Eigentlich hatte ich mir ja was gedacht dabei, als ich den Quälgeist vor 20 Jahren am Henkel schnappte und zum Sammelplatz schleppte. "Funktioniert der noch", fragte mich der Mann in Orange mit skeptischem Blick. - "Technisch schon", sagte ich damals. "Aber ansonsten ..." - "Wenn das Ding noch funktioniert ..." - Der Herr von der Stadtreinigung schaute mich sehr, sehr skeptisch an. Auch als ich beschwingten Schritts von dannen schritt. Ohne Quälgeist.

Er hatte mich lange genug genervt. In grauen Vorzeiten hab ich mir gar nicht erst einen besorgt. Da war ich noch pappesatt von einer Zwangskindheit. Jawollo. Hättet ihr nicht gedacht, was? Jetzt zieht der Leo auch noch mal gründlich über Unrechtsstaaten und Funktionäre her. Andermal.

Nein. Die Alpträume meiner Jugend waren alle Schwarz-Weiß, fanden am Familientisch statt. Und kamen aus einem dunkelgrünen Gehäuse. Sie hießen Heidi, Skippy, Flipper, Shiloh und Waltons. Und sie begleiteten meine grauenvollsten Jugendjahre. Sie begleiteten den Familienmittag, das Familiengevespere, das Familienabendbrot. Immer lief der Quälgeist mit. Das Familienleben fand nur noch in einem bläulichen Flackern statt. Von meinem Vater kenne ich eigentlich nur seine karierten Pantoffel. Der Rest verschwand im seligen Blaulicht. Manchmal gluckerte ein Bierchen. Von meiner Mutter eine Nasenspitze in Blau. Meine sechs Geschwister – oder waren es Sieben? – keine Ahnung, Gestalten im Zwielicht.

Samstage in Blau. Sonntage in Blau. Meine Kindheit ein einziges blauen Flackern mit all diesen grauenvollen Figuren aus der Halbwelt. Bei Black Beauty bin ich zum Schreien unters Sofa gekrochen. Und bei Lassie hab ich auf Knien darum gebettelt, in den Keller gehen zu dürfen. – Ich weiß nicht, ob es Ihnen so ging. Mir ging es so. Irgendwann konnte ich das alles nicht mehr ertragen, schloss mich einer Wandergruppe an und packte schleunigst meinen Rucksack, wenn diese liebevollen Fragen kamen: “Aber am Sonntag kommt doch wieder Wetten dass, Leolein, willst du nicht mit uns allen in trauter Runde, ganz gemütlich …?”

Neeeeeeeeiiiiiiin!

Sie haben mich verachtet dafür, dass ich nie dabei war. Dessen bin ich mir sicher. Auch meine Freunde auf dem Schulhof, die mich bis zur sechsten Klasse regelmäßig verdroschen haben. – “Du kennst Winnetou nicht? Weichei. Kloppe!” – “Du hast gestern den Weißen Hai nicht gesehen? – Feigling. Kloppe.” Sie kennen das ja, wenn sie alt genug sind. Dieses Streiten über Dinge, die sie alle ganz heimlich geguckt haben. Dieses Glühen in ihren Augen, wenn sie gleich drei Millimeter größer wurden: “Der Leo guckt noch immer Jeannie, ist das zu fassen! Jeannie!!” – “Ich muss das gucken.” – “Jeannie. Wetten, dass du verknallt bist in Jeannie!” – “Nee, bin ich nicht.” – “Biste doch.”

Na ja, Sie wissen ja, wie so was weiter geht. Irgendwann kann einer nicht mehr anders und muss für Jeannie in die Bresche springen und sich mannhaft wehren.

Und noch späterchen hin ist der Wanderer froh, dass er sich von Mami, Papi und den sechs Waltons (oder waren es jetzt schon sieben? Man kriegt so wenig mit, wenn’s flackert) verabschieden kann. Mama: “Jetzt gehst du in die weite Welt, Leolein.” (Schnief) “Wann kommst du wieder?” (Schnief.) – “Ich bin doch noch gar nicht losgegangen. “- “Komm bald wieder Leo. Wenn wir alle in der Stube sitzen, ist es doch immer am schönsten …”

“Sag wenigstens Tschüss, Leo! Warum rennst du jetzt weg?!!?”
Ich hab also so ungefähr ein Dutzend Jährchen Freiheit erlebt und mich so einigermaßen erholt, bis ich dieses Delphinschnattern nicht mehr im Ohr hatte und diese wirklich grauenvolle Bonanza-Musik. (Jetzt hab ich aber was gesagt, nicht wahr? Sie haben das Geschrammel auch gleich wieder im Ohr, stimmst?) – An Jeannie dachte ich immer ein bisschen wehmütig zurück, weil die Mädchen, die ich traf, irgendwie nicht ganz so diensteifrig waren. Und Tony mochte ich dann irgendwann nicht mehr, als er dann auf einmal zu J. R. Ewing wurde, der meine neuen Abende auf neue Weise einsam machte: Ich verlor damals eine Menge Kumpel und Kumpelinen. “Nee Leo, heut abend kann ich nicht, da ist doch Dallas …”

Anfangs hab ich das noch stillschweigend hingenommen. Da hatte man nun eine bezaubernde Jeannie vor sich, wollte mit ihr ins Theater gehen. “Aber Leo, heut ist doch Dallas!” Sagt sie, verschränkt die Arme, nickt und ist weg.

“Du brauchst Gesellschaft, du Armer”, sagte mir so eine Jeannie, nachdem wir 89 so viel rumgelaufen sind. Ich war ja wie besoffen: So viele Leute auf der Straße, alle hatten sich lieb und die Jeannie an meiner Seite lief mal nicht weg, bloß weil mal wieder irgendwas mit Jack oder John oder April los war. Irgendwann war meine Jeannie-auf-Zeit sogar so weit, dass sie sagte: “Leolein, du hast recht, ich brauch die Kiste nicht mehr. Aber du brauchst ein bisschen Gesellschaft …”

So kam ich zu dem Ding, dass mich dann für drei Jahre völlig gebrauchsunfähig machte. Bis ich die Kiste am Henkel schnappte und zum Sammelcontainer schleppte. Der Bursche von der Stadtreinigung fragte mich sogar noch etwas verstört: “Darf man das denn einfach?”

Die Frage hätte mich schon damals stutzig machen sollen. Darf man das?

“Und was machst du am Sonntag, Leo”, fragt mich meine schöne Bäckern, wie ich da so grüble.
“Ich schreibe einen saftigen Brief an die Heinis in Köln.”

“Aber da regst du dich doch wieder so auf.”

“Ich wurde oft genug mit Flipper erpresst. Jetzt reicht’s. Vielleicht fahr ich auch hin und hau dem Kerl eins auf die Lichter.”

“Oja”, strahlt mich meine schöne Bäckerin an, die ich schon lange nicht mehr Jeannie nenne, weil sie nicht einfach nickt und verschwindet. “Da komm ich mit!”

“Aber erst mal gibst du mir das kleine schnuckelige Butterhörnchen.”

Sind wir nach Köln gefahren? – Nein. Die Stadt hat schon deshalb einen abschreckenden Charakter, weil da diese Bande sitzt, die sich Beitragsservice nennt. Was denn für ein Service? – Seit sie mich nicht mehr daheim aufsuchen dürfen, schleimen sie wie ein dubioser Versicherungskonzern. “Sie haben bei uns noch keine Lebensversicherung abgeschlossen. Sollen wir erst unseren kleinen Escortservice vorbeischicken, HERR LEU?”

Die Sprache kenn’ ich wohl.

“Und wenn wir doch zusammen hinfahren und mal so richtig remmidemmi …?”

“Später, Zuckerschnutchen. Erst mal schreib ich denen was.”

Gleich hier, an dieser Stelle.

Wenn ich’s denn schaffe ohne Kopfschmerz,

Euer Leo

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar