Autoren haben meist eine Sorge gemeinsam: einen Verlag zu finden, dazu einen vernünftigen, der einem nicht vorschreibt, wie der Titel des Buches am verkaufsträchtigsten zu lauten hat, der nicht im Inhalt rumfummelt, wenn es mal heikel wird oder den Umschlag nach eigenem Gutdünken ändert. Aber mal ehrlich: 99 Prozent aller Autoren wären froh, überhaupt einen Verlag zu haben. Dieses Dilemma brachte das Leipziger Original Jens Fuge dazu, Verleger und Buchautor in Personalunion zu sein.
Er gründete seinen eigenen Verlag “Backroad Diaries” und ist seit ein paar Jahren als Aussteiger und Gonzo-Journalist auf seiner Harley rund um den Globus unterwegs, um vor Ort in der Motorradszene zu recherchieren. Dabei entstanden faszinierende und bisher einmalige Einblicke und Porträts. So interviewte er in Arizona die Gründer der Hells Angels, fuhr gemeinsam mit dem Sohn Che Guevaras auf einer Harley quer durch Kuba oder maß das Harley-Fieber am Polarkreis. Dazu erlebte er unzählige Abenteuer, kuriose bis gefährliche Augenblicke und traf viele interessante Menschen.
Er traf in Jordanien den Cosuin des Königs, interviewte in Kiew Bandidos und Hells Angels, absolvierte die 24-Stunden-Rallye in der Schweiz oder war das einzige “Weißbrot” unter 10.000 schwarzen Bikern unter der Sonne Kaliforniens. Die L-IZ stellt den Autor, seine Reisen und Buchprojekte vor. In einem Vorab-Interview erklärt Jens Fuge, was ihn zum Ausstieg bewegte.
Die Liste der bisherigen Abenteuer, die du auf der Harley erlebt hast, ist lang. Was war die bisher aufregendste Situation?
Das ist schwer zu sagen. Die Herde Bisons, in die ich auf einer Brücke im Yellowstone Nationalpark geriet und die fünf Minuten lang um mich herum stand, ehe sie weiterzog? Oder die Leibwächter von Baschir Assad, die uns nachts in Damaskus auf einer Straße mit gezogenen Pistolen zur Umkehr zwangen, weil wir dem Präsidentenpalast unerlaubterweise zu nahe gekommen waren?
Nein, ich weiß: Als ich 2008 mit meiner Ultra Electra Glide die Rennrunde auf der Isle of Man dreimal hintereinander gefahren bin und dabei einen neuen Rekord aufgestellt habe.
So? Wer führt denn Buch über Rekorde mit einem Harley-Dickschiff?
Der einheimische Harley-Club Moddey Dhoo MCC, das heißt auf gaelisch Schwarzer Hund, hat mir eine Zeit genannt. Und die habe ich im dritten Anlauf unterboten.
Und, wie schnell war’s denn?
Also, zum gültigen Rundenrekord von 17:11 min von McGuiness ist noch Luft gewesen. Ich glaub, ich hab ungefähr 58 Minuten gebraucht…
Ha! Bist du unterwegs in ein Gasthaus eingekehrt?
Quatsch, aber die Ampeln waren noch an und die haben dort etliche Kreisverkehre. Aber ich war unter der Zeit, die mir die Einheimischen genannt hatten. Hat aber glaube ich selten jemand gemacht auf ‘ner Ultra. Weißt du eigentlich, wie brutal die ins Schaukeln kommt? Der Scheiß-Rahmen der Harleys von vor 2009 ist wirklich gefährlich…
Was sollen da deine Freunde aus der kubanischen Schrauberszene sagen? Die fahren allesamt Starrahmen…
Aber der ist eben starr. Nicht besonders bequem. Hab ich gemerkt, als ich mit Ernesto Guevara gefahren bin…
… dem Sohn des großen Revolutionärs.
Ja, das ist er wohl, aber er will davon nichts wissen. Ich sehe seinen Vater eher skeptisch. Aber einen Vorteil hat der Sohn: Er hält immer mal an und dann gibt’s einen Rum, so dass der Hintern nicht zu sehr schmerzen kann. Ist doch rücksichtsvoll, oder?
Zweifellos. Und was gab’s bei Sonny Barger zu trinken, dem Begründer der Hells Angels?
Moonshine, einen 80-prozentigen Likör. Sehr süß. Sehr klebrig. Und greift sofort das Gehirn an. Aber Sonny hat selbst nichts getrunken, hat das Zeug nur angepriesen.
Clever… Dafür gab es doch bestimmt Drogen und Mädels satt…
Woher hast du den Quatsch nur? Liest du zu viel Zeitung? Sonny ist ein disziplinierter smarter alter Mann, der genau weiß, woher er kommt und welchen Ruf er hat. Der gönnt sich keine Laxheiten. Morgens um fünf steht der jeden Tag auf und widmet sich seinen Pferden.
OK. Dafür hattest du wenigstens Spaß beim Fahren…
Jede Menge sogar, bei 50 Grad in Tucson oder bei minus zehn in der Sierra Nevada. Auf endlosen geraden Highways genauso wie in den Rocky Mountains, in den Wüsten ebenso wie in den dichten Wäldern Wyomings. Ich glaube, ich habe 70.000 Kilometer allein in den Staaten abgerissen.
War die Route 66 auch dabei?
Klar, einmal komplett. Aber auch das wochenlange cruisen durch die Südstaaten, die einmalige Fahrt über die Florida Keys nach Key West oder die Stadtfahrten durch Chicagos und New Yorks Hochhausschluchten waren toll. Und natürlich der endlose Highway 50, auch “the lonliest Highway of Amerika” genannt, war erlebnisreich.
Vegas, LA, Frisco sind die Klassiker im Südwesten, Arizona begeistert durch seine Vielfältigkeit. Und in Freso, Kalifornien, erlebte ich ein riesiges Motorradtreffen nur für schwarze Bikerclubs.
Klingt gut. Wann können wir all diese Erlebnisse nachlesen in deiner neuen Reihe “Backroad Diaries”?
Die Reihe ist in diesem Frühjahr an den Start gegangen. Und zwar mit “Höllenritt durch Arizona”, in dem es u.a. um die Hells Angels-Gründer Sonny Barger und Johnny Angel geht, die ich beide daheim in ihren Häusern besucht habe, mit denen ich Seite an Seite fuhr und deren Anniversary-Feier ich mit erlebte.
Stell dir vor, die sind schon 55 und 57 Jahre bei den Hells Angels! Außerdem geht es um etliche Clubs, mit denen ich abhing, rumfuhr und feierte: ALMA MC, Loners MC, Soul Brothers MC, Hells Angels MC und andere.
Ein Titel über Kuba, “Harlistas in der Karibik”, ist vor wenigen Wochen herausgekommen, schildert eine 3000-km-Reise mit den Bikes über die Insel, stellt kubanische Harlistas vor, welche die 60, 70 Jahre alten Harleys noch immer am laufen halten. Dazu eine schöne Reportage über Kubas größten Rockstar, den ich ein paar Tage lang begleitet habe.
Und wie geht’s dann weiter?
Ein Fotobuch ist in Entstehung, ebenfalls über die kubanischen Harlistas. Traumhafte Fotos des italienischen Fotografen Max Chucci, der viele Jahre in Havanna lebte, zeigen 50 Harlistas und ihre Maschinen und erzählen ihre Geschichte. Ich liebe dieses Projekt! Dann arbeite ich an zwei weiteren Fußballbüchern, obwohl ich nie mehr eines schreiben wollte, aber irgendwie ist es anders gekommen.
“Chemisches Element” sind meine Erinnerungen an 35 Jahre in Leutzsch, in denen ich so vieles erlebt habe, und das lange geplante Fanbuch zur BSG Chemie wird es nun auch endlich geben. In der Reihe “Backroad Diaries” soll es einen Titel pro Jahr geben, wenn alles passt, vielleicht auch mal zwei. Aber da darf nichts anderes dazwischen kommen.
Und nächstes Jahr kommt eine Menge dazwischen.
Klingt ja geheimnisvoll. Darf man schon wissen, was es ist?
Ein paar Freunde wollen mit dem Motorrad nach Japan, die haben locker gefragt, ob das nicht was für mich wäre. Das hat sich so ein bisschen eingenistet im Hinterkopf… Man muss ja erst was erleben, ehe man über etwas schreiben kann. Und ich gehöre nicht zu denen, die nur nach Hörensagen schreiben über Dinge, die sie selber gar nicht erlebt und kennengelernt haben.
Deshalb muss ich auch nochmal dringend nach Skandinavien, um die Nordkapp-Reise in Buchform zu bringen. Zum Jahresbeginn schließe ich erst mal die Recherchen für den Harley-Bildband in Kuba ab, da muss ich noch einige Leute ausfindig machen, um sie zu interviewen.
Wie kommst du an die vielen Kontakte zu den MCs vor Ort? Sind da nicht viele misstrauisch?
Na, es geht schon. Entweder gibt es Empfehlungen aus Deutschland, wo man mich von meiner Tätigkeit für die BikersNews ganz gut kennt, oder ich kenne andere, die wiederum jemanden kennen. Oder ich melde mich ganz klassisch an, einfach so, wie in Murmansk.
Was um Himmels willen…?
Ganz einfach: wir brauchten Schnaps. Und das, weil wir nach Old School-Art reisten: mit Zelt und Lagerfeuer. Und da braucht man ein wenig Wärmendes. Und da die Einfuhr nach Skandinavien begrenzt und unser Durst wohl etwas größer als die mitgeführten Vorräte war, mussten wir kurzerhand nach Murmansk, um dort neue Vorräte einzukaufen. Sind nur 700 Kilometer Umweg. Lohnt sich doch, oder?
Kann man nichts dagegen sagen. Was stand 2014 noch so an?
Ich bin mit den Jungs und Mädels vom Leipziger Harley Club den ganzen Sommer von Party zu Party gefahren, hatte viele Termine bei MCs (Motorradclubs, d. Red.) in Deutschland, war z. B. eine Woche beim World Run der Hells Angels in Ungarn, übrigens als einziger Journalist weltweit.
Du schreibst aber auch für andere Medien.
Ab und an schreibe ich für den Reiseteil der Süddeutschen Zeitung, aber auch für andere Blätter. Dazu habe ich noch eine kleine Firma, die als Dienstleister für Zeitungsverlage auftritt. Unsere Kinder leben verstreut von Leipzig, Karlsruhe bis nach London und Malta, das erfordert auch einige Reisetätigkeit, um sie halbwegs regelmäßig zu sehen.
Meine Mutter sehe ich regelmäßig, Freundschaften wollen gepflegt werden und meine Frau verlangt auch ihr Recht. Ein Klasse-Weib übrigens.
Du nennst Dich selber einen Gonzo-Journalisten. Erklär das mal.
Der berühmteste Gonzo-Schriftsteller war der Amerikaner Hunter S. Thompson, der ebenfalls über die Hells Angels berichtete, dafür mit ihnen ein Jahr zusammen war. Er war Sportreporter und schrieb über seine Drogenerfahrungen. Thompson verzichtete auf eine objektive Schreibweise und berichtete aus seiner eigenen, subjektiven Sicht. Er vermischte reale, autobiographische und oft auch fiktive Erlebnisse.
Bei meinen Büchern ist das auch so: ich bin Teil des Geschehens, habe alles selber erlebt. Nur halte ich mich ausschließlich an das selbst Erlebte, da ist nichts erfunden. Ich mag die gute alte Reportage, und genieße es, mittenmang zu sein und so viele authentische Leute zu treffen.
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