LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausg. 66Sakrament! Es ist Ostern und Ihr treu ergebener Ministerpräsident und zukünftiger Stadtrat räsoniert über das Abendland. Die Religionen trachten wie immer nach der Deutungshoheit – Christentum, katholisch, evangelisch oder sektös, ebenso der Islam, Alnatura und andere goldene Kälber werden rumgezeigt und stetig im diskursiven Schlachthof durch die Gebetsmühlen gedreht. Dabei entgeht der geneigten Zuschauerin ein zentraler Punkt: Es gibt nur einen Gott.

Zu hohen kirchlichen Feiertagen neige ich dazu, als „Reverend Rodig“ durch meinen sog. Kiez zu stromern und die Menschen zu beschauen, mit den Augen eines jenen, der wirklich noch an etwas glaubt. Ich denke dabei oft, dass die Ungläubigen, die Gottlosen, die dem Atheismus Anhängigen, letztlich doch wahrhaftig glauben, auch wenn Ihnen das nicht bewusst ist. Schließlich ist und bleibt die eine Religion, auf die wir alle qua Geburt in diese unsere Welt eingeschworen sind, ganz klar: Das Kapital.

„Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist.“ – Karl Marx, 1844.

Sicher befürchten Sie, Liebe Leserin, nun eine weitschweifige Ausführung zum Charakter und der Natur des verblendeten Subjektes im Spätkapitalismus. Ich kann Sie nur teilweise enttäuschen. Denn schließlich sind wir im Wahlkampf. Die Plakatierungsmaschinerie läuft gut geölt. Plastikplakate aus fossilen Rohstoffen informieren über den drohenden Klimakollaps aufgrund fossiler Rohstoffe. Die Linke will die Stadt zurückerobern, die CDU eine Mehrheit im Stadtrat.

Die SPD arbeitet ihrer völligen Marginalisierung entgehen (oder eher zu). Bilder von Menschen, die Namen haben und sogenannten Positionen, hängen in den Straßen und mögen gern das Interesse des Wahlviehs erheischen. Meine Partei Die PARTEI hat darum schon vor Jahren konsequenterweise den Slogan „Inhalte überwinden“ formuliert. Ein Plan, der gewissermaßen nach hinten losging, denn seit einiger Zeit beobachten wir eine Satirisierung der vermeintlich seriösen Politik. Darum haben wir beschlossen, Inhalten eine zweite Schangse zu geben.

Der GröVaZ (Größter Vorsitzender aller Zeiten, Martin Sonneborn, MEP) hat darum den „großen, schmutzigen Theoriewahlkampf“ ausgerufen. Die Satireschaffenden haben die Welt nur verschieden persifliert, es kömmt darauf an… Sie kennen das bereits aus meiner letzten Kolumne. Und die ideengeschichtliche Schatzkiste des denkenden Menschen ist reich gefüllt!

Die bedeutendsten politischen Geister der Vergangenheit waren oftmals auch Größen im Denken (zumindest ihre Selbstwahrnehmung betreffend). Alexander der Große ließ sich schulen von Aristoteles, die katholische Kirche basiert de facto auf dem Bücherwurm und der scholastischen Diskussion darüber, wie man sich das mit dem Heiland nun eigentlich wirklich vorzustellen habe. Lenin lebte jahrelang in Bibliotheken, Stalin wurde auf einer kirchlichen Schule erzogen und zum Lesen geprügelt, sogar die intellektuell nun wirklich sehr, sehr kleine Kerze Adolf Hitler hat die Wichtigkeit eines theoretischen Fundamentes erkannt und sich ein wirres Buch aufschreiben lassen. Ein echter deutscher Bestseller.

Sie sehen also – mit Weltanschauungen lassen sich Wahlen gewinnen oder gleich komplett der ganze Laden umstürzen. Wir von der Partei Die PARTEI haben das erkannt. Darum werden Sie sich gewöhnen müssen an eine theoretisch-praktisch-philosophische Fundierung unserer Politik. Folgerung: Muss nicht das neue Credo „‚Inhalte überwinden‘ überwinden“ heißen?

Da wird doch der Hegel in der Pfanne verrückt!

Leicht kann man sich verirren im Dickicht der Theoriegeschichte. Zudem beherrschen die meisten Menschen die Kunst des Denkens nur marginal, gerade das studierte Personal hat oft eine unbegründet hohe Meinung von der eigenen Meinung. Im Brustton der Überzeugung, schon einmal leise nachfragen genügt, sprudeln sie über vor fundamental-ontologischen Erkenntnissen, die zwar falsch, aber zumindest praktisch sind. Mit der richtigen Erklärung im Kopf lässt sich noch das größte Elend aushalten und sogar ganz gut finden, war doch früher oder woanders alles noch viel schlechter und überhaupt haben wir es sehr gut.

„Und sie haben sich daran gewöhnt. Sie haben ein wenig geweint und haben sich dann gewöhnt. An alles gewöhnt sich der Mensch, dieser Schuft!“ – Fjodor Michailowitsch Dostojewski, 1866.

In diesen verwirrenden Zeiten brauchen die Menschen in dieser Stadt und diesem Land nicht nur eine politische sondern auch eine denkerische Führung. Ich biete mich da an. Philosophenherrschaft? Gern! Was soll auch eine Philosophenkaste groß falscher machen als die derzeit Herrschenden?

Armut produzieren, Menschen ausbeuten und aufeinanderhetzen kann der kapitalistische Betrieb schon sehr gut allein, sich tumorös der eigenen Lebensgrundlagen berauben läuft ebenso wie geschmiert. Hier und da einen Nebenwiderspruch bearbeiten, damit die Kulturlinke ein Gefühl von Prozess und Fortschritt pflegen kann, auch klar. Anti-…-Protestkulturen aller Art integrieren und warenförmig machen ist da nur die Spitze der Sahnehaube.

Eines können wir mit Sicherheit sagen: wenn wir im Stadtrat sind, werden wir den Marsch nicht mitblasen. An die Generalmobilmachung gegen die Feinde des sogenannten Abendlandes hat man sich schnell gewöhnt und singt die schiefen Töne fleißig mit. Ohne uns! Dafür stehe ich mit meinem Namen und meiner geringen Reputation.

Nichtsdestotrotz spielen wir die Klaviatur des Spektakels, anders sind die Verblendeten aller Länder nicht zu erreichen. Und wenn dieser Planet für uns deutlich weniger gut bewohnbar wird, werden wir wenigstens gut angeschickert schlechte Witze reißen.

Ich entlasse Sie nun in die Reflektion und hebe meine Hand zur Segnung. Möge uns die Schöpfung, die da draußen so schön in der Landschaft rumsteht, noch ein bisschen erhalten bleiben. Entsagen Sie dem Eingottglauben der ewigen Verwertung des Wertes, wir von der PARTEI tun es auch.

Und dann können wir auch zusammen die Klimaanlage des Planeten wieder einpegeln. Denn Menschen sind zwar oft sehr dumm, aber manchmal doch sehr klug. Hoffen wir, sie sind so schlau, ihre Klugheit zu erkennen.

Legt zum Abschied den angeschalteten Fön ins Eisfach,

Ergebenst
Ihr Tom Rodig

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