LeserclubIch sag es ja ungern, aber es gibt Leserbriefe, die sind keine. Die sind reine Rechthaberei. Hätte ich ja nichts dagegen, wenn das einen Grund hätte. Aber manche, die uns in letzter Zeit erreichen, sind geradezu typisch. Das Strickmuster ist fast immer dasselbe: "Ich habe Ihren Artikel zwar nicht gelesen, aber ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie Unrecht haben."

Natürlich haben wir damit gerechnet, als wir unser Redaktionssystem umgebaut haben. Große Leserzahlen im Internet sagen ja noch nichts aus darüber, ob die Leute tatsächlich die ganzen Artikel, für die wir uns richtig Mühe gegeben haben, auch gelesen haben. Bis unten hin, wo wir immer noch mal alles Mögliche als Link dazu setzen.

Damit sich auch unsere Leser umfassend informieren können.

Aber den Verdacht, dass die meisten Leute gar nicht lesen, bevor sie losdebattieren, den hatte ich schon vorher. Denn der größte Teil dessen, was in den üblichen Quatschbuden des Internets auftaucht, ist Müll, Besserwisserei auf der Basis von Nichts. Man zitiert einfach, was man irgendwo gehört hat, plappert nach, tut so, als wären die Dinge bewiesen, wenn nur genug andere Leute dasselbe behaupten. Und fängt dann auch noch an, Leuten, die sich wirklich mit dem ganzen Kram beschäftigt haben, zu erklären, dass sie alles falsch sehen.

So weit haben das ja auch schon Kollegen formuliert. Recht frustriert, wie ich feststellen muss, weil sie einfach nicht begreifen, dass das an der Belehrungssucht dieser ganzen Belehrungssüchtigen nichts ändert.

Vielleicht auch, weil alle so tun können, als säßen sie an der Quelle, hätten sich – irgendwo da draußen in diesem Riesenkosmos von Daten – informiert, und würden nun auf Augenhöhe diskutieren. Wo kämen wir da hin, wenn Journalisten ständig alles besser wissen?

Vielleicht zu einer besseren Debatte.

Denn mal ehrlich: Unwissenheit ist keine Diskussionsgrundlage.

“Kannst du den Leuten doch nicht vorwerfen”, meint meine Süße. “Die Leute lesen eben nicht so viel wie du. Du musst nicht denken, dass alle so viel Zeit haben, alle möglichen Zeitungen zu lesen …”

Ach ja, die Zeit.

Aber ich hab mich dann ein paar Minütchen hingesetzt mit einem schönen Kaffee und einem leckeren Croissant, den mir meine Liebste ofenheiß serviert hat – mit goldiger Butter – Sie wissen schon …

Und dann hab ich so gedacht: Was weiß ich über Croissants? Könnte ich da mitreden, wenn jetzt unverhofft eine Debatte über die richtigen Croissants entbrennt? – Ich könnte einwerfen, dass meine geliebte Bäckerin die tollsten Croissants der Welt macht. Ich könnte auch über meine Geschmackserlebnisse reden und den für mich richtigen Moment. Aber schon wenn’s ums Backen geht, bin ich nicht mehr kompetent. Öhöm: Ich geb das einfach zu.

Es ist so.

In Debatten, von denen ich keine Ahnung habe, klinke ich mich nicht ein. Oder lese lieber vorher zehn Bücher und male fette Ausrufe- und Fragezeichen rein. Weil ich weiß, dass ich dumm bin, wenn ich von einem Thema nichts weiß.

Deswegen rede ich auch nicht über Bücher, die ich nicht gelesen habe.

Machen andere Leute zwar gern. Aber ich frag dann meistens (och, ich schlimmer Nörgler): Hast du’s gelesen? – Und wenn sie nicht Ja sagen können, sag ich, dass sie sich doch lieber noch ein Gläschen Grappa holen sollen. Zum Runterkommen.

Ich schreibe auch nichts über Theaterstücke, die ich nicht gesehen habe.

Ich rede auch nicht über Filme, die ich nicht gesehen habe.

Über Autos unterhalte ich mich auch mit niemandem. Ich hab ja keins und kann die Begeisterung für diese Mobilitätshilfszeuge auch nicht wirklich nachvollziehen.

Ach ja: Ich rede auch nicht über Religionen, die ich nicht kenne.

Aber ich lande oft genug im Internet in diversen Foren und Quatschbuden, in denen sich ein Haufen Leute über Dinge auslässt, von denen sie augenscheinlich keine Ahnung haben. Und ich bekomme diese komischen Leserbriefe in die Hand, in denen uns Leute, die behaupten, Leser zu sein, auch noch erklären, dass sie außer Überschrift und Anreißer eigentlich nichts gelesen haben. Und jetzt glauben sie, sie wüssten alles. Oder gar, was da unten alles steht, in dem langen Ding, das danach kommt und in dem wir für gewöhnlich versuchen, die ganze Sache zu erklären. Nicht bloß die halbe.

Oder nur den Satz, den wir oben hinschreiben, damit wirklich neugierige Leser in den Artikel hineingeführt werden. Anders als bei den Häppchenverköstern im Netz, steht bei uns immer noch eine Ecke mehr da. Manchmal verdammt viel. Aber manchmal reicht “verdammt viel” gerade so aus, um die Sache einigermaßen zu erklären.

Man kann auch keine Theaterkritik schreiben, wenn man sofort aufspringt und geht, wenn sich der erste Vorhang hebt.

Und über eine Reise nach Alaska könnte ich auch nicht schreiben, wenn ich schon in Amsterdam wieder aus dem Flieger steige.

Aber augenscheinlich glauben viele Leute, dass sie das können. Und schreiben dann Leserbriefe, in denen sie ihre ganze häppchenweise Klugheit ausbreiten. Ich will ja kein anderes Wort dafür verwenden. Sie stehen in der offenen Tür, kommen einfach nicht rein, aber schmulen die ganze Zeit in die Küche, ob sie irgendwo einen schmutzigen Teller sehen. Manchmal frag ich solche Leute, ob sie vielleicht bei uns als Tellerwäscher anfangen wollen. Oder ob sie mir die Kohlen in den Keller bringen …

“Was!!! Sie heizen noch mit Kohlen? Das wusste ich ja gar nicht!!!”

Eben, sag ich dann meist. Versuche die Tür zu schließen und dann kriech ich unter den Tisch und jaule ein bisschen.

Bis es wieder an der Tür klingelt: “Ich hab gehört, Sie haben einen Hund …”

Solche Leserbriefschreiber sind das.

Und was mach ich dann mit diesen Leserbriefen?

Ich steck sie in einen schönen blauen Ordner mit dem Aufkleber “Ist die Menschheit noch zu retten?  – Ja / Nein?” Natürlich in die “Nein-Rubrik”. Die ist schon lange voll.

Ich warte eigentlich noch auf Leserbriefe für die “Ja”-Rubrik.

Könnte ja mal einer kommen.

Wenigstens einer.

Bitte!

Euer Leo

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