Wir fahren am nächsten Morgen mit der Métro Nr. 4 bis zur Station "Place Charles de Gaulle". Der Haltestellenname hat aber noch einen zweiten Teil: "Etoile“ - französisch für „Stern“. Und genau da sind wir jetzt. Wir besuchen den Pariser Star und anschließend den 50 Meter hohen Triumphbogen „Arc de Triomphe“, an dem die wohl berühmteste Prachtstraße der Welt beginnt: die Avenue des Champs-Elysées. Zwei Kilometer lang führt sie bis zum Place de la Concorde und unter einem anderen Namen weiter bis zum Louvre. Da wollen wir heute noch hin.
Unsere Tagestour beginnt vormittags gegen elf. Die Sonne brennt jetzt schon wieder vom Himmel. Nachdem wir gerade mit der Rolltreppe aus der kühlen Tunnelröhre und der unterirdischen Métrostation heraufgefahren sind, war das ein ganz schöner Schreck. Der ausgedehnte Place Charles de Gaulles liegt mit seinen geschätzten 250 Metern Durchmesser vor uns.
Nur was für Lebensmüde
Der Weg zum Triumphbogen ist jedoch gar nicht so einfach, denn ein einziger Blick zeigt: Zwischen den am Rande gelegenen Straßen und der Sternenmitte mit dem darauf befindlichen Arc de Triomphe liegt eine breite Straße, ein Kreisverkehr. Sechs Spuren, auf denen im Sekundenrhythmus Autos und Busse aus allen der anliegenden 12 Straßen ein- und wieder ausfahren. Das Tempo der Fahrzeuge ist hoch, sie wechseln wild die Spuren, von ganz außen schräg weiter nach innen und dann wieder nach außen. Wer auf direktem Wege zum Bauwerk rüber und nur mal schnell die Straße überqueren will, muss lebensmüde sein. Wie also kommt man hinüber? Ein Tunnel, der unterirdisch die Straße unterquert, hilft jedem Paris-Urlauber, seinen Aufenthalt in der Stadt sicher zu beenden, ohne auf einen Besuch des Arc de Triomphe verzichten zu müssen. Aber beeindruckend ist das Schauspiel schon, wie die vielen verschiedenen Fahrzeuge unterschiedlicher Größe und Geschwindigkeit sich vor- und nacheinander einfädeln. Und da kommt es mir schon ein wenig komisch vor, dass mittendrin ein oben offener Sightseeing-Bus fast im Schneckentempo den Kreisverkehr passiert und einmal im Kreis herumfährt – ohne dass was passiert. Hoher Einsatz für die gaffenden Fahrgäste auf der Suche nach dem besten Fotomotiv. Drumherum der rauschende Verkehr.
Wir stehen in der Avenue de Friedland, noch ein Stück vom Triumphbogen weg. Die ersten Fotos sind im Kasten, ein imposantes Bauwerk, dieser Triumphbogen. Heute sind wir an so hohe Bauwerke – oder noch höhere – ja gewöhnt, aber wie beeindruckend und gleichzeitig erdrückend muss so ein mächtiger Steinklotz auf die Menschen von vor fast 200 Jahren gewirkt haben?
Ein Star in Paris – der „L’Etoile“ am Place Charles de Gaulle
Je weiter wir aus unserer Straße heraus nach vorne in Richtung Platzmitte gehen, desto besser wird erkennbar, warum der Platz auch den Namen „L’Etoile“ – „der Stern“ trägt. Mit den 12 Avenuen, die strahlenförmig in alle Richtungen zum Platz bzw. von ihm wegführen, sieht das wirklich ein bisschen so aus wie ein Stern mit seinen Zacken. Vom Boden aus ist das leider wegen der Ausmaße nur schwer erkennbar, besser zeigt sich der Stern mit ein wenig Abstand – nach oben selbstverständlich. Da muss ich nochmal Google Maps bemühen, um das anschaulich zu zeigen. Und, erkennen Sie den Stern? Ein schöner Anblick, oder?
Die Namen der 12 Avenuen – ein Ausflug in die französische und europäische (Kriegs-)Geschichte
Heute wird dutzende Male das Wort Napoleon im Text auftauchen. Entschuldigung, aber das lässt sich echt nicht vermeiden.
Also mich erinnern die 12 strahlenförmigen Striche zwischen den Häusern und Bäumen irgendwie an das Zifferblatt einer Uhr. Wenn Sie sich jetzt also mal vorstellen, dass wir dieses Ziffernblatt grob auf die Luftaufnahme legen, dann kann man relativ gut beschreiben, welche Straße gemeint ist. Ich möchte mit Ihnen noch einen kleinen Abstecher machen, es geht um die 12 Straßennamen:
1 Uhr: Die Avenue de Wagram (im Bild oben rechts an der schmalen Seite des Triumphbogens), die in nordnordöstliche Richtung wegführt, ist nur etwa 1,5 Kilometer lang und verdankt ihren Namen der 1809 von Napoleon I. und seiner Großen Armee gewonnenen Schlacht gegen die österreichische Armee bei Wagram (in der Nähe von Wien). Die Schlacht war zwar sehr verlustreich für die französische Armee, brachte aber den Frieden von Schönbrunn: einen Waffenstillstand, große Gebietsverluste für Österreich, die Heirat Napoleons mit Marie-Louise, der Tochter des österreichischen Kaisers Franz I. – und letztlich die erzwungene Teilnahme Österreichs am Russlandfeldzug 1812, der so jämmerlich verloren ging.
Im Uhrzeigersinn folgen dann:
2 Uhr: Die Avenue Hoche (führt im Bild in die rechte obere Ecke) erhielt 1879 ihren Namen und ehrt damit Louis Lazare Hoche, den General der Französischen Revolution, der von vielen Militärs seiner Zeit „Der Bonaparte vom Rhein“ genannt wurde. Er starb im September 1797 in Wetzlar. Um aufkommenden Gerüchten einer Vergiftung des hochverdienten Feldherrn entgegentreten zu können, wurde der Leichnam obduziert, dabei wurden große Defekte in beiden Lungen diagnostiziert. Sein Grab wurde jedoch 1919 vom Petersberg in Koblenz nach Weißenthurm/Rhein verlegt.
3 Uhr: Hinter dem Namen der Avenue de Friedland verbirgt sich mal wieder ein Napoleonischer Schlachtenort. Gemeint ist die 1807 in Ostpreußen gewonnene Schlacht gegen die russische und preußische Armee. Als Ergebnis der Niederlage verschwand Preußen aus der ersten Reihe der europäischen Großmächte. Die Avenue de Friedland ist die Verbindung zum weiter östlich gelegenen Boulevard Haussmann.
4 Uhr: Die weltberühmte und 70 Meter breite Avenue des Champs-Elysées, die „Allee der elysischen Felder“. Die Franzosen/Pariser sagen einfach nur „Les Champs“. In Deutschland dürfte wohl seit den siebziger Jahren Joe Dassins Song „Aux Champs-Elysées“ für den einen oder anderen Zungenbrecher gesorgt haben. Der Liedtext (https://www.youtube.com/watch?v=d7-UcdcK4AA) hat für die Deutschen – wegen der recht hohen Geschwindigkeit – so seine Tücken. Von den Merkwürdigkeiten der Aussprache französischer Wörter mal ganz zu schweigen. Zur Geschichte dieser Straße dann in einem späteren Tagebucheintrag noch mehr, hier erstmal der Blick in die Avenue des Champs-Elysées vom Triumphbogen aus.
5 Uhr: Die Avenue Marceau trägt ihren Namen zu Ehren des 1796 verstorbenen französischen Generals François Desgraviers Marceau, der in mehreren Schlachten zu militärischen Ehren kam. Er verstarb nach einer Verletzung im Westerwald, wo auch heute noch ein Denkmal an ihn erinnert.
Die Avenue Marceau endet weiter im Süden an der Seine-Brücke Pont d’Alma, an der Prinzessin Diana Ende August 1997 tödlich verunglückte. Und noch eine Info für all jene, die die französische Schauspielerin Sophie Marceau aus dem 80er-Jahre-Film „La Boum – Die Fete“ kennen. Sie soll, als geborene Sophie Maupu, hier am Etoile bei den Straßenschildern nach einem Künstlernamen für sich gesucht haben. Und ist wohl dann spontan beim Schild “Avenue Marceau” stehen geblieben. Gut, dass sie sich nicht für „Grande Armée“ entschieden hat. Sophie, die große Bewaffnete.
6 Uhr: Die Avenue d’Iéna wurde so benannt zu Ehren eines Napoleonischen Sieges in Iéna. Sie kennen den Ort „Iéna“ nicht? Noch nie gehört? Ich glaube doch. Hinter dem Ortsnamen Iéna verbirgt sich die thüringische Stadt Jena, bei der Napoleon Bonaparte im Jahr 1806 der preußischen Armee zwei empfindliche Niederlagen beibringen konnte.
Die Avenue d’Iéna führt südwärts bis zum Place d’Iéna und zum Palais de Chaillot (gegenüber dem Eiffelturm).
7 Uhr: Die im Uhrzeigersinn folgende Straße ist die in südsüdwestliche Richtung zum Place du Trocadéro führende Avenue Kléber. Namensgeber ist General Jean-Baptiste Kléber, der bis zu seiner Ermordung 1800 in Kairo unter Napoléon Bonaparte Oberbefehlshaber in Ägypten war.
8 Uhr: Muss man zum Namensgeber der Avenue Victor Hugo noch was sagen? Für sehr viele Franzosen ist er „DER französische Autor“ überhaupt, der bei uns in Deutschland vor allem durch seine Romane „Der Glöckner von Notre-Dame“ und „Die Elenden – Les Misérables“ bekannt geworden ist. Aber auch politisch war er sehr aktiv und musste bis zum Sturz Kaiser Napoleons III. ins Exil gehen. Außerdem gilt Victor Hugo zusammen mit Honoré de Balzac als einer der engagiertesten Verfechter für die Einführung eines Urheberrechts für Bücher. Und warum nun ausgerechnet diese Avenue? Weil er während seiner letzten Lebensjahre im Haus mit der Nummer 124 wohnte und 1885 dort auch starb.
9 Uhr: Die Avenue Foch gilt als die exklusivste Wohnstraße der Stadt und ist mit einer Breite von 120 Metern die breiteste Straße Europas. Der hochrangige Marschall Ferdinand Foch, der militärisch im Ersten Weltkrieg als Oberbefehlshaber der gesamten Westfront verantwortlich war, gab der Straße seinen Namen. 1918, nach dem Sieg über Deutschland, war er ein führender Vertreter einer sehr restriktiven Politik gegen das Deutsche Reich, welches aufgeteilt und damit entmachtet werden sollte. 1929, wenige Tage nach dem Tode Fochs, erhielt die Avenue seinen Namen. Das blieb offenbar den Deutschen im Gedächtnis, im Juni 1940 fand die Siegesparade der deutschen Truppen genau hier statt.
10 Uhr: Die Avenue de la Grande Armée liegt genau gegenüber der Champs-Elysées und ist die stadtauswärtige Verlängerung bis zum Hochhausviertel La Défense, welches als die größte Bürostadt Europas gilt. Und wenn man vom Arc de Triomphe aus die Straße entlangschaut, dann sieht man ganz am Ende die in den 1980er Jahren gebaute, moderne Variante des Triumphbogens: la Grande Arche. Übrigens mit 110 Metern Höhe mehr als doppelt so groß wie sein Bruder am Etoile. Und welche Große Armee könnte beim Straßennamen wohl gemeint sein? Wenn Sie Napoleon vermuten, dann liegen Sie – natürlich – richtig. Wer auch sonst? Einen dritten Triumphbogen gibt es in der Nähe auch noch, doch um den kümmern wir uns erst in einem der nächsten Einträge des Paris-Tagebuchs.
11 Uhr: Die Avenue Carnot, die in nordwestlicher Richtung vom Arc de Triomphe wegführt, ist mit gerade einmal 350 Metern die kürzeste der 12 Straßen und wurde nur aus optischen Gründen mit in die Gestaltung einbezogen. Besonders Eindruck macht die Straße, wenn die dort gepflanzten Bäume (Paulownia tomentosa) ihre lilafarbenen Blüten zeigen. Der Namensgeber der Avenue dürfte hierzulande kaum jemandem bekannt sein: Sadi Carnot war von 1887 bis 1894 der vierte französische Präsident und wurde am 25. Juni 1894 während eines Banketts anlässlich der Weltausstellung in Lyon bei einem Attentat ermordet.
12 Uhr: Auch der Name der nach Norden führenden Avenue du Mac-Mahon wird einem nur klarer, wenn man im Internet sucht. Comte (Graf) Patrice de Mac Mahon, der als französischer Marschall von 1873 bis 1879 der zweite Präsident der Französischen Republik war, ist der Namenspatron dieser Avenue. Ansonsten glaube ich, dass ich den Namen noch nie gehört habe. Oder ich war im Geschichtsunterricht gerade Kreide holen, keine Ahnung.
Eine „versteckte“ 13. Straße gibt es auch noch: Unterirdisch führt der Tunnel d’Etoile direkt von der Avenue des Champs-Elysées (die Tunneleinfahrt ist recht unscheinbar) in einem leichten Außenbogen unter dem Platz hindurch in Ost-West-Richtung zur gegenüberliegenden Seite und fädelt sich hinter dem Platz oberirdisch wieder in die Avenue de la Grande Armée ein. Aber das nur am Rande.
Warum gibt es in Paris eigentlich keine Leipziger Straße?
Wenn man sich die ganzen Straßennamen so anschaut, dann wird einem eines schnell klar: Zwei Drittel der 12 Straßen rund um den Triumphbogen tragen Namen, die irgendwas mit Krieg zu tun haben: Schlachtenorte, Marschalle, Generäle, … Und dann bleiben nur noch zwei für die Champs-Elysées und einen ganz frühen Präsidenten übrig.
Ich bin mir sicher, dass auch die Avenue Carnot (das ist der ganz frühe Präsident) heute einen Namen von Schlachten oder Feldherren tragen würde, wenn Napoleon seine kriegerischen Pläne in Europa hätte weiter fortführen können. Dann hätte man doch für einen Sieg noch eine neue Straße gebraucht. Stellen Sie sich vor, er hätte bei Leipzig gesiegt, dann würde es in Paris am Arc de Triomphe heute vielleicht eine Leipziger Straße geben.
Was mich aber auf eine Idee bringt. Gibt es in Paris eigentlich überhaupt irgendwelche Dinge, die mit Leipzig zu tun haben? Eine spannende Frage. Mal schauen, ob ich was rausfinden kann. Eine Straße oder einen Platz, welche an unser schönes sächsisches Metropölchen erinnern, gibt es schon mal ganz sicher nicht.
So, damit sind wir am Ende des Tagebucheintrags. Wir haben den Stern von Paris, den „Etoile“, besucht. Aber warum soviel Geschichte? Warum die vielen Namen der Feldherren, warum die Orte der Schlachten? Sie werden viele der Namen wiedererkennen, wenn wir im nächsten Tagebucheintrag zum Arc de Triomphe weitergehen. Das ist allerdings gar nicht so einfach, wenn man den direkten Weg nehmen will. Ach, was sage ich? Das ist lebensmüde !!! Na wir werden sehen …
Bis dahin, au revoir!
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