Ich habe neue Nachbarn. Eigentlich nicht ungewรถhnlich in diesen Zeiten โ der Mietmarkt, der Mietmarkt. Alles zieht um und hin und her, auf der Flucht vor steigenden Nebenkosten. Und seit Neuerem wollen auch ganz viele vom Land in die Stadt. Wegen der โAuslรคnderschwemmeโ in den schwach besiedelten Gebieten rings um Dresden. Nur ich bleibe, wo ich bin, in Leipzig-Zentrum. Ostrente, alter Berechnungsschlรผssel - wisster Bescheid. Bis jetzt. Ich habe โFlรผchtlingโ. Scheinbar eine schwere Erkrankung am Volkskรถrper. Denn gegenรผber ist der Mustafa mit dem gesamten Clan eingezogen. Da verรคndert sich der Fokus. Zwei Frauen, 5 Kinder und Messer hat er auch. Es wird eng Freunde, denn gestern fiel das entscheidende Wort!
Nachdem mir mein Ex (ja, immer Sonntagnachmittag und an manchen Donnerstagen darf er zu Besuch kommen) den neuen Rechner endlich hergerichtet hatte, war ich mal wieder nach langer Zeit auf Facebook. Und habe bei diesen ganzen โNein zum Heimโ, โGida macht mobilโ (bei Arbeit, Sport und Spiel, summt es in mir) und vor allem bei dieser sehr schรถnen โInitiative Heimatschutzโ im lauschigen Meiรen vorbeigeschaut.
Das Netz schnurrte geradezu, plopp und plopp und da stand dieser wunderschรถne Satz einer wackeren Heimatverteidigerin, der mich endlich erwachen lieร: โGerade mit einem Bรผrger gesprochen! Ihm wurde die Wohnung gekรผndigt, weil er auf der Demo war!โ
Da denkt man doch: โ!!!!!โ
Und nach einem 20-minรผtigen Hassschub von der elefantรถsen Grรถรe einer Schwiegermuttererschlagung (oder anderer mรผhsam unterdrรผckter Urtรถtungsvorhaben gegenรผber schwรคcherer Weichziele), begann eine kleine Murmel durch die einsame, halbrunde Denkbahn in der staubtrockenen รdnis meines brachliegenden emotionalen Zentrums zu rollen.
Und das kleine Ding klopfte, am Ende seiner Reise angelangt, leise an ein in letzter Zeit durch simple Bรผrotรคtigkeiten weitgehend ungenutztes Groรhirn. Und so bildete sich an der Trennmembran aus dem Schall โ ohne aktive Beteiligung meinerseits โ folgender, fragender Satz: โMiete nicht gezahlt?โ. Dong: โNachbarn vollgepรถbelt?โ, Dong-Dong: โKรถnnten Sie bitte endlich mal den Mรผll vor dem Haus berรคumen?โ
Einmal erwacht, holte mich unangenehmerweise auch noch mein verschรผttetes EOS-Zeugnis von gewisser Reife wieder ein. Denn da war auch die Musik, diese leise Sehnsucht meiner jungen Tage. Und so blieb die Melodie der Mitteilung. โGerade mit einem Bรผrger gesprochen! Ihm wurde die Wohnung gekรผndigt, weil er auf der Demo war!โ
Und da klingelte es: Der Kasernenton ist zurรผck.
Und ich lese die Antwort an meine Geschlechtsgenossin unter ihrem Facebookbeitrag: โWieder ein Tittenhitler. Wie die Festerling.โ Da ist es, dieses schรถne, deutsche Wort. Dieser ganze Hass, auf allen Seiten. Diese beruhigende Dummheit an jeder Mauer die wir finden.
Mustafa hatte noch offen unten. Es gab einen Dรถner aufs Haus und weil ich durcheinander war, mit ganz viel Zwiebeln. Seine Groรmutter und ich sind nun fast ein Alter. Hat mir seine Frau beim Tee erklรคrt. Morgen klingeln die fรผnf Rabauken wieder an meiner Tรผr. Alles wie gehabt. Nur bei dem Wort โFrei-Talโ grรผbel ich immer noch.
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
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