Politik ist ja so ein komisches Ding. Zumindest hierzulande, bei uns, mit dieser verflixten Demokratie, die nicht mal Demokraten so richtig verstehen. Denn da steht ja was von Volk drin, dem demos, aber dann melden sich lauter Leute zu Wort, die alle eine eigene Meinung haben. Also nicht die von Volker und auch nicht die von Donald. Nicht auszuhalten. Da kann einem schon mal die Hutschnur platzen. Auch als Großfraktion, irgendwie.

Passiert am Dienstag, dem 7. März. Da gab’s von der Stadt schon die etwas bissige Absage an Ute Elisabeth Gabelmann, die Piraten-Stadträtin im Leipziger Stadtrat, wegen der Patenschaft für die chinesischen Zwergmuntjaks im Zoo. Das sind diese invasiven Biester, die eigentlich ausreisen sollen, aber eigentlich nicht dürfen. Alles Weibchen, möglicherweise schwanger, wie kolportiert wird. Und damit auf heimliche Art ein bisschen widerständig, wie Ute Elisabeth Gabelmann fand. Und Widerständigkeit sei ja nun einmal ein sehr leipzigtypisches Verhalten.

Was dann die Verwaltung nicht so sah und den Muntjak-Damen die leipzigtypische Widerständigkeit glattweg absprach.

Ich persönlich fände es ja eine sehr sympathische Art, widerständig zu sein, wenn frau fleißig schwanger wird. Aber wir leben ja nicht mehr im heiligen Jahr 1989, als alle Leipziger brav mit Kerze auf dem Ring standen und dona nobis pacem sangen. Ach Gottchen, lang ist es her. So lange, dass schon ein Ansinnen der Widerständigkeit in unserem geliebten Ratsgremium widerständige Reaktionen auslöst.

Denn irgendwie hat Ute Elisabeth sich wohl ein paar mal zu oft als eigensinnig und piratig erwiesen und damit die etwas älteren Ratsmitglieder gewaltig genervt, die in diesem honorigen Hause nur zu gern ihre Ruhe haben wollen und nicht auch noch über das leipzigtypische Verhalten von Muntjakdamen nachdenken wollen.

Und so geschah etwas, was auch im Leipziger Rat sehr selten passiert: Die christdemokratische Fraktion wehrte sich gegen die piratigen Umtriebe mit einem eigenen Antrag, in dem sie all ihre Verärgerung über die einsame Piratin, die sich seit ihrer Wahl kühn der SPD-Fraktion angeschlossen hat, formuliert.

Wozu sie gar nicht viel Platz braucht.

Sie beantragt nur, dass der Ursprungsantrag von Ute Elisabeth Gabelmann umformuliert wird in: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, die aussterbende Art Piraten-Abgeordnete unter Artenschutz zu stellen.“

Was ein durchaus verständliches Anliegen wäre. Denn ehrlich gesagt, ist die kühne Piratin seit ihrer Wahl ins Hohe Haus eine Bereicherung, gerade weil sie immer wieder auch Anträge stellt, die nicht ins Übliche passen. Die auch mal zum Schrägdenken anregen. Damit bringt sie mehr Leben in die Bude als jene Senioren, die die Diskussionsrunden stets nur mit Sprüchen bereichern wie „Das haben wir schon immer so gemacht.“

Aber eine gute Begründung hat die CDU-Fraktion auch gebracht: „Ohne Anträge, deren Sinn sich nicht einmal im Ansatz erschließt, wäre die Ratsversammlung nur halb so unterhaltsam.“

Mal die Sache mit dem Sinn beiseite gelassen … mir ist eine unterhaltsame Versammlung lieber als eine, bei der die Meisten von nichts keine Ahnung haben und dann trotzdem geschlossen zustimmen.

Aber wenn ich das genau lese, zeigt der Antrag auch ein bisschen, dass die Christdemokraten die lebenslustige Piratin tatsächlich vermissen würden, wenn sie eines Tages nicht mehr da wäre. Was ja passieren kann. Die Wähler sind ja heutzutage sehr wanderlustig und wankelmütig.

Und dann?

Nur mal so bedacht: Wer fordert dann die Senioren im Parlament auf zum Nachdenken? Das schafft man ja augenscheinlich nur, wenn man sie mit etwas spitzen Anträgen aus dem Mittagsschläfchen weckt. Jüngst passiert mit Gabelmanns Anfrage zur geübten Nicht-Transparenz im Hohen Haus und zur nächsten Spendenmillion für den nächsten Kirchentag in Leipzig. Erst für den Katholikentag, jetzt für den evangelischen Feiermarathon. Auch die schlechte Architektur, die da und dort in Leipzig hingeklotzt wurde, hat sie thematisiert – alles lauter kleine Nadelstiche gegen honorige Gremien, in denen in Ehren und Würde ergraute Leipziger Räte für gewöhnlich schwerwiegende Entscheidungen fällen und sich hinterher wundern, dass das jungen Leuten nicht gefällt.

Das wirkt zwar unterhaltsam – aber ist es das nur?

Es ist so eine freche Frage, die sich mir bei so etwas aufdrängt: Was ist, wenn es diese emsige Piratin ernst meint und tatsächlich die ehrwürdigen Selbstgewissheiten anpieksen will? Denn mehr ist es ja nicht. Ein kleiner Stich. Autsch! Da merkt wenigstens der Eine oder Andere, dass er gemeint ist. Mancher findet es auch gemein. So gemein, dass er mit aller Kraft zurückpiekst. Ohne zu merken, dass man eigentlich erst richtig munter wird, wenn die CDU-Fraktion der Piratin vorwirft, Anträge zu formulieren, „deren Sinn sich nicht einmal im Ansatz erschließt“.

Als wenn das etwas völlig Neues wäre in diesem hohen Hause.

Als wenn wir das nicht auch von anderen schon häufiger erlebt hätten.

Als wenn nur die eine Piratin verantwortlich wäre für den Unfug, der manchmal zur Debatte gerinnt.

Als wenn ein ehrwürdiger Fraktionsname davor schützen würde, von Zeit zu Zeit ehrwürdigen Blödsinn zu verzapfen.

Als wenn dieser kleine Änderungsantrag …

Aber das sag ich jetzt nicht. Sonst muss ich wieder in der Ecke stehen und Onkel Lehrer ist böse mit mir.

Der Änderungsantrag der CDU-Fraktion.

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