Vor Wagners Villa โWahnfriedโ sieht es aus, als wรคre nichts geschehen. Kaffeetassen und Kuchengabeln klappern vor dem Gรคrtnerhaus. Es ist alles wieder in Ordnung. Sommer 2014 war der Garten noch als Baustelle verwรผstet, Bauleute parkten ihre PKWs neben der Wagner-Gruft. Vor zwei Jahren rollten noch Bulldozer zwischen Grรคbern und Terrasse entlang. An der Eingangstรผr klaffte eine Grube, so tief, wie das Haus hoch war.
Vorbei, zum Glรผck. Im Garten sprudelt der Brunnen, als sei nichts gewesen. Und spiegelt sich in den dunkel getรถnten Glasscheiben des Museums-Anbaus.
Da drin ganz hinten steht das Klavier. In der Abteilung รผber die Musikinstrumente in Wagners Familien-Residenz, dieses Kapitel kommt in der Ausstellung noch nach dem Thema โHundeโ.
War da was? Leipzig und Bayreuth und das Wagner-Klavier? Mit Gericht, Verhandlungen, Hin und Her? Bis das Instrument endlich wieder in Leipzig ankam und in der Ausstellung โWagnerlust & Wagnerlastโ zu sehen war?!
Nachdem man sich รผber mehrere Instanzen geeinigt hatte?! โ Nein, es war kein Vergleich. Kerstin Sieblist, Musik- und Theatersammlungs-Kustodin des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig, teilte uns auf Anfrage mit: โDieser Vergleich wurde durch einen Einspruch von Frau Iris Wagner hinfรคllig โ womit sie sich einen Bรคren- und der Stadt Leipzig einen groรen Dienst erwiesen hat. Denn dadurch kam es zu einem ganz normalen Urteil, ohne Wenn und Aber oder sonstige Einschrรคnkungen. Das Urteil des Oberlandesgerichtes Dresden bestรคtigt das Eigentum der Stadt Leipzig an dem Klavier.โ
Wie das von Kรถnig Ludwig II. Richard Wagner geschenkte Musikinstrument, in Sonderanfertigung der Marke Bechstein hergestellt, mit Schreibtischoberflรคche nach Leipzig kam, wann es seinen Unterbau mit Schrank und Fรคchern verlor, wรคre ein Forschungsthema fรผr sich. Fakt ist, dass die Leipziger Museumsmitarbeiter und Musikfreunde 1998 das Tafelklavier gern mal den Bayreuthern auf deren Wunsch hin ausliehen, weil die Villa Wahnfried รผber wenig originale Exponate verfรผgte. Was da alles zu sehen war, hatte man sinn- und zeitgemรคร arrangiert und mit Dokumentationen aufgefรผllt.
Nach Ablauf der vereinbarten zehn Jahre bezogen sich die Bayreuther auf den Besitz der Wagner-Familie und verweigerten die Rรผckgabe. Doch die Wagner-Familie ist ein weites Feld mit vielen Erben, mehreren Generationen, und unterschiedlichen Sympathien. Und auch plรถtzlicher Vertrรคglichkeiten. Musik vermittelt eben manchmal auch.
โDas Klavier kommt im Januar 2016 zurรผckโ, ist sich Kerstin Sieblist erst einmal sicher, โwir haben das Wort der Bayreuther Oberbรผrgermeisterin. Es ist auf Wunsch unseres OBM nach Bayreuth ausgeliehen worden.โ
Und so reiste denn Burkhard Jung am 25. Juli nach Franken und erรถffnete zusammen mit der Bayreuther Amtskollegin die Ausstellung.
Mal sehen, wo wir das gute Stรผck dann nรคchstes Jahr in Leipzig wiederfinden. Von einem Richard-Wagner-Museum im Haus Zum Groรen Blumenberg war ja mal die Rede. Doch hat man davon nach dem Wagner-Jahr 2013 noch etwas gehรถrt? Zwischen den Displays, Monitoren und Lichtkรคsten der Ausstellung im Keller der Alten Nikolaischule will man sich das Klavier nicht vorstellen mรผssen. Und die Wagner-Nietzsche-Villa in der Karl-Heine-Straรe? Nach kurzzeitigem Aufsehen und Publikationen war die erneute jahrelange Ruhe des Verfalls vor ein paar Wochen durch eine Bauzaunbespannung, Gerรผst und Bauarbeitertรคtigkeit beendet wordenโฆ Mal sehen, was passiert. Zurรผck nach Bayreuth. Mal gucken, wie man heute ein Richard-Wagner-Museum macht.
โWahnfried und รrgersheimโ, jeder findet seinen Wegโฆ
Wo ist der Eingang? An der Tรผr zur Villa Wahnfried steht ein Wachmann. Im Neubau ist die Kasse. Neben der langen Fensterfront รถffnet man eine groรe, schwere Tรผr. Einen offiziellen Rundgang gibt es nicht, jeder finde seinen Weg. Wer will, kriegt den Erklรคrer ins Ohr.
โWahnfried oder รrgersheimโ heiรt die derzeitige Sonderausstellung, Richard selbst soll das gesagt haben, als er ob der Bauprobleme ungeduldig geworden war. Was hรคtte er in seinem Geburtstagsjubeljahr 2013 gesagt, wenn er gesehen hรคtte, was es da zu sehen gabโฆ
1874 waren die Wagners eingezogen in ihre โVilla Wahnfriedโ. Dann war es soweit, und mit dem Einzug war auch schon klar, wo einmal die Familiengruft sein wรผrde, umgeben von Hundegrรคbern.
Dort kann man heute Richard Wagner persรถnlich treffen, wenn gerade der Living-History-Darsteller der Bayreuther Touristikvermarktung mit deutlichem Dresdner-Sรคchsisch-Akzent erzรคhlt: โKein Grabstein, keine Inschrift! Das wollte ich nicht. Nur eine Platte. Etwas schrรคg โ genau so wie die Bรผhne im Festspielhaus.โ Dann steigt der neue Richard Wagner mit seinen Gรคsten wieder auf die Pferdekutsche und reist durch Bayreuths Zeitenโฆ Seine Gรคste schmunzeln, hier ging es scheinbar gerade nicht um Wagner-Lexika, Deutungshoheiten oder Regiekonzepte.
Wagners Anwesen hat sich nach seinem Ableben verรคndert. Wo sich heute der neue Flachbau Richtung Hofgarten erstreckt, war frรผher Nachbars Garten. Bomben des Zweiten Weltkrieges rissen das Haus kaputt, Jahrzehnte spรคter wurde der zerstรถrte Teil wieder aufgebaut. Hier gingen immer noch nur die Wagners ein und aus.
Erst seit 1976 war die โVilla Wahnfriedโ ein Museum. 2010 wurde es geschlossen. Eine der letzten Veranstaltungen in Wagners Musikzimmer, man hielt es fรผr ein Original, dem Saal, bestritt die โLeipziger Kammeroperโ mit drei jungen Sรคngerinnen als drei Diven in einer kรถstlichen Wagner-Parodie. (L-IZ.de war dabei und berichtete, spรคter gastierte โSee you at Walhallaโ auch in Leipzig. Dann wurde es still um dieses Projekt namens Kammeroper Leipzig.)
Bayreuth, so weit weg wie der Mondโฆ
Was im Hause original war, was eingebaut oder dazu gestellt worden war, interessierte zum Beispiel jemanden nicht, der im Spรคtherbst 1989 von Leipzig aus nach Bayreuth kam. Bis dahin war das doch so weit weg wie der Mond! Man fuhr zum Beispiel mit Nachbarsleuten und ihrem Trabant nach Franken. Der erste Weg fรผhrte vom Parkplatz auf einer Wiese natรผrlich zur Villa Wahnfried. Was wussten DDR-Theaterfreunde denn sonst รผber Bayreuth, insbesondere wenn man gerade mal Martin Gregor-Dellins Wรคlzer โWagner. Sein Leben. Sein Werk. Sein Jahrhundertโ gelesen hatte und zunรคchst vom Lebenskrimi Richards beeindruckt war. Nun gut, โTristan und Isoldeโ in Leipzigs Opernhaus hatte man mit 15 Jahren kennen gelernt, zum โHollรคnderโ reiste man in die Dresdner Semperoper, wenn man mit der datumslosen Kartenbestellung an der Reihe war.
So nahm man eben den Saal mit Bรผcherschrรคnken, Flรผgel, groรen Fenstern zum Garten als Wagners Arbeitszimmer an. Absolvierte die vielen Treppen hinauf und wieder hinunter entlang an Wรคnden voller Bilder und Texte. Im Keller schaute man in die Guckkรคsten der Bรผhnenbildmodelle. Das Siegfried-Wagner-Haus wurde Jahre spรคter mal besichtigt und irgendwann gab es auch eine kleine, feine Sonderschau mit all den zum Beispiel als Kaffeetassen nรผtzlichen oder vรถllig unbrauchbaren Souvenirartikeln zu Richards Leben und Werk, mit Schwรคnen, Schwanenrittern, Bayreuther Fassaden und grafischen Kuriositรคten. Wo um schรถne Erinnerungen gebuhlt wird, kommen einem manchmal die Trรคnen. Karikaturen wรคren ein ganz anderes Thema gewesen.
Von der Richard-Wagner-Straรe, wo es an der Bushaltestelle mal eine Art โImbiss-Budeโ gab, die zur Umbauzeit als Info-Box diente, ging man spรคter immer mal wieder durch Wagners Garten, zuweilen auch zur anderen Seite hinaus in den Park. Da steht heute ein Schild โPark fรผr Radfahrer verboten.โ Weder Festspielhaus noch Wahnfried-Villa empfand man als Heiligtum, es waren Stationen an Wagners Lebensweg. Dazu wรผrde auch ein nach altem Bild wieder errichtetes Richard-Wagner-Geburtshaus am Leipziger Brรผhl zรคhlen kรถnnen. Doch dazu kam es ja noch nicht.
Lager fรผr Kostรผme und Sรคnger
Im Museums-Neubau gelangt man, vorbei an โรrgersheimโ, โHundelebenโ und โWagner-Klavierโ in den Keller. Mausoleumsartig-dunkel gehaltene Rรคume, Riesenvitrinen zeigen, spรคrlich beleuchtet, ganz alte und weniger alte Kostรผme aus Bayreuther Auffรผhrungen, Bรผhnenbildmodelle und eine Sรคnger-Portrรคt-Foto-Galerie. Wer will, kann unter Kopfhรถrern Wagner-Klรคngen lauschen.
Wundersame Partitur verrรคt Richards Tricks
Aha, eine Tรผr fรผhrt zum Kinosaal. Verschlossen. Es gibt Wegweiser zur โSchatzkammerโ. Die gibt es auch von der โVilla-Wahnfriedโ-Seite aus. Welches aber ist die Schatzkammer? Jener Raum, in dem die โTristan und Isoldeโ-Partitur aufgeschlagen in einer Vitrine prangt, vor Richards Skulptur und goldschimmerndem Rรผckprospekt? Oder ist es die begehbare Musik-Lautsprecher-Box, in der man, umgeben von Schallschluck-Wandelementen, eine groรe Partitur aufschlagen kann? Nach jedem Wenden beleben sich die weiรen Seiten durch Licht und Film. Was man sieht, bekommt man im Orchestersound aus den Boxen zu hรถren. Ein scheinbarer Licht-Augenblick liest mit und dazu wird erklรคrt.
Musikalische Begriffe sind so exakt gehalten wie nรถtig, aber auch so verstรคndlich wie mรถglich. In diesem Moment begreift jeder den โTristan-Akkordโ. In dieser Wunderkammer bekommt man Beispiele, wie das offene Rรคtsel hรคtte musikalisch aufgelรถst werden kรถnnen.
Blรคttern wir weiter: Man sieht und hรถrt hier die Wellen der Musik des Rheins, wie sie durch die Orchesterstimmen hindurchstrรถmen, bevor der Begriff โLeitmotivโ fรคllt und von Richards โGefรผhlswegweisernโ die Rede ist.
Auch die โVilla Wahnfriedโ haben Regisseure und Bรผhnenbildner schon auf der Bรผhne nachgebildet, in Stefan Herheims Bayreuther โParsifalโ und in der Chemnitzer Inszenierung von โTristan und Isoldeโ. Karg ist die Mรถblierung jetzt im Original. Nur wenige Stรผcke zeigen sich unverhรผllt, die anderen tragen Stoffbezรผge und dรผrfen benutzt werden. Originale Pretiosen liegen unter Glasglocken, das Taschentuch Kรถnig Ludwigs II. samt Pappschachtel etwa. Wie ein begehbarer Schrank erscheint Richards Kleiderkammer, nur eine Glasscheibe hindert am Anprobieren von Jacke oder Barett.
Im Siegfried-Wagner-Haus hรคlt man sich mit Wagner-Exponaten und erklรคrenden Tafeln zurรผck. Groรe Monitore auf dem Fuรboden zeigen die Geschichte der Wagners nach Richards Tod, als Winifred auch Adolf Hitler in diesen Rรคumen empfing.
Stoff fรผr Wechsel- und Sonderausstellungen bieten die Zeiten seit Richard Wagners Geburt 1913 noch genug. Jetzt kann man den Bayreuther Kuratoren und Designern keine Vorwรผrfe machen. Bayreuther Journalisten zufolge gab es ein paar Wochen vor Beginn der 2015-er Festspiele und der geplanten Museumserรถffnung noch jede Menge zu tunโฆ
Und nun wรคchst schon der Rasen in Wagners Garten.
Nein, eine Sammlung und Dokumentation mit Zeugnissen von Neudeutungen, Adaptionen, Arrangements, Inszenierungen, Verfilmungen ist nicht entstanden. Oder gar Videos, Szenenfotos, Programmheften etc. aus aller Welt von heute und bis hin zu Parodien und Karikaturen. Kann ja sein, dass das in der kรผnftigen Arbeit und bei einer Sonderausstellung noch kommt. Oder dass es ein Projekt mit der www.Richard-Wagner-Werkstatt.com wird.
Jede Zeit (er-)findet ihren Wagner
Leipzigs schon verjรคhrtes, groรspurig angelegtes MDR-Musiksommer-Erรถffnungs-Event โWagner reloadedโ โ ach ja, das war doch das Ding in der Arena! โ wird seine Nachahmer und Nachfolger haben, wie Regisseure aller Medien zu immer neu geglaubten Erfindungen gelangen werden.
Wo soll es aber sonst ein Sortiment von Erinnerungsstรผcken zu sehen geben, wenn nicht im Museum? Doch dazu sind die Rรคume in und um die Bayreuther โVilla Wahnfriedโ nicht ausreichend. Auch die Rattenkostรผme der โLohengrinโ-Inszenierung von Hans Neuenfels und der Ausstattung Reinhard von der Thannens werden ja mit dem Ende dieser Bayreuther Festspiele ein Fall fรผrs Museum. Inklusive den T-Shirts der Chor-Sรคnger mit der Arbeitsschutz-Rรผcken-Aufschrift: โMit den Rattenfรผรen immer auf dem Teppich bleiben.โ Dafรผr sollte man die Vitrinen noch mal รถffnen.
โKinder, schafft Neuesโ, forderte einst Wagner โ wie mag das in Richards Sรคchsisch geklungen haben? Im Geschichts-Fernsehen wird aber unentwegt hingebungsvoll, teils szenisch handelnd und sprechend, teils als Stummfilm mit Erklรคrer, Living-History gelebt und gelitten. Wรคhrend im Theater die Regisseure heutige Leute an heutigen Problemen scheitern sehen wollen, alte Stoffe werden โรผberschriebenโ und Stรผcke bekommen eine โNeuschreibungโ. Aber zu allem Glรผck wรคchst ja das Publikum immer nach.
Beispiel โFacebook-Theatreโ
So schnell die Zeit eilt, so holen sich die Ereignisse nach Jahren รคhnlich wieder ein: โtanznetz.deโ berichtete gerade vom Facebook Theatre von Ivo Dimchef, der Anweisungen aus dem Publikum via Facebook ins Ohr geflรผstert bekommt. Ein Resรผmee war: โGefรคhrlich, weil der Spaร, bei dem Trรคnen gelacht wurden, ganz unendlich hohl ist.โ Nicht viel anders hatte es Jo Fabian vor etlichen Jahren. Zu erleben war das bei der euro-scene Leipzigs Peterskirche, mit Tristan und Isolde in einer groรen Glasbox gemacht, da musste das Publikum noch auf einer normalen Tastatur tippen und es war kein Handy-Netz erforderlich โฆ Mรถgen der Wagner-werktรคtige singende Darsteller und die partitursicheren Musiker da nicht auf der Strecke bleiben. Und ZuschauerInnen immer neugierig sein.
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