Was sagt mir das Abenteuer in Münchhausen-Land? Der berühmte Lügenbaron ist zwar mausetot - aber seine Nachfahren sind genauso eifrig am Tricksen und Mauscheln. Nur nennen sie es nicht Jägerlatein. Und Erklärungen gibt es auch nicht. Da wandert man dann doch lieber gleich quer über den Acker. Sofern er abgeerntet ist. Regenwolken ziehen über den Horizont. Nur einer hat natürlich alle Zeit der Welt: meinereiner. Burgen laufen nicht weg.

Aber sie haben andere Nachteile. Steile Eselsstiege rechne ich nicht dazu. Aber Öffnungszeiten. Wer will schon vorm verriegelten Burgtor stehen? – Also spurte ich beizeiten – die Landstraße raus aus dem Dorf, dann rauf auf den Acker. Oder besser: den Ackerweg. Der ganz anders ist als die Holzwege oben auf dem Berg – asphaltiert sogar, mit Ruhebänken und ordentlichen Wegweisern. Rechterhand, unterm nassen Himmel: das Forsthaus Friedrichshohenberg, seit 1655 belegt und, wie so Vieles, noch vor Kurzem vom Verfall bedroht. Gerettet von Freiwilligen. Von wem sonst?

Ein Kleinod mit Wirtschaftshof, Taubenturm und Bauerngarten. Das, was man alles so brauchte, um zu wirtschaften und ein Kloster zu versorgen. Hier kann man es sehen. Nur keine Mönche. Die sind schon lange fort.

Das Kloster ist kein Kloster mehr. Aber es sieht romantisch aus, wie’s Leo schon leuchtet mit alten Steinmauern vom Hügel herunter. Bergsporn, sagt Leos Wanderführer. Aber von Sporn ist nichts zu sehen. Und Berg kann man das hier nicht wirklich nennen, eher Hügel. Der Weg schlängelt sich geradezu gemütlich heran. Burggrund heißt die kleine Straße, an der die Häuser der alten Burghelfer stehen, die man so brauchte, egal, wo so eine Burg stand. Gesinde eben, fleißige Hände, emsiges Völkchen. Keine Burg ohne Wirtschaft – auch die Herren oben in ihren Gemäuern wollten gut essen und trinken. Zwetschgenschnaps vielleicht. Ist der Burgladen geöffnet?

Ist er nicht.

Auch wenn alle Tore sperrangelweit den wandernden Leo begrüßen. Lärmerfüllt, als wäre er hier an einem Samstag in Leipzig. Mit rostigen Rasenmähern versuchen zwei grimmige Hauswerker eine störrische Wiese zu kürzen. Obwohl vielleicht ein Ackerpflug besser gewesen wäre. Gilt für diese Wiese das große Schild: “Parkplatz für Hochzeitsgäste”? Ist heute Hochzeitstag? Darf Leo mal schnorren an üppig gedeckter Tafel?

Auch drinnen wird gelärmt, gehämmert in diesem Fall – Buden werden aufgebaut und eine große Tanzfläche wird zusammengezimmert. Wird also getanzt zur Hochzeit? Wer heiratet denn? Pfarrers Töchterlein vielleicht?Dafür ist das Burgcafé, das Galeriecafé heißt, geschlossen. Leo ist mal wieder am falschen Tag gekommen. Das Café ist ehrenamtlich und öffnet nur wochenends und feiertags, wenn Ehrenamtliche Zeit haben. Morgen also, wenn Leo schon längst wieder auf der Heimreise ist. Aus dem Abschiedskaffeepott auf der Konradsburg wird also nichts. Einen seiner Reserveäpfel kann er nun verputzen. Zu sehen gibt es trotzdem genug. Das Brunnenhaus steht offen. Etwas, was man in Leipzig ganz bestimmt nicht zu sehen bekommt, da braucht niemand einen 45 Meter tiefen Brunnen, da ist das Wasser immer schon drei Spatenstiche tief zu finden.

Hier aber musste gearbeitet werden für frisches Wasser. Richtig gearbeitet. Und man sieht es: ein gewaltiges Laufrad aus Holz. Und die beeindruckende Nachricht: Bis 1948 war hier wirklich noch ein Esel zugange, der laufen musste, damit das Wasser floss. Sage keiner was gegen Esel.

Aber Burgleute gab’s auch damals keine mehr. Denn die waren schon vor 900 Jahren ausgezogen, fast beinah jedenfalls – sie bauten sich eine neue Burg: den Falkenstein. 1120 ungefähr. Und nannten sich Falkensteiner statt Konradsburger. Die Konradsburg haben sie verschenkt – an die Benediktiner. Als Sühne, heißt es in alten Schriften, weil ein Konradsburger augenscheinlich einen Adligen aus der Nachbarschaft erschlagen hatte. Was ja vorkommen kann in einem Zeitalter, in dem jeder Raufbold mit einem Schwert herumlaufen durfte. Und wenn man unter Gleichen war, gab’s auch ein bisschen Strafe. Sofern man sich an die Regeln hielt, die ja dann ein gewisser Eike aus Reppichau alias Repgow aufschrieb. Möglicherweise auf dem Falkenstein.

Die Falkensteiner wussten also aus bester Erfahrung, warum.

Ihre Konradsburg war zum Kloster geworden. Das sieht man noch heute: Es muss ein eindrucksvolles gewesen sein, bis 1525 die Bauern kamen und das Kloster niedermachten. (Sieht man den Bauern heute gar nicht mehr an, dass sie zu so etwas fähig sind …) Von der gewaltigen Kirche steht noch ein Rest – der Chorraum, der genauso aussieht und riecht, wie man sich so eine Basilika aus romanischer (ohne “t”) Zeit vorstellt. Groß genug, um heute eine ganze Kapelle darzustellen – in der man heiraten kann. Und Platz für die Hochzeitsgäste gibt es ja genug auf der alten Burg- und Klosteranlage, wie wir sahen.Und beinah hätte Leo den zweiten Eingang übersehen. Der sieht nur wie ein simpler Kellerzugang aus, gleich rechts von der Kapellentür. Aber da steigt man in die alte Krypta hinunter, die genauso riecht und beeindruckt. Und zumindest Leos Wanderführer verrät, dass man die Ausmaße von Kirche und Kloster auch schon erkundet hat. Nur ausgegraben hat man den ganzen großen Rest nicht.

Dafür steht – rabamm – hinter der Kapelle das Häuschen für Leos Harzer Wandernadel: Nr. 201, Konradsburg. Ich würde ja was verraten, wenn ich jetzt erzähle, was passiert, wenn man das Häuschen öffnet. Deswegen lass ich es sein. Wer die Konradsburg besuchen will, soll selbst hinwandern. Am Wochenende natürlich, wenn’s auch einen Pott Kaffee gibt.

Eine Hochzeit gab’s leider auch nicht. Keine Chance, einen Blick auf eine fröhliche Braut zu werfen …

“Leo!”

Sag ich doch. Meine herzinnigste Bäckerin hab ich immer dabei. Keine Chance, dass Leo mal auf der falschen Hochzeit tanzt. Und es findet ja sowieso keine statt. – Stattdessen kommt Willi zum Westernfest auf die Burg. Auf so eine Idee muss man erst mal kommen. Die Tanzfläche ist für die Line-Dancer gedacht.

Ein mittelalterliches Chöretreffen hätt ich mir vorstellen können, aber ein Westernfest mit Willi?

Nicht mal einen Choral kann Leo anstimmen, als er aus dem Burgtor hinauswallt. Denn da fräsen noch immer die beiden verbissenen Männer den störrischen Rasen. Für die Gäste des Westernfestes. Oder ihre Pferde. Da schleicht sich Leo lieber seitwärts. Nicht ins Feld, sondern auf einen Weg, der tatsächlich existiert, wie das sein muss. Als Wanderroute für Burgenliebhaber: Konradsburg – Burg Anhalt.

Den wird er aber nur ein Stückchen abschreiten. Denn auf der Burg Anhalt war ja meinereiner schon. Ich hab ja noch ein anderes Ziel, das ich aus erzählten Gründen bisher noch nicht erreicht hab. Aber wenn sie vorne den Wanderweg wegradiert haben, muss es hintenrum noch einen geben. Und den steuert Leo jetzt an, fürbass und wieder etwas munterer, auch wenn’s keinen Kaffee gab. Aber die Burg war da, wo sie hingehörte. Da wird sich wohl auch der Rest noch finden lassen. Man muss nur draufzu marschieren. Die Nase im Wind.

Die zwölfte Karte:

“Mein geliebtes Burgfräulein,

hier hätt ich allzugernstens mit dir getanzt. Zwischen Refektorium und Brunnenhaus, Kreuzgang und Kapelle. Auch mit wunden Füßen. Ich bin da nicht so. Nur ein bisschen melancholisch. Verlassene Klöster machen mich immer so. Da möchte ich anfangen, meinen schönsten Bass zu brummen und irgendwas auf Latein. Es muss an den alten Steinen und Säulen liegen. Man fühlt sich so vergänglich dabei. So seltsam zellulär. Da möcht man den Himmel ansingen oder den Weg. Oder die nächste Mohnblume am Wegrand. Mach ich natürlich nicht. Sonst sieht’s noch einer, der mich nicht kennt. Und dann blamier ich mich, wenn ich nach Hause komm.

Warte nur balde. Dann hast du mich wieder. Dein Wandermönch, Leo”.

www.konradsburg.com

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar