Für FreikäuferLEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 71, seit 27. September im HandelMit dem Fahrrad machte ich mich auf den Weg in die Stadt. Ja, richtig, mit dem Fahrrad. Ein Verkehrsmittel, für das Sri Lanka nicht übermäßig bekannt ist. Doch schon mein Reiseführer empfahl, die alte Königsstadt in Polonnaruwa mit dem Drahtesel zu erkunden. Und so saß ich am späten Nachmittag auf dem Sattel und fuhr die wenigen Kilometer von unserer Unterkunft zu den Ruinen.
Gina blieb wie zuvor schon im Bett, immer noch plagten sie Husten und Abgeschlagenheit, immer noch kümmerte sich unsere Gastgeberin rührend um sie. Erstaunt war sie trotzdem: Wie konnte ich meine Frau nur den ganzen Tag alleine lassen, erst am Sigiriya-Felsen und jetzt noch bei meiner geplanten Tour in die Stadt?
Ähm, Moment mal, wie „meine Frau“? Unsere Gastmutter war selbstverständlich davon ausgegangen, dass wir ein verheiratetes Pärchen waren oder zumindest ein Paar. Wie sonst konnten denn Mann und Frau so lange zusammen reisen und sich tagtäglich ein Zimmer teilen? Wenn sie wüsste! Keine zwei Wochen kannten wir uns zu diesem Zeitpunkt, von einer Beziehung ganz zu schweigen. In einer Welt, in der ein traditionelles, patriarchalisches Familienbild vorherrscht und deren Bewohner größtenteils damit beschäftigt waren, ihr tägliches Leben zwischen Arbeit, Religion und Familie zu bestreiten, war das anders undenkbar.
Zugegeben, ein wenig Respekt hatte ich schon vor meinem Weg zu den Ausgrabungsfeldern und Ruinen, schließlich zischten wie gewohnt rechts und links Tuk Tuks an mir vorbei, gefolgt von Bussen, deren Hupen wie üblich ein wahres Kakophonie-Konzert ergaben und die natürlich anhielten, wo sie wollten und wann sie wollten.
Angekommen im Zentrum der modernen Stadt Polonnaruwa, in der circa 13.000 Menschen leben, war es erst einmal eine Herausforderung, den Ort zu finden, an dem man die Tickets für den Eintritt in die alte Königsstadt und die zugehörigen Museen erwerben konnte; gelesen hatte ich nur, dass es die jedenfalls nicht an den Zugangspunkten zur Ausgrabungsstätte gab. Doch es brauchte nicht lange und ich stand an ebendiesen Kontrollen, die Tickets hatte ich zügig kaufen können.
Und da stand ich also: Inmitten von Tempelanlagen, Königspalästen, großen und kleinen Stupas; zwischen tausenden Sri Lankern, die die um 1100 erbaute ehemalige Hauptstadt ihres Landes besuchten; vor klischeehaft wirkenden Fakiren, die mit ihrem Flötenspiel Kobras aus geflochtenen Körben lockten, vor fliegenden Händlern, die Speis und Trank an die vielen Gäste bringen wollten. Ich glaube, wenn mich jemand beobachtet hätte, hätte er sich über mich gewundert: Ich hatte nicht nur leuchtende Augen, sondern lief auch mit offenem Mund durch die Gegend. Nach dem Vollmondfest in Kandy befiel mich zum zweiten Mal das Gefühl, in einem Märchen von 1001 Nacht angekommen zu sein. Ich glaube, mein Staunen und meine Freude sah man mir an.
Nachdem ich es dann relativ bald aufgegeben hatte, mir alles Geschichtliche merken zu wollen, was auf den verblichenen Informationsschildern stand – Wer war eigentlich König Vijayabāhu I., der hier seinen Palast baute? Und wo lag das Königreich Kalinga, dessen Armee hier einfiel? – ließ ich meine Umgebung einfach nur noch auf mich wirken. Und musste wieder grinsen. Ich war so glücklich.
Vor einem Jahr hatte ich noch nicht mal ansatzweise geahnt, dass ich einmal inmitten des Kulturdreiecks Sri Lankas stehen würde und nun begeisterte mich jede Buddha-Statue, die Gerüche, die von den unzähligen Räucherstäbchen überall auf dem Gelände meine Nase erfüllten, die freundlichen Menschen, die mich als einen der wenigen Weißen dort herzlich grüßten, die vielen Affen, deren Junge sich auf der weitläufigen Anlage hier und da haschten. Und was konnte ich lernen, auch jenseits aller historischen Fakten: Im heiligen Bezirk, dem religiösen Zentrum der alten Hauptstadt, durfte man keine Schuhe tragen, und so stellte ich meine Flipflops neben tausende andere Paare, mich fast schon innerlich verabschiedend, weil ich mir nicht so sicher war, ob ich sie tatsächlich wiederfinden würde.
Die wichtigste Erkenntnis aber war die, dass es in Sri Lanka – im Gegensatz zum Beispiel zu Vietnam – unter Strafe verboten ist, einer Buddha-Statue den Rücken zuzukehren, wenn man ein Foto mit ihr machen wollte; daneben stehen okay, sie ansehen okay, aber eben nicht ein typischen Touristenfoto vor der Statue zum Fotografen blickend.
Fotografieren war aber ohnehin irgendwie zweitrangig geworden, ich genoss einfach den Augenblick, der mich so faszinierte. Seit einigen Jahren hatte ich nun schon Yoga gemacht und irgendwie war es stets diese spirituelle Umgebung gewesen, die mir noch gefehlt hatte. So war es auch nicht verwunderlich, dass ich trotz Einbruchs der Dunkelheit die Zeit im alten Polonnaruwa ausgiebig genoss, beispielsweise auf einem Felsen sitzend mit Blick auf meterhohe Buddha-Statuen, die im 12. Jahrhundert direkt aus dem Felsen geschlagen wurden, besser bekannt als Gal Vihara. Die kleinste der drei Außenstatuen ist 4,60 Meter hoch, die größte ist der liegende Buddha mit über 14 Metern Länge.
Der Höhepunkt meines Besuches jedoch war die Umrundung der riesigen Stupa (170 Meter im Durchmesser, heute 33 Meter hoch, laut Archäologen einst wohl aber doppelt so hoch), in der sich bis zur Umlagerung nach Kandy der Eckzahn Buddhas befunden haben soll. Es fühlte sich so an, als ob mich die buddhistische Spiritualität nun vollends eingehüllt hatte: Tausende Menschen, die auf dem riesigen Areal um die Stupa herumsaßen, waren wegen des Vollmondfestes in Weiß gehüllt; durch Lautsprecher drang der Gesang buddhistischer Mönche, der mich sehr an den Singsang des Papstes erinnerte; überall lagen Blumengaben um Gefäße voller Räucherstäbchen. Die Stimmung war voller Ehrfurcht, voller Dankbarkeit. Es war ein faszinierender Moment, den ich wohl niemals vergessen werde.
Zum Glück meisterte ich anschließend auch noch die ganz weltliche Herausforderung, im Dunkeln mit meinem klapprigen Fahrrad und einem schwachen Dynamo zurückzukommen und so ging ein atemberaubender Tag voller Eindrücke zu Ende, erst Sigiriya-Felsen, dann historisches Polonnaruwa. Wahnsinn. So hatte ich mir meine Reise vorgestellt, obgleich es doch schon anstrengend war. Doch viel Erholung bis zum nächsten Abenteuer sollte ich nicht haben …
Mit dem Bus ging es zurück nach Kandy, dann weiter mit dem Zug nach Hatton, einem der höchstgelegenen Orte der Insel. Dort hatte ich eine Unterkunft gebucht, die mir Freundesfreunde in der Heimat empfohlen hatten, die zufällig vor nicht allzu langer Zeit ebenfalls dort gewesen waren. Zwar war sie selbst für Sri Lankische Verhältnisse nicht ganz preiswert, doch zahlte sich jede Rupie aus. Inmitten von Teeplantagen gelegen, bekamen wir das schönste Zimmer, das wir bis dahin auf unserer Reise gehabt hatten, inklusive Badewanne, Balkon und einem grandiosen Service mit superleckerem Essen. Doch gereist waren wir dahin nicht wegen der Unterkunft an sich, sondern wegen ihrer Nähe zu Adam’s Peak (siehe Reisebericht Sri Lanka – Teil I).
Nach nur dreieinhalb Stunden Schlaf klingelte unser Wecker um 1:15 Uhr und unser Tuk Tuk-Fahrer stand vor der Tür und brachte uns, die wir immer wieder einnickten und mächtig froren, nach etwa einer Stunde Fahrt an den Fuße des 2.243 Meter hohen Berges, den wir mit einer Handvoll anderer Pilger und Touristen so besteigen wollten, dass wir pünktlich zum Sonnenaufgang früh halb sechs auf seiner Spitze sind. Bis dahin lagen vor uns mehr als 4.000 Stufen. Zumindest für mich, denn Gina schimpfte bereits nach ein paar Minuten vor sich hin, dass ich zu schnell wäre, dass es zu kalt sei, dass ihr wegen ihrer Gicht alles wehtue.
Ein paar Meter vor ihr laufend rollte ich in der Dunkelheit mit den Augen und fluchte ebenfalls, aber eher, weil ich ihr ständiges Mäandern zwischen allgemeiner Unlust, sich zu bewegen, auch wenn es mal etwas anstrengend wurde, ihrem Anspruch, alles müsse so sein, wie sie es zu Hause in Deutschland gewohnt war, ihrem permanenten Kranksein und dem Hang, mehr als die Hälfte des Tages entweder Instagram-kompatible Fotos zu schießen oder sie dementsprechend zu bearbeiten, einfach gestrichen satt hatte und einmal mehr formierte sich in mir der Gedanke, später alleine weiterzureisen. Nur wie sollte ich ihr es sagen? Und wann? Und will ich das wirklich? Zusammen zu reisen gibt einem ja doch irgendwie ein Gefühl größerer Sicherheit.
Ich schob diese Überlegungen erst mal beiseite, zumal ich Gina zumindest für den Moment zunächst mal loswar – nach nicht mal einer halben Stunde hatte sie beschlossen, umzukehren. Nun hieß es also, nur mit einer Taschenlampe bewaffnet den Weg nach oben zu bestreiten, ein Weg, der mir erst einmal unheimlich wurde. Abenteuerlust hin oder her, aber früh um drei im Stockdunkeln fernab jeder Ortschaft inmitten eines völlig unbekannten Territoriums alleine unterwegs zu sein, bedarf doch schon mehr Mut als ich geahnt hatte, zumal die wenigen anderen Menschen sich auch recht schnell verstreut hatten. So lief ich also für eine gute halbe Stunde alleine weiter bis ich dann schließlich auf zwei Briten stieß, die ich einfach fragte, ob ich mich ihnen anschließen könne. Und diese Entscheidung war genau die richtige!
Denn kurz nachdem ich die beiden kennengelernt hatte, bogen wir um eine Kurve, hinter der mitten auf dem Weg sechs oder sieben junge Männer lagen, die uns nur einen Spalt breit ließen, um zwischen ihnen hindurchzulaufen. Just in dem Augenblick als wir dies dann taten, standen sie allesamt auf und liefen hinter uns her. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und höher, ich hatte das erste Mal auf meiner Reise so richtig Angst. Früh halb vier. Absolute Dunkelheit. Ein Berg fernab jeder Zivilisation. Nur einige Touristen dort, niemand anderes. Und dann eine Gruppe junger Männer, die genau dann aufstanden, als wir vorbeigingen, und uns dann folgten. Was wollten sie? Waren sie zufällig dort? Nein, das schien ausgeschlossen …
Heute hier, morgen dort (1): Der Beginn einer kleinen Weltreise in Sri Lanka
Heute hier, morgen dort (1): Der Beginn einer kleinen Weltreise in Sri Lanka
Hinweis der Redaktion in eigener Sache (Stand 01. Oktober 2019): Eine steigende Zahl von Artikeln auf unserer L-IZ.de ist leider nicht mehr für alle Leser frei verfügbar. Trotz der hohen Relevanz vieler unter dem Label „Freikäufer“ erscheinender Artikel, Interviews und Betrachtungen in unserem „Leserclub“ (also durch eine Paywall geschützt) können wir diese leider nicht allen online zugänglich machen.
Trotz aller Bemühungen seit nun 15 Jahren und seit 2015 verstärkt haben sich im Rahmen der „Freikäufer“-Kampagne der L-IZ.de nicht genügend Abonnenten gefunden, welche lokalen/regionalen Journalismus und somit auch diese aufwendig vor Ort und meist bei Privatpersonen, Angehörigen, Vereinen, Behörden und in Rechtstexten sowie Statistiken recherchierten Geschichten finanziell unterstützen und ein Freikäufer-Abonnement abschließen.
Wir bitten demnach darum, uns weiterhin bei der Erreichung einer nicht-prekären Situation unserer Arbeit zu unterstützen. Und weitere Bekannte und Freunde anzusprechen, es ebenfalls zu tun. Denn eigentlich wollen wir keine „Paywall“, bemühen uns also im Interesse aller, diese zu vermeiden (wieder abzustellen). Auch für diejenigen, die sich einen Beitrag zu unserer Arbeit nicht leisten können und dennoch mehr als Fakenews und Nachrichten-Fastfood über Leipzig und Sachsen im Netz erhalten sollten.
Vielen Dank dafür und in der Hoffnung, dass unser Modell, bei Erreichen von 1.500 Abonnenten oder Abonnentenvereinigungen (ein Zugang/Login ist von mehreren Menschen nutzbar) zu 99 Euro jährlich (8,25 Euro im Monat) allen Lesern frei verfügbare Texte zu präsentieren, aufgehen wird. Von diesem Ziel trennen uns aktuell 450 Abonnenten.
Keine Kommentare bisher