Dirk Peter aus Leipzig-Connewitz ist mal so richtig aus dem Alltag ausgebrochen. Der 40-jährige Koch steht seit März in der Antarktis am Herd. Warum er lieber dort als am Connewitzer Kreuz kocht, warum -15 Grad Celsius auch warm sein können und was man im "ewigen Eis" den lieben langen Tag und schließlich 15 Monate lang treibt, erzählte er L-IZ.de.
Herr Peter, wenn jemand bis ans Ende der Welt gehen will, wäre er dann bei Ihnen richtig?
Das Ende der bewohnten Welt hat man jedenfalls schon weit hinter sich gelassen, wenn man hier ankommt. Aber niemand kommt hierher, um die Welt hinter sich zu lassen. Dieser Kontinent ist aber definitiv kein natürlicher Lebensraum für den Menschen und somit kommt das schon hin. Einfach ist es aber nicht.
Können Sie in etwa sagen, wo Sie sich befinden und wie viele Kilometer das von der Zivilisation, vom Südpol beziehungsweise von Leipzig entfernt ist?
70° 40′ S , 08° 18′ W ist unsere etwaige Position auf dem ca. 200 Meter dicken Ekström Shelfeis am Rande von Antarktika. Hier steht seit 2009 die neue deutsche Polarforschungsstation Neumayer III auf dem südlichsten Kontinent. Zum Südpol haben wir es noch 2.155 Kilometer und bis Leipzig – Connewitzer Kreuz 13.631 Kilometer.
Eine Frage, die folgerichtig ist: Was machen Sie dort und wie lange sind Sie dort?
Ich bin Mitglied der 32. Überwinterungsmannschaft hier auf Neumayer. Wir halten zu neunt für ca. 15 Monate hier die Stellung für das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), betreiben die Station und führen langjährige Messprogramme weiter. Meine Aufgabe ist die Verpflegung der Überwinterungsmannschaft während des Polarwinters und zweier Sommersaisonen mit bis zu 50 Personen an der Station. Ich bin der Koch und sorge für circa 60 Tonnen Proviant und deren Nachschub.
Wie haben Sie den Job auf der Station Neumayer III bekommen und worin besteht die Herausforderung für Sie?
Im Hinterkopf hatte ich die Antarktis schon seit der Kindheit. Aufmerksam auf die Arbeit hier bin ich durch ein Stellenangebot auf der Webseite des Alfred-Wegener-Institus in Bremerhaven geworden. Diese Möglichkeit wollte ich mir nicht entgehen lassen und hab mich beworben. Nach aufgeregtem Warten, einem langen Bewerbungsgespräch und der Zusage, als Teilnehmer der Überwinterung bestimmt worden zu sein, folgte noch ein kompletter Gesundheitscheck, um den Vertrag endlich unterzeichnen zu dürfen.
Die Herausforderung hier für mich ist, meine erlernten Fähigkeiten und meine Persönlichkeit hier in eine isoliert lebende und arbeitende Gruppe einzubringen. Im Moment ist Polarwinter und wir sind für ganze neun Monate von jeglicher Verbindung mit der Außenwelt abgeschnitten, sieht man mal von Internet und Telefon ab. Von Ende Februar bis Mitte November aber ist es niemanden möglich, an die Station zu gelangen oder sie zu verlassen. Das stellt eine ungewöhnliche physische wie psychische Belastungsprobe dar, die es als Gruppe zu meistern gilt.
Ist die Antarktis so, wie Sie sich sie in Ihrer Kindheit vorgestellt haben?
Ich hatte früher Briefkontakt zu einem Ozonforscher auf Halley, einer britischen Station auf dem Brunt-Iceshelf. Da gab es noch kein Internet und die Post kam dort nur einmal im Jahr per Schiff. Es war sehr spannend, jedes Jahr ein-, zweimal Post zu bekommen. Tja und wenn man nicht selbst hier gewesen ist, kann man sich zu Hause eigentlich kaum ein realistisches Bild machen. Auf meinem ersten Ausflug auf dem Meereis hab ich mich wie in einer Kulisse für einen Science-Fiction-Film gefühlt. Das war sehr unreal und schön.
Wie reist man von Leipzig bis zur Station Neumayer III?
Die Zeiten in denen Polarforscher ausschließlich mit dem Eisbrecher durch den Südlichen Ozean auf den Kontinent kamen sind vorbei. Wir sind bequem mit einem Linienflug nach Kapstadt gereist und von dort startet das antarktische Flugnetz DROMLAN zur russischen Station Novolazarewskaya – dem NOVO Airfield. Von Novo verteilt eine kleine Flotte polartauglicher Maschinen die Forscher, Arbeiter aber auch zunehmend Touristen weiter auf die Stationen im Dronning-Maud-Land – einem Teil der Antarktis. In unserem Fall war das eine BT-67, eine umgebaute DC3, bekannt auch als Rosinenbomber mit dem Baujahr 1943. Also ein recht bequemer Reiseweg, auch wenn die sicheren und robusten russischen Transportmaschinen ab Kapstadt eher an Truppentransporter erinnern. Auf dem Luftweg geht etwas das abenteuerliche Entdeckerelement vergangener Tage verloren, aber die meisten werden den wochenlangen Trip durch die mitunter stürmische antarktische See wohl nicht vermissen.
Das klingt nach einer langen Reise …
Das kann sehr unterschiedlich sein. Der normale Linienflug nach Kapstadt dauert 12 Stunden. Dort hat man in der Regel zwei bis drei Tage Aufenthalt bis alle Teilnehmer des Fluges in der Antarktis eingetroffen sind und alle über die Besonderheiten des Fluges gebrieft wurden. Dieser Flug kann sich aufgrund der Wetterlage im Zielgebiet verschieben. Nach circa sechs Stunden Flug zum Novo-Airfield kann sich dort das Wetterroulette zum Anschlussflug nach Neumayer weiter drehen. Dann säße man dort fest und die Weiterreise kann ebenfalls Tage dauern, in denen man auf gepacktem Seesack in einem beheizten Zelt dem Sturm abwettert. Wenn die Basler BT-67 endlich startet, ist man noch einmal vier Stunden in der Luft, so denn sich das Wetter im Landegebiet nicht verschlechtert, sonst geht es wieder zurück, auch wenn man schon über der Station kreist, da auf Sicht gelandet wird. Alles in allem kann man Glück haben und man ist sehr schnell da oder es kann auch mal zehn Tage dauern. Ich selbst bin mit zwei Tagen Verspätung hier angekommen und durfte einen Tag die Gastfreundschaft auf Novo genießen.
Wie sieht Ihr Alltag auf der Station aus?
Meinen Alltag bestimmt der Rhythmus der regelmäßigen Mahlzeiten. Somit bin ich über den ganzen Tag hauptsächlich in der Küche beschäftigt. In den neun Monaten des Winters sind wir neun Personen hier, je ein Arzt, Elektroingenieur, IT- Administrator, Meteorologe, Luftchemikerin, Stations-Ingenieur und zwei Geologen und ich als Koch.
Neben der Arbeit gibt es natürlich auch genügend Freiraum für Privates. Aufgrund der extremen Abgeschiedenheit und mangelnder Abwechslung von außen, ist die Station mit sehr vielen Möglichkeiten ausgestattet, sich den Aufenthalt abwechslungsreich gestalten zu können. Es kann Sport getrieben werden, es gibt eine umfangreiche Bibliothek, Werkstätten und ein gut funktionierendes Internet. So es das Wetter zulässt, sind Ausflüge und Außeneinsätze an den Observatorien beliebt. Aufgrund der Lage an der Atka-Bucht mit ihrer riesigen Kaiserpinguin-Kolonie und der atemberaubenden Natur mit möglichen Polarlichtern, wandernden Eisbergen und anderen extremen und wunderschönen Naturschauspielen, hat auch jeder seine Fotoausrüstung ständig in Griffbereitschaft. Langeweile kommt hier nicht auf.
Haben Sie überhaupt soviel Gepäck dabei, um sich dick genug einzupacken?
Oh ja, ein Rucksack reicht da nicht aus. Unsere komplette Polarkleidung bekommen wir vom AWI gestellt. Es ist eine große Menge nötig, um über einen so langen Zeitraum richtig ausgerüstet zu sein: spezielle Polaranzüge, Daunenwesten, viele Paar verschiedener Handschuhe, diverse Polarstiefel und vieles mehr in fünf großen Seesäcken ist alles dabei. Darüber hinaus kann jeder vor der Abreise soviel Gepäck und persönliche Sachen in großen Alu-Kisten verstauen wie er es für nötig hält. Diese wurden uns mit dem Forschungs- und Versorgungseisbrecher FS Polarstern im Dezember angeliefert.
“Dick eingepackt” trifft es übrigens nicht ganz, warm muss es sein und nur so dick, das man sicher arbeiten und agieren kann, also eher funktional. Bei Temperaturen bis -50°C ist das aber jedes Mal eine Kunst die Kleiderauswahl richtig zu treffen.
Wozu so viele unterschiedliche Handschuhe?
Für die verschiedenen Temperaturen und Verwendungszwecke. Filigrane für Außenarbeiten, robuste für schweres Heben und Verladen, oder zum Beispiel auch sehr dicke für große Kälte und Langzeitaufenthalte im Freien.
Was kocht ein Koch in der Antarktis? Kalte Platte wäre optimal, wird sicher aber irgendwann langweilig, oder?
Hmm, das liegt an den Fähigkeiten des Kochs und den Geschmäckern der Mannschaft. Ein oft gehörter Spruch in der Sommersaison von alten “Polarhasen” ist – mit dem Koch fällt oder steht die Überwinterung. Nur mit Kalter Platte hätte ich schnell Probleme. Man muss im Prinzip alles können, was die Mannschaft von zu Hause kennt und liebt. Das geht hier in der Eiswüste natürlich nicht ganz. Die Vorräte sind sehr reichhaltig aber ersetzen keinen Supermarkt vollständig den wir von der Heimat gewohnt sind. Das Bestreben ist eine gesunde, abwechslungsreiche und phantasievolle Kost anzubieten. Es gibt drei feste Essenszeiten am Tag.
Man sollte backen können, sich mit Diät und vegetarischer Küche gut auskennen und sich in vielen Küchen der Welt etwas zu Hause fühlen. So sollte keine Langeweile aufkommen. Darüber hinaus sind selbst die Kaffeepausen, wie alle gemeinsamen Mahlzeiten auch, sehr wichtige soziale Elemente im Gruppenleben hier in der Isolation. Einmal in der Woche gibt es zum Beispiel ein “Wunschessentag” an dem Lieblingsessen gekocht werden. Sonntag ist Brunch und am Abend oft ein Menü. Außerdem findet kein Feiertag, Geburtstag oder Jubiläum ohne ein Festessen statt. In einer derartig extremen Umgebung ist es sehr wichtig solche Anlässe zu gestalten, sie sind immer ein kleines Highlight im permanenten Arbeitsalltag.
Ist es für Ihre Familie möglich, Sie zu besuchen?
Schlicht, nein. Es gibt nur den Kontakt über Telefon und Internet. Es gibt auch keinen Urlaub oder frei in der Zeit hier unten, den gibt es erst im Anschluss an die 15 Monate.
Kann man in der Nähe ihrer Station von Infrastruktur reden? Sind Sie die einzigen Menschen in ihrer Region?
Ja, natürlich. Ohne eine reibungslose, gut organisierte Infrastruktur würde hier keine Forschung stattfinden können. Im Sommer gibt es das schon erwähnte DROMLAN Flugnetz. Dazu kommen Schiffsbesuche der Polarstern und der südafrikanischen SA Agulhas, die zur Versorgung der SANAE Station (eine von Südafrika betriebene Station/Anm. d. Red.) in unserer Bucht festmacht. Weiter gibt es im Sommer umfangreiche Flugaktivitäten unserer eigenen Forschungsflugzeuge Polar 5 und Polar 6 über die Landebahn an der Station. Unsere nächsten Nachbarn sind unsere südafrikanischen Kollegen auf SANAE, die Norweger auf TROLL-Station und die Briten auf Halley V. Die Entfernungen lassen aber keine gegenseitigen Besuche zu. Mit Ausnahme der Südafrikaner, die ca. 250 km entfernt leben und zur Entladung ihrer Vorräte in unsere Bucht kommen. Gastfreundschaft und gegenseitige Hilfe in allen Lagen für jeden, sind hier am Ende der Welt oberstes Prinzip.
Mit welcher Art von Wetter haben Sie es am Südpol zu tun?
Eine Frage für den Meteorologen! Der Südpol ist übrigens noch über 2000 km weit weg. Wir leben hier an der Küste und am Rand des Kontinents. Unser Wetter unterscheidet sich so noch einmal erheblich von dem am Pol. Ganz schlicht gesagt können es da schnell noch einmal -30°C kälter sein als hier. Das Klima hier wird maßgeblich durch die extreme Pollage und der zirkumpolaren Meeresströmung bestimmt. Diese schirmt grob gesagt die Antarktis mit einem Kreislauf um den Kontinent herum von wärmeren nördlichen Klimazonen ab. Manche würden behaupten, es wäre kalt. Zudem ist es sehr trocken, was man bei dem ganzen Eis nicht zuerst vermuten würde. Stürmisch ist oft keine ausreichende Beschreibung der Winde, die hier manchmal wochenlang am Gebäude rütteln. Das Klima ist ein komplett menschenfeindliches, dem mit äußerstem Respekt zu begegnen ist. So kann es in einem Moment wunderschön sein, aber innerhalb von Minuten eine tödliche Bedrohung darstellen, auf die man immer vorbereitet sein muss.
Wie ist das Wetter zurzeit?
Durch einen Sturm schwankt die Temperatur zurzeit stark. Am Freitag hatten wir noch -37°C heute ist es sehr warm mit -15°C.
Das 32. Überwinterungsteam im Netz:
www.awi.de/de/infrastruktur/stationen/neumayer_station/atkaxpress_online
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