Im letzten Paris-Tagebuch habe ich Ihnen ja meine Eindrücke vom „Stern von Paris“, dem "Etoile" am Arc de Triomphe, beschrieben. In diesem Tagebucheintrag wollen wir, auf sicherem Weg natürlich und nicht über die sechsspurige Straße des Kreisverkehrs, zum Triumphbogen gehen und uns diesen genauer anschauen. Die etwas versteckten Eingänge zum Tunnel entdeckt man nicht gleich. Eher die bunt gekleideten Menschenmassen, die davor stehen und so langsam im Erdboden verschwinden.
Wir folgen ihnen. Eigentlich möchte man den Arc de Triomphe gar nicht mehr aus den Augen lassen, der Blick ist irgendwie gefesselt. Und da fällt es schwer, jetzt die Treppen hinunter zu steigen.
Die Unterführung ist recht niedrig. Wenige Minuten später, kurz an der Kassen-Warteschlange zur Plattform vorbei, stehen wir an der Seite des Triumphbogens mitten auf dem riesigen Platz, auf dem im Kreis um uns herum die Autos sausen. Von hier aus ist der Anblick noch imposanter, das Bauwerk passt nicht mal mehr komplett aufs Foto.
Der gigantische Arc de Triomphe
Als Napoleon I. 1806 nach der gegen Russland und Österreich gewonnenen Schlacht von Austerlitz seinen Soldaten versprach, dass sie durch Triumphbögen heimkehren werden, ahnte er bestimmt noch nicht, was für Probleme auf ihn und das geplante Bauwerk zukommen würden. Und dass keiner dieser Soldaten jemals durch den Triumphbogen in die Stadt Paris heimkehren würde.
Trotz der Beauftragung und der Grundsteinlegung im Jahre 1806 sollte der Bau noch bis ins Jahr 1836 andauern – da war Napoleon Bonaparte schon gestürzt und auf Elba verbannt (1814), zurückgekehrt an die Macht (100-Tage-Herrschaft 1815) und erlitt schließlich bei Waterloo sein Waterloo. Als der Arc de Triomphe endlich fertiggestellt wurde, war der große Kaiser Napoleon schon 15 Jahre tot.
Viele Baumeister und Architekten erhielten in den 30 Jahren den Auftrag, an dem Bauwerk weiterzuarbeiten. Napoleon wollte den Triumphbogen eigentlich am Place da la Bastille aufstellen lassen, dort, wo 1789 mit dem Sturm auf die Bastille die Revolution begann. Letztlich entschied man sich aber doch für den besser geeigneten Place de l’Etoile. Dieser hatte zu der Zeit zwar nur fünf Strahlen, also fünf Avenuen, die zu ihm hinführten, aber der Name existierte schon.
1806 wurde also der Grundstein gelegt. Bis zum Jahr 1810 waren die vier Grundpfeiler gerade mal einen Meter hoch. Napoleon wollte aber unbedingt, dass die von ihm geheiratete habsburgische Prinzessin Marie-Louise, Tochter des österreichischen Kaisers Franz I., bei ihrem Einzug in die Stadt durch den Triumphbogen fahren sollte. Also gab er die Anweisung, dass auf die steinernen Sockel der Pfeiler eine Holzkonstruktion in Originalgröße gesetzt wird, schön mit Stuck verputzt, angemalt und geschmückt. Sah aus wie echt – ein Potemkinscher Triumphbogen sozusagen. Als Napoleon dann 1814 abdankte, kamen die Bauarbeiten zum Erliegen, das Provisorium blieb stehen und wurde erst 1836 unter „Bürgerkönig“ Louis-Philippe fertiggestellt – ganz im napoleonischen Ansinnen der Verherrlichung der militärischen Erfolge der Grande Armée.
Und nun erhebt er sich mit seinen gigantischen Ausmaßen über den Platz und ist neben Notre-Dame, dem Louvre und dem Eiffelturm zu einem der bekanntesten Wahrzeichen der Stadt geworden.
50 Meter hoch, 45 Meter breit und 22 Meter tief. Man selbst fühlt sich recht klein.
Beeindruckende Reliefs und Namensgravuren
Die Außenwände der vier Säulen des Bogens werden von vier verschiedenen Reliefs geschmückt. Sonst kann ich persönlich dieser Kunstform ja nicht soviel abgewinnen, aber ich muss eingestehen, dass ich doch sehr beeindruckt bin. Die Reliefs wirken so plastisch und dynamisch, dass ich doch mehrere Minuten brauche, um alle Details zumindest einigermaßen zu erfassen. Und da wir jetzt schon soviel über Napoleon gesprochen haben, hier als Beispiel das passende Relief: „Triumph Napoleons nach dem Frieden von 1810“, zu finden auf der östlichen, der Champs-Elysées zugewandten Seite.
Haben Sie das Bild auch mal vergrößert, damit ein paar mehr Details zu erkennen sind? Hat was, oder?
Ich versuche mich mal an einer Interpretation:
Victoria, die halbnackt dargestellte römische Siegesgöttin, krönt den majestätisch mit einem Schwert dastehenden und in eine Toga gewandeten Napoleon mit einem Lorbeerkranz. In der anderen Hand hält sie ein anderes Siegessymbol, einen Palmzweig. Eine durch den ausgestreckten rechten Arm Napoleons beschützte Stadt (die Figur trägt auf dem Kopf eine Krone, die einer mittelalterlichen Stadtmauer ähnlich sieht – soll das Wien sein?) kniet links zu seinen Füßen und unterwirft sich seiner Gnade. Links dahinter steht eine Figur und schreibt die Namen der siegreichen Schlachten Napoleons auf eine Tafel, der Stift ist gerade bei „PYRAMIDES, MARENGO, AUS…“ (hier ist natürlich Austerlitz gemeint); 1798, 1800, 1806 gewonnen. Und oben drüber fliegt ein geflügelter Siegesengel und verkündet mit Trompetenklängen der ganzen Welt die Siege der großen Armee und die Macht des Feldherrn Napoleon. Mit der linken Hand hält der Engel eine römische Standarte, an der Spitze ein Siegesadler und die Gravur „EF“ („Empereur des Français“ = Kaiser der Franzosen) – ein weiteres Machtsymbol. Wen oder was genau die rechts kniende, nach unten schauende Figur darstellen soll, habe ich noch nicht herausgefunden. Das französische Volk kann doch damit wohl eher nicht gemeint sein, oder? Hätten die sich das gefallen lassen?
Ein zweites Relief, das mir auf eine andere Art auch sehr gut gefällt, heißt „Der Auszug der Freiwilligen 1792 – La Marseillaise“.
Während das erste Napoleon-Relief vor Symbolik und Machtpräsentation nur so strotzt, ist hier die Dynamik deutlich zu spüren. 200.000 Aufständische – ein Großteil von ihnen kam aus Marseille -, die unter Führung der über ihnen fliegenden schwertschwingenden Freiheitsgöttin in den Krieg ziehen, um sich gegen die Obrigkeit und den König aufzulehnen – später wurden die Kämpfe in den Tuilerie-Gärten am Louvre als „Zweite Revolution“ bezeichnet.
„Allons, enfants de la patrie, le jour de gloire est arrivé.“ – „Auf, Kinder des Vaterlands, der Tag des Ruhmes ist gekommen!“ So lauten die ersten zwei Zeilen der französischen Nationalhymne „La Marseillaise“. Vielleicht schmettert die oben fliegende Göttin ja gerade dieses Lied und reißt daher ihren Mund so weit auf? Keine Ahnung. Ich würde Sie aber gern mal fragen, ob Sie beim Betrachten des Reliefs auch den empörten, stimmungsgeladenen Aufbruch der „Wutbürger von 1792“ spüren.
Können Sie jetzt verstehen, warum mich das so ein bisschen mitgerissen hat?
Auch im nächsten Tagebucheintrag bleiben wir noch am Arc de Triomphe. Wir sind ja noch lange nicht rum und haben noch nicht alles gesehen. Dann geht es auch um die Toten der Kriege.
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