Der Mond ist aufgegangen. Wo einst die Kindlein sangen, trägt Unwucht im Gebärgebilde, ein schändlich Tatwerk längst im Schilde? Sind's Künste, freie Rede oder Hirngespinste? Gespräch, Verhandlung, neue Künste? Ist Innehalten längst schon Zaudern und ehrlich reden Plaudern? Will Logik sich der Hast nun beugen, sind Zwei nicht immer noch genug, ein Drei zu zeugen? Von Völkern, die da wandern ist die Rede. Von weißem Nebel, Blut und Fehde.

Treibt alle angemahnte Stille, des Volkes Stimme und der Wille, wo einst noch Tagesjammer stand, die Welt an einen Weltenbrand? Ist Mondenschein uns nicht genug und ist das Wissen schon Betrug? Das Wissen um den Lebensquell, ganz gleich ob schwarz, mal gelb, mal grell.

Ganz ungerührt und gnadenlos, sind’s Sternlein, die da oben prangen. Am Himmel, hell und klarer Weise, zieht Forschung seine neuen Kreise. Doch unten steht was schwarz und schweigend, noch immer in der Welt herum. Es greift die Kinder, hält sie dumm. Seht Ihr den Mond dort oben stehn? Die Pfaffen und die neuen Herrn? Sie sind’s, die täglich in den Ölberg gehn – sie tun es sichtbar gern.

Aus ihrer Ruhe und dem Nutzen, mit Euch den edlen Schuh zu putzen, gewinnen sie die Macht der Massen. Wo oben gleiche Sterne passen, ist unten Stern und Stern nicht gleich. Ein echter König ist nie reich.

Die Angst, die Ihr vor fremden Menschen spürt, das ist der Pfad, der Euch bald führt. Zu denen, die Euch Angst gemacht. Dann kommt die letzte, schlimme Nacht. In welcher es am Himmel steht, wer Euch bislang die Nacht verdreht. Wer Menschen gegen Menschen treibt, wer immer an der Spitze bleibt. Dem ist der Galgen bald gewohnt.

Und oben thront am End der Mond.

Das Lied

Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar;
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille,
Und in der Dämmrung Hülle
So traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.

Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.

Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder
Und wissen gar nicht viel;
Wir spinnen Luftgespinste
Und suchen viele Künste
Und kommen weiter von dem Ziel.

Gott, lass uns dein Heil schauen,
Auf nichts Vergänglichs trauen,
Nicht Eitelkeit uns freun!
Lass uns einfältig werden
Und vor dir hier auf Erden
Wie Kinder fromm und fröhlich sein!

Wollst endlich sonder Grämen
Aus dieser Welt uns nehmen
Durch einen sanften Tod!
Und, wenn du uns genommen,
Lass uns in Himmel kommen,
Du unser Herr und unser Gott!

So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder;
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott! mit Strafen,
Und lass uns ruhig schlafen!
Und unsern kranken Nachbar auch!

Matthias Claudius “Abendlied”
wikipedia.org/wiki/Abendlied

In memoriam Dieter Hildebrandt
https://www.youtube.com/watch?v=dnqKwGetjz4

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