Not macht bekanntlich erfinderisch. Das wissen eingefleischte Ossis noch zu gut und erwiesen sich als Meister der Improvisation. Doch gegen die Schrauber der karibischen Perle Kuba würden selbst gewiefte ostdeutsche Mechaniker aussehen, als könnten sie eine Kreuz- von einer Schlitzschraube nicht unterscheiden.
Nicht zuletzt deshalb sind auf Kuba auch die ältesten und schönsten Harley-Davidson-Kuriositäten zu bewundern. Harlistas nennen sie sich. Und einer dieser Harlistas ist der Sohn des legendären “Che” Guevara. In seinem Buch “Harlistas in der Karibik” schildert Autor Jens Fuge kuriose bis rührende Begegnungen mit den Anhängern der kultigen Motorräder, die auf der Insel eine Hinterlassenschaft des alten Klassenfeindes darstellten.
Wer schon einmal das Glück hatte, der Insel der Gegensätze einen Besuch abzustatten, wird sich ihrer Faszination kaum entziehen können. Wenn einen schon die amerikanischen Oldtimer faszinieren, deren tonnenschwere Karossen sich schaukelnd durch Havanna quälen und dabei den rußenden Qualm uralter – längst nicht mehr originaler – Dieselmotoren von sich geben, die Kubas findige Tüftler in die Riesenkarossen eingepasst haben, der wird sich erst recht für die liebevoll restaurierten Uralt-Harleys begeistern, die sich inzwischen zum Kultobjekt auf der Insel gemausert haben.
Gonzo-Journalist Jens Fuge hat sich mit verständlicher Begeisterung in diese auf der Welt einzigartige Szene gestürzt und ebenso einzigartige Biografien wie Geschichten rund um die Harlistas und ihre Leidenschaft für die historischen Zweizylinder ausgegraben. Es würde jeden Schrauber hier sprachlos machen, aus was die Mechaniker von der Insel alles Ersatzteile zaubern.
Und was es nicht gibt, wird eben gemacht: “Seit der Revolution vor über 55 Jahren, als die Amis, aber nicht ihre fahrbaren Hinterlassenschaften das Land verließen, hegen und pflegen die ‘Cuban Harlistas’ diese Schätze der Motorradgeschichte. Ob es nun eine vergammelte Maschine war, oder lediglich ein paar Kisten mit Teilen einer Harley, man kann sicher sein, dass die Maschinen heute auf dem heißen Asphalt der Insel rollen.”
In Zeiten, in denen man sich heute alle zwei oder drei Jahre einen neuen fahrbaren Untersatz besorgt, mögen solche Geschichten unwirklich anmuten. Fuge: “Die Karren werden immer wieder instand gesetzt, repariert oder von Grund auf zusammengebaut. Und trotz allergrößter Probleme bei der Ersatzteilbeschaffung laufen die robusten Kräder seit 60 oder 70 Jahren einwandfrei. Nun ja, von einigen Pannen abgesehen, aber dafür gibt es eben die genialen kubanischen Schrauber, die sich nicht eher zufrieden geben, bis die Böcke wieder rollen.”
Im Laufe der Jahre sind die Maschinen so etwas wie Familienmitglieder geworden: “In manchen Familien gehören sie dazu, seit der Großvater sie angeschafft hat. Die Enkel fahren nun die Maschinen ihrer Opas,” so Fuge. 12 Porträts kubanischer Harley-Fanatiker wurden so zusammengetragen. Jeder der interviewten Harlistas hat eine ganz eigene Geschichte zu erzählen. Ob der Sohn der Revolutions-Ikone “Che” Guevara oder der berühmteste Rockstar der Insel, David Blanco, ob der 90-jährige Miniet, der als Mitglied der Akrobatikstaffel der kubanischen Polizei einst direkt vor Fidel Castro aus fünf Metern Höhe von einer Motorrad-Pyramide stürzte.
Oder Luis, ein leidenschaftlicher Harley-Sammler und stolzer Besitzer von acht Bikes, sie alle vereint eines: Die Faszination, die von diesen alten Maschinen ausgeht. Der Sound, das Gefühl der Freiheit beim Ritt über die kubanischen Straßen entlang der wunderbaren Küstenstraßen oder durch Täler wie Pinar del Rio. Ein Gefühl der Freiheit mitten im immer noch irgendwie real existierenden Sozialismus. Mit dem Sohn des legendären “Che” feierte Fuge nicht nur bei der einzigen Harleyparty Kubas in varadero, sondern er schraubte auch mit ihm an dessen 1949 Harley Panhead und diskutierte stundenlang über die alten Motorräder und ihre Geschichte.
Dem hat Autor Jens Fuge noch etwas hinzuzufügen, sprachen wir bisher doch von Harlistas Cubanos und nicht Cubanas… Hat einen Grund mit der weiblichen Endung: “Was die Frauenquote betrifft, kann man in Deutschland immer noch eigentlich ganz beruhigt sein. Denn Adriana ist tatsächlich die einzige Frau auf Kuba, die eine Harley fährt”. Für den gelebten Machismo der Insel ist das immerhin noch eine einzigartige Quote. Nun ja, Gleichberechtigung ist eben relativ.
Höhepunkt des Buches aber ist die packende Schilderung eines 300-Kilometer-Trips über die gesamte Insel. Ein paar Freunde aus Dresden, Leipzig, Berlin und Havanna begeben sich auf Tour und erleben alles, was die sozialistische Insel an Exotik und Spannung zu bieten hat. Eine der schönsten, aber auch schlechtesten Straßen der Welt wird zur Geduldsprobe: weggespülte Straßen und verschüttete Tunnel weisen auf die tobenden Wirbelstürme hin, die fast jedes Jahr riesigen Schaden auf der Insel anrichten.
Willige Schönheiten mit ihrem berühmten Temperament stellen die Biker vor manche Entscheidung, der real existierende Sozialismus sorgt für manche Probe von Geduld und Verständnis. Vor allem aber erwartet den Leser eine spannende Schilderung der momentanen Lage vor Ort, denn in Kuba verändert sich derzeit Vieles. Eines aber bleibt mit Sicherheit: Die Faszination für die schönen alten Motorräder aus den USA. Wie sagte es doch so poetisch einer der Harlistas? “Die Maschinen mögen aus den Vereinigten Staaten stammen, doch ihre Seele ist längst kubanisch.”
Keine Kommentare bisher