2008 war er bereits schon einmal für sieben Monate in China, um dort traditionelles Kung-Fu zu lernen - nun will er noch einmal zurück, um später selbst Lehrer der typisch chinesischen Kampfkünste (Wushu) zu werden und seinen chinesischen Meister in Leipzig zu unterstützen. Um seine Kenntnisse zu vertiefen, reist er demnächst wieder in den Fernen Osten. Doch schon jetzt hat er viel von China zu erzählen ...
Andreas Gran ist fasziniert und er fasziniert seine Gesprächspartner. Mit Geschichten und Anekdoten über das Leben im ländlichen China, über Kampfkünste, über die Konzentration auf (den eigenen) Körper und Geist (sich selbst). Andreas, Magister in Sportwissenschaften und Pädagogik, ist zwar erst 29. Geschichten könnte er aber ausdauernd wie ein 70-Jähriger erzählen, so anders als das, was man hierzulande kennt, ist das gewesen, was er bisher erlebt hat. Über die vorangegangenen sieben Monate in Brasilien reden wir erst gar nicht.
Bereits damals, als Andreas einen brasilianischen Freund im südlichsten Bundesstaat Rio Grande do Sul besucht hat, interessierte er sich sehr für fremde Kulturen und entsprechend offen ist er dafür. Wer das nicht ist, würde nicht sieben Monate nach China gehen und in wenigen Tagen noch einmal für ein ganzes Jahr. Das ist es, was Andreas machen wird. Der Terminkalender bis zum Abflug am Donnerstag ist voll, es gibt noch einiges zu erledigen. Wenigstens die Gepäck-Liste ist schon fertig. Eine große Tasche voll mit Sportutensilien, und eine kleine für den Rest …
Denn der Sport ist es, der Andreas nach China treibt. Sport im wesentlichen Sinne ist es aber eben nicht, sagt er. Wushu ist mehr als nur Bewegung – es geht auch um Gesundheit, um innere Ruhe, Stressabbau und vieles mehr. Wushu bedeutet nicht nur Kampfsport – auch Taijiquan gehört zum traditionellen chinesischen Wushu (Kung-Fu) und selbst Qigong ist von der Praxis der chinesischen Kampfkünste nicht trennbar, wenn man sie nicht um einen wichtigen Teil beschneiden will. Das gilt besonders auch für das Taiji.
Seinen ersten Aufenthalt hatte er grundsolide vorbereitet, nämlich zuvorderst mit dem Lernen der Sprache. Etwa 6.000 Schriftzeichen sollte man beherrschen, um die normale Tageszeitung lesen zu können und im Alltag zurecht zu kommen. Hinzu kommen fünf unterschiedliche Töne, ohne die man die einzelnen Wörter (außer mittels der Schriftzeichen) wohl gar nicht auseinander halten könnte. Andreas war diesbezüglich ein guter Schüler, die sprachliche Kommunikation klappte nach einigen Anlaufschwierigkeiten ganz gut, die kulturelle musste erst eingeübt werden.
Als Andreas in dem unter eingefleischten Wushu-Fans recht bekannten Dorf in der Provinz Henan nach 2 Tagen Reise endlich ankommt, gibt es ein extra Willkommensmahl – die Chinesen sind schließlich bekannt für ihre Gastfreundschaft. Mitten auf dem Tisch steht ein großer Topf und der beste Happen ist für ihn: Aus der Mitte ragt ein Hühnerfuß und irgendwo schwamm da dann auch noch der Kopf und der ganze Rest des Hühnchens … Hühnerfüße sind in China ein Leckerbissen – und werden sogar poetisch als ‘Phönixklauen’ (fengjiao) bezeichnet.Abgesehen von gelegentlichen kulinarischen Überraschungen verläuft der Aufenthalt in dieser Schule mitten im ländlichen China traumhaft, es ist das, was sich Andreas lange Zeit gewünscht hatte. Zusammen mit acht bis zehn anderen Schülern lebte er gemeinsam mit Shifu und dessen Familie und lernt tagein, tagaus die Grob- und Feinheiten der chinesischen Kampfkunst kennen. Von morgens um 6 bis abends halb 9. Als Ausländer ist er natürlich die Attraktion im Dorf – aber daran hat er sich ja inzwischen schon gewöhnt – für das zweite Mal.
“In China sind diese Schulen sehr populär, mein jüngster Mitschüler war sieben, mein ältester 79”, erzählt er. Während es für die Jüngeren sogar kombinierte Wushu-Schulen mit normalem Schulunterricht gibt (in den Städten), beschäftigen sich die Erwachsenen oder älteren Leute, die dort hinkommen, den kompletten Tag mit dieser Kunst. Je älter man wird, desto mehr geht es um die sogenannten “inneren Kampfkünste” wie z.B. Taijiquan oder Baguazhang, um Qigong oder spezielle gesundheitsförderliche Übungen.
“Am ersten Tag hatte ich so ‘nen verdammten Ganzkörpermuskelkater – das kannste dir gar nicht vorstellen. Obwohl ich da schon gut im Training stand”, erinnert sich Andreas, der damals selbst die kleinsten Muskeln seines Körpers entdeckte, die er zuvor nur aus der Anatomie-Vorlesung kannte. Mit Kämpfen hat das in Europa unterrichtete Taijiquan mittlerweile nur noch wenig zu tun, es geht eher um die Gesundheit, Koordination, Entspannung. Doch Taijiquan ist weit mehr, sagt er: eine intelligente Kampfkunst, die Härte durch Weichheit und Stärke durch komplexe Körpermechanik besiegt.
“Strom gab’s nur ab und an mal”, meinte Andreas, der die Woche über ohne Internet und das ganze Jahre ohne Radio und Fernsehen auskam. Nur am Sonntag fuhr er in die nächste kleine Stadt, frischte den Kontakt nach Deutschland auf und schlug sich mal so richtig den Bach voll. “Ich hatte genaue Termine, wann ich mit wem aus der Familie über Skype telefonierte. Dazu bin ich mit dem Bus in die nächste größere Stadt in ein Internetcafé gefahren.” Eltern und Freundin warteten zu Hause schon sehnsüchtig auf Neuigkeiten.Montags war dann bereits wieder Routine wie immer: Wecken um halb sechs morgens, Frühsport ab um 6 und Training bis abends, nur unterbrochen von kleineren Essens- und Ruhepausen. “Jede Bewegung tausend Mal – und wenn das nicht reicht, dann eben zehntausend Mal. Bei Vollmond standen wir manchmal noch auf dem Schulhof und haben mit dem Schwert oder dem riesigen Dadao (eine Art Hellbarde) rumhantiert.”
So einfach kann man glücklich sein. Sowohl in der dortigen Schule als auch in der anderen Schule in unmittelbarer Nähe von Shaolin und einem kleinen Kloster am Berghang gab es meist das Gleiche: Maisbrei, Reissuppe, gedünstetes Gemüse – leicht, immer warm , meist fleischlos (im Kloster ja ohnehin) – aber immer lecker. “Kochen ist in China eine Kunst – genauso wie Wushu. Die Küche ist vielfältig, aber vor allem oft nicht so schwer wie die deutsche. Satt wird man trotzdem immer, sagt er. Schwarzbrot gibt es in China natürlich genauso wenig wie geschmacklich einwandfreie Schokolade. Andreas’ Urteil: “Die chinesische ist nicht wirklich genießbar.”
Nach ein paar Monaten ändert sich sein ruhiges Leben jedoch. “Mein Visum musste verlängert werden und das konnte nur von ein paar ausgewählten Schulen gemacht werden, also musste ich weiterziehen.” Sein ursprünglicher Plan war, eine Schule zu finden, die das Visum verlängert, an der er aber nicht länger bleiben musste. Er reist dafür weiter Richtung Shaolin, was nicht nur der Name eines Klosters, sondern auch einer ganzen Region ist. Eine Region, wo bei den Kampfkunstschulen der Kommerz Einzug gehalten hat.
Andreas meldet sich bei der zweitgrößten Wushu-Schule Chinas an, wo ganz verschiedene chinesische Kampfkünste unterrichtet wurden. Vorwiegend natürlich Shaolin Kung-Fu. Die Schule verlängert das Visum, aber der Deutsche muss mehrere Monate und nicht bloß ein paar Wochen bleiben. So gemütlich wie in der Provinz Henan geht es hier nicht zu. “Über 6.000 Schüler besuchten die Schule. Der Besuch einer solchen Schule mit militärischem Umgangston hat in China viel Prestige, denn hier lernt man sich unterzuordnen, die Zähne zusammen zu beißen, hart zu sich selbst zu sein – und den Mund zu halten, wenn einem etwas nicht passt – Werte, die der Partei gefallen. Außerdem steigen durch den Besuch die Chancen auf einen staatlichen Arbeitsplatz – mindestens genauso gut wie ein Studium.”Und Studienplätze sind in China, wo Kinder aus Ein-Kind-Ehen mittlerweile wieder zwei Kinder bekommen dürfen, mehr als rar. Militärdrill prägt fortan den Alltag des Vogtländers. “6 Uhr drehte uns der Sirenenalarm aus dem Bett, 6:15 Uhr in Reih’ und Glied antreten – wer zu spät kam, konnte was erleben. Ausländer machen da keine Ausnahme. Wer nicht ordentlich stramm stand oder beim Morgenlauf aus der Reihe tanzte, bekam Ärger.”
Ausländer, die von den Chinesen auch “Langnasen” – meist aber einfach ‘Laowai’ genannt werden, mussten ihre Lehrmeister nicht selten fordern, um noch etwas mehr zu lernen – wenn sie dazu noch die Kraft hatten. Bereits früh morgens hieß es für 30 bis 60 Minuten Bergauf-Sprint zum nächsten Gipfel. “Die ersten Wochen habe ich ganz schon abgekotzt, aber danach war ich fit wie ein Turnschuh”, so Andreas. Duschen gibt es nicht immer und überall, ein feuchter Lappen und ‘ne Plastikschüssel müssen da reichen. “Dafür sind wir dann am Wochenende immer in die nächste Stadt und haben uns in so ‘ner Art ‘Badehaus’ über zwei Stunden lang eingeweicht.”
Das echte Gesamtpaket der Kampfkunst bekommt Andreas Gran allerdings erst zum Abschluss seines Aufenthalts geboten. “In der Schule wurde kaum etwas über den religiösen Hintergrund der Kampfkunst Wushu vermittelt, im Kloster war das anders.” Einem schließt er sich für die letzten Wochen an. Er hat es sich vorher genau ausgeguckt. “Viele Klöster in der Nähe von Touristenzentren sind schon ganz schön überlaufen oder wurden vom Kommerz eingeholt.” In dem von ihm auserwählten sind Kampfkunst und ihr kultureller Hintergrund noch eins.
Schon während seiner Zeit in China, die mittlerweile fast drei Jahre zurückliegt, wurde dem damaligen Studenten klar, dass er unbedingt noch einmal zurückkehren wollte. Nun, nach Ende des Studiums, ist die Zeit reif. Das Geld kommt von den Ersparnissen, den Eltern und einem zusätzlichen Stipendium – die Abschlussnoten haben wohl überzeugt. Andreas erhofft sich von seinem einjährigen Aufenthalt neue Erfahrungen, aus denen er in Zukunft schöpfen kann. In Leipzig will er nach der Rückkehr sein Wissen weitergeben.
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“Auch wenn es anfangs wie ein Widerspruch klingt, das Ausüben von Kampfkunst – nicht Kampfsport – kann ziemlich gut im Bereich der Gewaltprävention bzw. bei delinquenten Jugendlichen eingesetzt werden, den Erwachsenen hilft es dabei, fit und gesund zu bleiben oder je nach Schwerpunkt das Selbstbewusstsein zu verbessern, oder den Alltagsstress einfach mal zu vergessen. Für die älteren Leute gibt’s dann ja auch noch das Taiji oder Qigong – da ist für jeden was dabei – egal wie alt die Leute sind.
Diese verschiedenen Aspekte werden hierzulande noch viel zu wenig bedacht. In diesem Bereich zu arbeiten wäre schon ein großer Traum”, so der 29-Jährige. “Das zu machen, was einem am meisten Freude bereitet, und auch noch seinen Lebensunterhalt damit zu bestreiten – was besseres kann ich mir kaum vorstellen.
Etwa 19 Stunden beträgt die reine Reisezeit für Andreas. Nach einigen Monaten in seiner alten Schule auf dem Lande geht es weiter in die Heimat seines chinesischen Meisters, der seit einigen Jahren in Leipzig lebt und hier unterrichtet. Wudang. Hier ist auch die Heimat der bereits angesprochenen ‘inneren’ Kampfkünste. Für L-IZ.de wird er hin und wieder berichten.
Mehr im Internet: www.wujian-leipzig.de
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