit Jahr und Tag an meiner eigenen Abschaffung, denn in einer vernünftig eingerichteten Welt wären „Witz, Ironie und sanfter Spott dann wohl selbstverständlicher Teil jeder gedanklichen Erwägung – und bedürften gar nicht mehr ihrer Legitimation als ‚bloß satirischer‘ Äußerung“, wie Leo Fischer dereinst geistreich von sich gab.
Aber bis das so weit ist, wird es wohl noch einen kleinen Moment dauern oder eben der Planet in Flammen aufgehen, je nachdem wie viel Zeit der eine oder der andere Vorgang noch in Anspruch nimmt.
Allerdings gibt es einen gewaltigen (oder wie die dämliche Sprache der Herrschaft sagen würde: einen „massiven“) Unterschied zwischen meinem Tun und dem des Rates der Stadt. Denn letzterer zeigt nunmehr ein tatsächliches Interesse an der schrittweisen „Verbesserung“ der Verhältnisse und kann hier und da nun auch dergleichen beschließen, wenn ab und an mal die Sonne in die Hirne scheint und auch sonst nichts dagegenspricht (zum Beispiel das Thema Geld, denn Geld ausgeben ist immer schon als solches ein Problem).
Mein Treiben hingegen ist von solch moralisch aufgeladenen Petitessen in jeder Hinsicht befreit. Ich genieße Narrenfreiheit, und damit ich am Ende nicht doch noch verklagt werde, steht über meinen Texten auch immer „Achtung, Satire!“. Ich darf beleidigen, miesmachen, zetern und wüten, Polizeibeamten ein Leben auf der Müllhalde wünschen. Die Satirelizenz habe ich mir unter großen Mühen erworben und verwende sie, wo ich kann.
Man könnte meinen, es wäre das Einfallstor für subversiven Quatsch schlechthin gefunden, darf ich doch die Wahrheit sagen, zum Beispiel einer taz-Kolumnistin X das Wort reden, dass wirklich niemand zur Polizei gehen muss und besser einer tatsächlich für die Menschheit wertvollen Aufgabe nachgehen sollte, eben auf der Müllhalde.
Pustekuchen. Ich darf zwar sagen, was ich will, doch dadurch ist auch gleichzeitig ein Zustand erreicht, in dem es völlig egal ist, was ich sage. Wenn jeder eine Meinung haben darf und soll und sogar am Ende hat, dann ist alles nur ein Schneegestöber gleichwertiger Meinungen. Und wer entscheidet dann?
Wie immer: Die Macht. Der Zirkus der Gebildeten (Meinungen) dort in den Zeitungsauslagen, auf den Talkshowsesseln und hinter den Paywalls der Onlinemedien, der treibt weiter seine Akrobatik, um die nächste unvernünftige Unmenschlichkeit als ganz und gar menschlich zu verklären, während die Herrschaft fröhlich weiter den Planeten umgräbt und an der Verwertung des Werts herumelendet.
Unbenommen, es gibt sicherlich Abstufungen und Unterschiede zwischen den Schweinereien. Da gibt es große, weltumspannende Ekligkeiten und es geht von da herab bis zur winzigen, mikroagressiven Bemerkung einer Sachbearbeiterin im „Jobcenter“, die einfach „nur“ dem Staat beim Funktionieren hilft, indem sie ihre Arbeit macht.
Doch da halte ich mich ungern auf mit Differenzierungen, denn es ist immer noch eine matschige Pampe, und von zuckrig-reinem Neuschnee bis zu Einschlüssen von Hundekacke ist wie immer alles dabei. Da hilft auch kein Schneeverschieben mehr, das kann im Ganzen weg, bitteschön.
Hat ansonsten keine Wünsche zum Jubiläum,
Ihr MP in spe a.D.
Tom Rodig
„Rodig reflektiert: Pustekuchen für den Jubilar“ an die Stadtverwaltung“ erschien erstmals am 26. Februar 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG. Unsere Nummer 88 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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