Fast ähnelt die Diskussion schon der Diskussion um die Dresdener Waldschlößchenbrücke aus dem Jahr 2005, die jetzt um den erst in der vergangenen Woche enthüllten Marienaltar im Naumburger Dom entbrannt ist. Obwohl der Altar das Aussehen des Domes nicht dauerhaft verändert und eine Aberkennung als UNESCO-Weltkulturerbe nur rein hypothetisch im Raum steht. Natürlich ist es eine Stellvertreterdiskussion um die Frage: Darf ein heutiger Künstler 500 Jahre alte Kunstwerke wieder vervollständigen?
Da trifft ein sehr akademischer Purismus auf eine Kirchgemeinschaft, die sehr wohl die Fragmente eines 500 Jahre alten Cranach-Alters in künstlerischen Dialog mit der Malweise eines heutigen Künstlers bringen möchte. Zeichen auch dafür, dass die Vereinigten Domstifter den Naumburger Dom nicht nur als musealen Raum betrachten, sondern immer auch als Begegnung mit der Gegenwart.
Beispielhaft für die skandalträchtige Diskussion ist der MDR-Beitrag vom 8. Juli „Verliert der Naumburger Dom seinen Welterbe-Status?“
Der Internationale Rat für Denkmalpflege (ICOMOS) empfahl den Vereinigten Domstiftern, einen anderen Platz zur Aufstellung des Alters zu suchen, damit die berühmten Stifterfiguren – darunter die bei Touristen besonders beliebte Uta – nicht beeinträchtigt würden. Eine Bitte, der die Auftraggeber durchaus entsprechen wollen.
Wie Cranachs Bildtafeln im Mittelteil des 1541 zerstörten Marienaltars einmal aussahen, weiß niemand. Die Seitenflügel blieben erhalten und über Jahrhunderte Fragment. Mit der Beauftragung des Leipziger Malers Michael Triegel, neue Bildtafeln zu malen, wurden die fragmentarischen Seitenteile erst wieder zum Altar.
Aber nun wird heftig darüber diskutiert, wie sich das in das UNESCO-geschützte Ensemble einfügt. Eine Diskussion, der sich die Vereinigten Domstifter nicht verweigern wollen. Am Freitag, 8. Juli, veröffentlichten sie eine entsprechende Stellungnahme dazu.
Stellungnahme der Vereinigten Domstifter
Die Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz nehmen zur laufenden Diskussion zum Projekt „Triegel trifft Cranach“ wie folgt Stellung:
1. Der von Lukas Cranach zwischen 1517 und 1519 für den Westchor des Naumburger Doms geschaffene Marienaltar wurde lange vor der Entstehung von Denkmalpflegebehörden für den liturgischen Dienst der Naumburger Domkirche geschaffen. Auch die Funktion des jetzt wiederhergestellten Retabels dient dem Gottesdienst, ökumenischen Andachten und zahlreichen weiteren liturgischen Handlungen.
Der Vertrag des Landes Sachsen-Anhalt mit den Evangelischen Landeskirchen in Sachsen-Anhalt vom 15.9.1993 § 9 Absatz (2) gewährleistet die Widmung der Kirchengebäude der Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz für kirchliche und diakonische Zwecke.
In § 10 Absatz 1 heißt es: „Die Denkmalbehörden haben bei Kulturdenkmalen der Kirchen, die dem Gottesdienst oder sonstigen Kulthandlungen zu dienen bestimmt sind, die kultischen und seelsorgerlichen Belange, die von der zuständigen Kirchenleitung festzustellen sind, vorrangig zu beachten. Mit Schreiben vom 22. Juni 2022 wurde durch den Landesbischof Friedrich Kramer dieser Sachverhalt für das Triegel-Cranach Retabel festgestellt. Die evangelische Gemeinde und das evangelische Domkapitel hatten dem Vorhaben bereits am 20. Mai 2020 bzw. am 29.06.2020 einstimmig zugestimmt.“
2. Bis zum Zeitpunkt der Weihe des Altars am 3. Juli 2022 durch Landesbischof Friedrich Kramer und den Bischof des Bistums Magdeburg, Dr. Gerhard Feige, im Rahmen einer ökumenischen Vesper, konnte die Diskussion zu dem Altar mit den Vertretern der ICOMOS-Gremien (und überhaupt allen Denkmalschützern und sonstigen Interessierten) nur sehr theoretisch, sozusagen „nach Papierlage“ geführt werden. Erst seit dem 3. Juli ist die Beurteilung von Sichtachsen etc. in der Realität möglich und daher transparent.
3. Wir sind mit ICOMOS Deutschland seit 2018 im steten und konstruktiven Austausch.
4. ICOMOS International ist das zuständige Beratergremium der UNESCO. Seit dem 2. Juli 2022 kennen wir das Gutachten von ICOMOS International zum Projekt „Triegel trifft Cranach“ und werten es zurzeit noch aus. Unsere Antwort werden wir Anfang der kommenden Woche an das UNESCO-Welterbezentrum in Paris weiterleiten.
5. Entscheidungen über Welterbe-Titel trifft einzig und allein das UNESCO-World Heritage Komitee. Dem Direktor des UNESCO-Welterbezentrums in Paris haben wir unseren Plan der auf drei Jahre befristeten Aufstellung des Retabels am 3. März 2022 schriftlich angekündigt. Nach den drei Jahren sollte eine gemeinsame Evaluierung des Altarvorhabens und seines Standortes mit ICOMOS stattfinden. Auf Wunsch des Landes Sachsen-Anhalt sind die Vereinigten Domstifter bereit, die Zeitdauer der temporären Aufstellung bis zum 4. Dezember 2022 zu verkürzen, um danach eine Evaluierung des Vorhabens und seines Standortes durchzuführen.
6. In Ergänzung zu anderslautenden Verlautbarungen kann eine positive oder negative Entscheidung zum Standort der Aufstellung des Altars nur in einer der jährlichen Gremiensitzungen des UNESCO World Heritage Komitees gefällt werden. Der Direktor des UNESCO World Heritage Centers in Paris hat in seinem Begleitschreiben zum oben erwähnten Gutachten von ICOMOS International ausdrücklich festgestellt, dass die Frage des Naumburger Altars nicht Gegenstand der nächsten Sitzung des Welterbekomitees sein wird.
Die diesjährige Sitzung, die in Kasan in Russland stattfinden sollte, ist aufgrund des Ukraine-Krieges auf unbestimmte Zeit verschoben und wird frühestens im kommenden Jahr stattfinden. Wir gehen trotz dieser Sachlage davon aus, dass wir zum Zeitpunkt der nächsten Sitzung mit dem UNESCO-World Heritage Zentrum in Paris und ICOMOS International eine gute Lösung für alle Fragen rund um das „Triegel trifft Cranach“-Projekt gefunden haben werden.
7. Im Herbst werden wir in Naumburg ein Symposium veranstalten, zu dem wir Gegner und Befürworter des Projekts einladen werden, damit die Diskussionspunkte öffentlich ausgetauscht werden können. Bis dahin laden wir alle Interessierten dazu ein, sich vor Ort persönlich eine Meinung zu dem „Triegel trifft Cranach“-Projekt zu bilden.
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