LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 75, seit 24. Januar im HandelEtwas Einmaliges, etwas Unerhörtes, etwas in dieser Republik lang nicht mehr Dagewesenes passiert in diesem OBM-Wahlkampf in Leipzig: Der aussichtsreichste Kandidat ist bei der SPD. Burkhard Jung ist in diesen Tagen dabei, sein Amt zu verteidigen und alle Zeichen deuten auf einen Wahlsieg des Sozialdemokraten hin. Aber der Reihe nach.
Die Weichenstellung
Am 27. September 2018 vermeldet der Ostdeutsche Sparkassenverband: Habemus Sparkassenpräsident. Doch der heißt nicht Burkhard Jung. Auf diesen Posten hatte sich der OBM beworben, doch letztlich keine Mehrheit gefunden. Die Stadtgesellschaft schien skeptisch: Die siebenjährige Amtszeit neigte sich schon langsam dem Ende und der Amtsinhaber bringt also schon einmal seine Schäfchen ins Trockene.
Nun denn, war es ja bereits seine zweite Amtszeit und irgendwann muss auch mal gut sein. Der ehemalige Schulleiter aus Siegen war vielleicht amtsmüde geworden, gleichwohl er betonte, trotz allem für eine dritte Runde bereitzustehen.
Die Exitstrategie Sparkasse musste ad acta gelegt werden, was bleibt also? Genau, einfach noch mal für den OBM-Posten antreten. Muss er ja auch: Im Juni 2019 wurde er als Präsident des Deutschen Städtetags auf zwei Jahre bestimmt. Allerdings dürfen diesen Vorsitz ausschließlich amtierende Bürgermeister bekleiden. Würde Jung also am 2. Februar 2020 abgewählt, so wäre die Präsidentschaft futsch.
Also wird Jung im September 2019 von seinem SPD Stadtverband mit knackigen 93,3 Prozent zum OBM-Kandidaten gewählt.
Dass es bei der 2019-er Kür Burkhard Jungs zum SPD-OB-Kandidaten keine Gegenkandidaten gab, mag im Angesicht des desolaten Zustandes des SPD-Verbandes Leipzig nicht überraschen, gibt der ganzen Kandidatenkür aber auch etwas nostalgisch Uniformes.
Unterdessen geht im Lager der Grünen und Linken die Überlegung vonstatten, wie man wohl diesen Lokalmatador vom Throne stoßen könne. Zwei Dumme, ein Gedanke: Eine Frau muss es sein, bestenfalls aus der Chefetage der Stadtratsfraktion, damit kriegt man die urban-liberale Stadtgesellschaft Leipzigs. Soviel zum Gedanken.
Nun zur Dummheit. Wie ich bereits in einer meiner letzten Kolumne ausgeführt habe, waren die beiden Parteien nicht in der Lage, EINE gemeinsame Kandidatin aufzustellen. Das würde nämlich am Ende sogar dazu führen, dass eine Grün-Linke Kandidatin sogar echte Chancen auf einen Wahlsieg hätte. Welch absurder Gedanke!
Auch die AfD stellt einen Kandidaten zur Wahl, den Schleuser und Mauerschützen Christoph Neumann, der durch seine unvergleichliche Charismatik ganze Konzertsäle einschläfern könnte. Fragt sich, ob die AfD Leipzig, wie die Linken und die Grünen, vielleicht gar nicht gewählt werden wollen? Doch dazu später mehr. Unterdessen hat auch die FDP einen gewissen Marcus Viefeld ins Rennen geschickt, der so geeignet für den OBM-Posten scheint, wie er Haare auf dem Kopf hat.
Einzig die CDU scheint gewählt werden zu wollen, hat sie doch den ehemaligen Justiz- und aktuellen Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow aufgestellt, der ahnungslose Hipster mit Vollbart und Rennrad in die Falle locken will.
Der Jung-Zug rollt
Nach dieser Weichenstellung hätte der Wahlkampf so unspektakulär ablaufen können, wie kommunale Wahlkämpfe nun mal ablaufen. Doch weit gefehlt! Am 31.12. bricht am Connewitzer Kreuz die Hölle los. In der Silvesternacht kommt es zu ganz, ganz schlimmen Szenen: Herrenlose Einkaufswagen, Pyrotechnik (und das an Silvester!), Polizisten, denen auf hintertückischste Art ein Bein gestellt wird und dadurch wochenlang dienstunfähig sind, lebensrettende Notoperationen an der Ohrmuschel eines Beamten.
Die bundesweite Bekanntheit Leipzigs hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Das Stadtmarketing freut sich – any press is good press – ebenso wie CDU und AfD, die endlich ein Thema haben, mit dem man gegen Jung in die Offensive gehen kann. Hallelujah!
Dementsprechend dreht sich die erste Podiumsdiskussion im LVZ-Gebäude mit nicht allen Kandidierenden (Frau Gabelmann von den Piraten darf zum Schluss noch eine Minute reden, Katharina Subat von Die PARTEI wird gar nicht erst eingeladen) die erste halbe Stunde um das Thema „Linker Terror“ (Michael Kretschmer, dem Hörensagen nach Ministerpräsident Sachsens).
Was daran Terror sein soll, und warum Chemnitz und Freital und und und kein Terror sein sollen, kann niemand so richtig sagen, aber griffig klingt es. CDU-Gemkow und AfD-Neumann dürfen sich empören, OBM Jung seiner eigenen Partei die kalte Schulter zeigen (SPD-Vize Rudolph-Kokot hatte sich angemaßt, einen recht vernünftigen Tweet zum Thema abzusetzen). Auch Franziska Riekewald von Die Linke distanziert sich von ihrer Genossin Juliane Nagel, man will sich schließlich nicht vom Renter-Mob in der LVZ-Kuppel lynchen lassen.
Ein Schelm, der hier eine wohl terminierte Wahlkampfhilfe durch die Polizei Leipzig unterstellt. Nachdem die Sau durch die Republik getrieben worden war, beruhigte sich auch die Situation bei den öffentlichen Auftritten der OBM-Anwärterinnen. Es wurde inhaltlicher und die Fragen konkreter. Nun kann Jung endlich sein ewiggleiches Mantra vortragen und seine Sätze beginnen mit „Unserer Stadt geht es doch wirklich gut…“ oder „Wir tun doch bereits alles um…“.
Das kann er natürlich auch deshalb sagen, weil er seit 14 Jahren als Chef der Verwaltung vorsteht und von allen möglichen Maßnahmen und Aktivitäten der Stadt schon einmal gehört hat. Addiert man die stadtväterliche Eloquenz noch hinzu, kommt man in Summe auf einen Kandidaten, der alles ganz gut macht, so wie er es macht.
Und da liegt dann der Hase im Pfeffer
Die herausfordernden Parteien sehen durchweg von einer tatsächlich angreifenden Haltung ab. Die Grüne Krefft und auch Riekewald, sogar Gemkow, halten sich mit Anwürfen gegen Jung derart zurück, dass ich mich fragen muss: Wollen die überhaupt gewählt werden? Es gebe doch genug Ansatzpunkte um Jung in die Bredouille zu bringen. Schließlich muss er 14 Jahre Chefposition in dieser Stadt verantworten. Ein überteuerter City-Tunnel, Rausverkauf städtischer Immobilien, noch ein City-Tunnel (ernsthaft?!) – alles Punkte, an dem sich die Gegnerinnen Burkhard Jungs in keinem Moment abarbeiten.
Ich vermute, es ist auch einfach schwierig in einer Stadt, in der die politischen Funktionsträgerinnen im Rat und auch daneben so schön partnerschaftlich zusammenarbeiten. Denn dann ist jeder Schuss in Richtung Jung auch ein Schuss in die eigene Richtung. Und wer will da schon die Fingerabdrücke am Abzug haben.
Bleibt mir nur Ihnen, verehrte Leserinnen, eine vergnügte Wahl zu wünschen und Burkhard Jung zum Wahlsieg zu gratulieren. Gehen Sie ruhig an die Urne, bei der letzten Wahl haben es nämlich im ersten Wahlgang nur 41 % ins Lokal geschafft. Und wenn Sie nicht wissen, was sie wählen sollen, bleibt ihnen immer noch: Die PARTEI.
Wird am Sonntag mal wieder aus’m Fenster jefalln sein,
Ihr MP in spe a.D., Tom Rodig
Rodig reflektiert: Bekenntnisse eines PARTEI-Genossen
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