LEIPZIGER ZEITUNG/ Auszug Ausgabe 78, seit 24. April im HandelEine meiner heimlichen Leidenschaften ist es, den Menschen beim Sich-die-Welt-Erklären zuzuschauen. Zum Zwecke der Recherche beobachte ich gern und mit Erheiterung die Beiträge in einer Prepper-Gruppe im Internet, die sich bis dato „Apokalypse Deutschland“ nannte. Doch mit Corona scheint auch bei den Preppern, jener obskur-diffuse Menschenschlag, der sich auf den drohenden Zusammenbruch aller Gesellschaft vorbereitet, die Alarmglocke zu läuten. Jene, die mit Leidenschaft die Endzeit herbeisehnen, stellen fest: Sie ist endlich da! Dass nun „endlich“ die Apokalypse gekommen ist, wird deutlich an dem neuen Facebook-Gruppentitel, den die Admins bereits vor Wochen angepasst haben: „Apokalypse Deutschland (Coronavirus)“.
Sicher, werden Sie jetzt denken, das sind doch nur ein paar absonderliche Mundatmer, denen kommt jede Abwechslung recht. Die „Wir haben es immer gewusst!“-Rufe erklingen im Weltnetz. Jetzt riecht es ganz deutlich nach Katastrophe und die Konservendosen im Keller wurden nicht umsonst gestapelt. Doch falsch gedacht! Diese Apokalypse ist eben nicht die Apokalypse, die sich die Mitglieder dieser einige tausend User fassende Gruppe, und sicher viele tausend mehr, wünschen. Denn diese Coronakrise ist ihnen schlicht und ergreifend: zu harmlos.
Natürlich kursieren im Internet zu Recht Sprüche und Bildchen (neulandsprech: Memes), die die (ersehnte) Zombieapokalypse mit dieser „Naturkatastrophe in Zeitlupe“ konterkarieren und feststellen: Es ist ganz anders als erwartet. Laaangweiliges Zuhausesitzen statt Zusammenbruch der Infrastruktur, weder brennende Einkaufszentren noch plündernde Gangs auf den Straßen.
„Wer weiß das? Wieder keiner.“
Für enttäuschte Fatalisten, die die Welt brennen sehen wollen, die dann aber gar nicht so sehr brennt, wie sie es sich erhofften, habe ich kein Mitleid. Da fehlt mir schlicht die Empathie. Doch ist die Enttäuschung der Prepper nur ein Moment in der zeitgenössischen Besinnung auf das Irrationale. Denn wer sich die Äußerungen vieler Menschen in den Kommentarspalten anschaut, bemerkt, die Deutschen haben Zweifel.
Wo einst das Zweifeln an den fröhlich-optimistischen Phrasen von „Denen da oben“ sich noch realisierte in Impfgegnerschaft und Chemtrail-Gläubigkeit, in Flach-Erde-Theorien und Reptiloiden-Verschwörung, da ist heute nur noch ein Thema Dreh- und Angelpunkt – Corona.
Denn dank des Virus lassen sich alle möglichen Untergangs- und Verschwörungsszenarien auf einen Nenner bringen. Die Menschheit hat einen gemeinsamen Feind, der, nach Meinung der lauthals Zweifelnden, wieder einmal gar nicht der wirkliche Feind ist. Das Virus wird diskriminiert: Es ist zu klein, zu unsichtbar, zu harmlos, viel zu wenig tödlich, nur ein kleines bisschen fieser als eine Grippe.
Statt effektvoller Naturereignisse, wie zum Beispiel ein zünftiger Meteoriteneinschlag, gibt es nun eine Bedrohung, die man gar nicht sehen kann. Nicht einmal Blut spucken die Erkrankten. Sie ersticken nur elendig. Das ist offenbar für anständige Bürgerinnen und Bürger dieses Staates ein absolut würdeloser Vorwand, das eigene und das gesellschaftliche Leben auf den Kopf zu stellen!
Dass „Die da oben“ die Wirtschaft anhalten, Millionen Betriebe und Billionen Euro aufs Spiel setzen, erscheint ihnen als Wahnsinn. Aber nicht das Virus, das diese gravierenden Maßnahmen dem bürgerlichen Staat abnötigt, ist für sie der Wahnsinn, sondern jene, die sie ins Werk setzen.
Wem von „Denen da oben“ damit genützt sei, dass die Volkswirtschaften abrauschen? Bestimmt wieder geldgeiernde Krisengewinnler, bestehend aus einem kleinen, verschworenen Haufen einflussreicher Schattenmänner, die bereits gegen die Seuche geimpft sind und sich lachend die Taschen vollhauen, um davon ihre Adrenochrom-Fabriken zu betreiben, in denen kleinen Kindern das Blut zum Zweck der Ewigen Jugend abgesaugt wird. So und nicht anders ist die Lage. Hat mir erst letztens der Xavier Naidoo erzählt.
„Bazillus Dummheit, sag ich nur.“
Und jene, die brav den Regeln folgen, die Umarmungen durch Fuß-Gruß ersetzen, die Masken nähen und tragen, die nicht reisen und nicht ausgehen? Für die hat man, abgesehen von einem allwissenden Lachen und einer Prise Verachtung, nicht viel übrig. „Die Leute sind doch alle verrückt geworden“ tönen sie, und der Eindruck mag entstehen. Auch ihr Kolumnist und Schreiberling ist angefasst von der umfassenden, globalen Krise, die einen ganz leichten Vorgeschmack auf kommende Krisen abgibt, die uns die Klimaveränderung noch zeitigen wird.
Beeindruckend ist weniger der Anblick der Verheerung, denn, wir hatten es bereits, weder kann man das Virus oder pestgleich eiternde Moribunde auf den Straßen herumliegen sehen. Tatsächlich beeindruckend ist das globale Handeln, das der Ausbreitung des Virus entgegengebracht wird. Dergleichen hat die Welt noch nicht gesehen, und wir, damit meine ich alle Angehörigen unserer Spezies, sind damit noch längst nicht am Ende.
Die Unbegreiflichkeit des nicht Dagewesenen – das versucht der Mensch zu greifen mit den Mitteln, die er hat. Und die Menschen da draußen in ihren Wohnungen, die haben ihr Hausmittel parat, nämlich fundamentale Skepsis. Da das Fachgebiet der Epidemiologie nun ein doch arg komplexes ist, wird es nötig, Autoritätsargumente ins Feld zu führen.
Und wer hat die in der Wissenschaft? Genau, diese Leute mit dem „Prof.“ und dem „Dr.“ vor dem Namen. Denn ein Prof. Dr., der kann nicht irren, der ist vom Fach – auch wenn dieser Mensch „vom Fach“ zu einem ganz anderen Fachgebiet promoviert hat oder vielleicht seit Jahren von der wissenschaftlichen Gemeinschaft wegen Unsinnerzählens gemieden wird (siehe Wolfgang Wodarg, hat zu Schifffahrt promoviert).
Gleichsam egal sind auch solche Marginalien, wie die Einhaltung wissenschaftlicher Minimalanforderungen, Standards, auf die sich die Forscherinnengemeinschaft geeinigt hat, um ihn fernzuhalten, den Unsinn.
Verstehen sie mich bitte nicht falsch. Fraglos ist die Einschränkung der Freiheitsrechte mithin von einem autoritären Geist erdacht. Die dem Kapitalismus üblichen Tendenzen zur Gefährdung des Gemeinwohls, damit die Dividende gewahrt bleibt, die tritt dieser Tage besonders deutlich hervor.
Doch jene Leserinnen und Leser die einen großen Plan hinter diesem Virenchaos vermuten, die kann ich beruhigen: Die Welt war vorher schon gemein eingerichtet, zum Geschäftemachen braucht es keine Katastrophe. Nur tritt es eben unter coronaren Vorzeichen besonders deutlich hervor. Und das wissen ja die wenigsten.
Ich finde, es ist eine gute Gelegenheit, nun wieder aus den verschwörerischen Fieberträumen herauszukommen und sich an dieser einen verrückten Traumwelt abzuarbeiten, die wir wirklich real vor uns haben: Dieser Globus und sein Leben darauf.
Vermummt sich schon mal für den kommenden Aufstand,
Ihr Tom Rodig
MP in spe a.D.
Die neue Leipziger Zeitung Nr. 78: Wie Corona auch das Leben der Leipziger verändert hat
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