Unsere Wasserwerke sind spaßig. Mal versenken sie 300 Millionen Euro im Ausguss, dann wieder schieben sie eine freundliche Einladung unter der Toilettentür durch: Kommen Sie auch zum Tag des fröhlichen Abpumpers? - Naja, nicht ganz. Sie haben uns die Einladung per Post geschickt. Sah aus wie ein Weihnachtspäckchen. War aber die Einladung zum Feiertag der Lokusentsorger und Donnerbalkenreiniger: Welttoilettentag.
“Sie haben richtig gelesen – die Toilette hat einen eigenen Ehrentag”, schrieb uns das örtliche Ablaufunternehmen. “Seit etlichen Jahren rufen die Vereinten Nationen weltweit auf, das stille Örtchen einmal im Jahr in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen. Denn: 42 Prozent der Weltbevölkerung haben gar keine Toilette …”
Gar nicht erst dran denken. Die Armen. Und unsereins sitzt da und genießt die Stille. Randbemerkt sei erwähnt: Ich genieße wirklich. Es ist tatsächlich der stillste Ort. Keiner bittet mich ans Telefon: “Herr Leu, können Sie mal?” – Klar kann ich. Auch das genieße ich jedes Mal. Aber was wollen die Wasserwerke da von mir? Soll ich ein Kerzchen anzünden in meinem Separeé? Oder dankbar ein Gedenkminütchen einlegen für Alexander Cumming (1731/1733 – 1814), dem offiziell die Erfindung des Wasserklosetts zugeschrieben wird? Mache ich bei jedem Knopfdruck! Und freu mich, wie das Wasser rauscht.
Es soll ja auch Leute geben, die beten neuerdings zur alten römischen Göttin Kloakia, der Herrin über all die gemauerten Kanäle unter der Stadt, die das Fortgespülte auch so schön unbehelligt davontragen. Wobei ich persönlich die Dame bisher nur in einem Buch mit dem erhellenden Titel “Dunkle Halunken” gefunden habe von einem Herrn namens Pratchett. Wobei ich beim Durchlesen immerfort grübelte: Was meinen die deutschen Titelgeber damit? Die Dunkelheit da unten oder die dunklen Halunken im Hintergrund? Im Original heißt das Büchlein “Dodger” ( …was soviel heißt wie Gauner, Herumtreiber, Schwindler, Anm. d. Red. (Was manchmal besser klingt als der Name, den einem Behörden verpassen, Anm. L.L.)). Aber noch ein anderes Buch fiel mir bei dieser Einladung ein.
Denn es war ja nicht nur ein Blättchen Papier. Sinnigerweise hatten die Leipziger Toilettenfachleute auch noch eine Strippe extraweiches Toilettenpapier (mit klugschnackerischen Fragen drauf), eine Toilettenbürste in niegelneuem Zustand und einen angehängten Schlüssel beigepackt. Oh die Naiven. Sie haben nicht gelesen, was ich gelesen hab. Und wer einigermaßen klassisch bewandert (oder besessen) ist, der hat’s auch gelesen.
Die “Tolldreisten Geschichten” des herrlichen Honoré de Balzac, französisch: “Les contes drolatiques”. Sie wissen schon: dieses herrliche Fressgelage, bei dem es am Ende für die vollgefressenen Gäste etwas schwierig wird, die Nöte zu lindern: “Die Belustigungen König Ludwig des Elften”. Oja: Thron der Menschlichkeit! – Ich jedenfalls hab das Buch jederzeit griffbereit stehen neben den Frottéhandtüchern.
Und ich komm ja so auf Gedanken, wenn ich im verschlossenen Örtchen mal zum Denken komme, was ja bekanntlich außerhalb etwas schwierig ist.
Denn wozu ist das Schlüsselchen, das da in der Kiste war?Die Kommunikationsspezialisten unseres Wasserunternehmens haben ja sowas geschrieben: “Sie erhalten mit diesem Schreiben einen von fünf exklusiven Schlüsseln zur KWL-Ausstellung ‘Latrine, Lokus, Donnerbalken’ auf dem Leipziger Augustusplatz. Die Schau ist ungewöhnlich, witzig, spektakulär, nachdenklich – mehr können wir Ihnen vorab nicht verraten.” Und der Schlüssel, den ich nun so “exklusiv” besitze? Den soll ich mitbringen am 19. November um 11.30 Uhr. “Nutzen Sie die Möglichkeit nicht, bleibt den Leipzigern ein Ausstellungsteil hinter Ihrem Schloss verborgen.”
Merken Sie was? – Das verlöckt einen Balzac-Verehrer doch geradezu. Denn wenn ich nicht hingeh oder ganz zufällig meine Bahn verpasse oder mich mit der schönen Bäckerin verschäkere …. nicht wahr? … oder ganz unverplötzlich erkranke oder unabkömmlich werde, weil mich eine Lektüre im stillen Örtchen derart fesselt … ich könnte ja Bücher nennen, die sind drei solcher Sünden wert … ja, was dann? Dann stehen vier verschwiegene Kollegen ein bisschen errötet auf dem Augustusplatz und alle schauen auf eine verschlossene Tür: MEINE!
Nur ich bin nicht da, niemand, der aufschließen kann. Und wenn Sie Ihren Balzac kennen, wissen Sie, dass das mit den Geschichten andersherum funktioniert: Man bekommt so ein nervöses Gefühl im Bauch, wenn man nicht weiß, wie sie ausgehen. Man wagt es gar nicht, die Nachttischlampe auszumachen oder die Kerze auszublasen (je nachdem, wie Sie’s mögen, ich mag’s so mit 40 Watt am liebsten, also bisschen weniger, weil ja bei richtig dicken Büchern eine Sparlampe sein muss). – Ja, und dann stehen sie da und zappeln und kommen nicht rein. Wie auf dem letzten Plastikhäuschen beim Rockfestival, wenn das Bier nur 2 Euro gekostet hat. Stehen da und schauen auf die Uhr.
Und keiner weiß: Liest er nun die “Tolldreisten Geschichten” noch mal von vorn? Oder hat er nun neue Lust auf “Gargantua und Pantagruel” bekommen? Und überhaupt: Warum hat er den Schlüssel nicht abgegeben? Zum Beispiel an den Lehrbuben oder das Faktotum? Warum fällt ihm grad heute ein, dass er den “Don Quijote” noch mal lesen will? – Ja, warum nur?
Verrat ich natürlich nicht.
Leo Leu auf Holzwegen (4): Die erste Burg – mit Kauz, Plüschsammlung und Strohwisch
Und das mir! – Als Eintrittskarte …
Wenn ich ganz hintertückisch bin, schließ ich mich selber ein und ruf dann bei der Polizei an, dass sie mich holen kommt, was sie nicht tut, weil sie ja keine freien Polizisten mehr hat. Aber ein Schild kann ich ja anbringen für die lieben Kollegen, damit sie nicht klopfen und hämmern: Leo Leu feiert heute ausgiebigst den Welttoilettentag. Ein Kerzchen für Alexander Cumming nehm ich mit rein und eins für Joseph Gayetty, der das Toilettenpapier in seiner industriellen Schönheit erfunden hat. Schauen Sie selber nach, wie es unsere Vorfahren trieben, bis Herr Gayetty kam. Ich sag nur: Strohwisch.
Außerdem ist der 19. ein Dienstag. Da lese ich für gewöhnlich die “Illias”. Von vorn natürlich, sonst hat’s ja keine Spannung.
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