Neurochirurg/-innen des Universitätsklinikums Leipzig (UKL) entwickeln schon seit einigen Jahren eine chirurgische Navigationssoftware mittels Mixed Reality (MR) als Unterstützung für schwierige operative Eingriffe am menschlichen Hirn. Ein Prototyp ist bereits verfügbar, der mit allen derzeit verfügbaren 3D-Datenbrillen interagieren kann. Im Mai war es nun einer Entwicklergruppe gelungen, ihr Projekt in der Firmenzentrale des US-amerikanischen Technologieunternehmens „Apple“ im kalifornischen Cupertino vorzustellen.

Sie konnten die Software in die noch nicht einmal in Deutschland verfügbare Datenbrille „Apple Vision Pro“ einbauen und ein Exemplar für die weitere Entwicklungsarbeit mit nach Leipzig bringen. Geholfen hat dabei eine E-Mail an Apple-Chef Tim Cook höchst selbst.

Wie vermittelt man einem weltweit bekannten und global agierenden Unternehmen, dass man an etwas Interessantem arbeitet, für das sich die nach Marktkapitalisierung größte börsennotierte Firma der Welt interessieren könnte?

Einladung nach Cupertino

„Ich habe Tim Cook, dem CEO von ‚Apple‘ eine Mail geschrieben“, sagt Privatdozent Dr. Ronny Grunert. Er arbeitet als Ingenieur gemeinsam mit seinem medizinischen Entwicklungspartner Prof. Dirk Winkler, stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie, seit etwa vier Jahren an der Software. Die E-Mail schrieb Grunert im Oktober 2023. 14 Tage später hatte er eine Antwort.

„Ich war selbst überrascht, dass dies so funktioniert hatte und wir eine Rückmeldung erhielten“, berichtet Grunert. Die Antwort enthielt auch eine Einladung ins „Apple“-Hauptquartier.

Anfang Mai war es nun so weit gewesen. PD Dr. Grunert und Prof. Winkler reisten mit weiteren Mitgliedern der Entwicklergruppe nach Kalifornien, stellten die Software vor, nahmen an einem Workshop mit Informatikern des Unternehmens teil und erhielten eine Führung über das Firmengelände.

„Diese Einladung betrachten wir als ein großes Zeichen an Wertschätzung, denn wir wissen so, unsere Arbeit wird gesehen“, bekräftigt Klinikdirektor Prof. Erdem Güresir. Der Kontakt nach Cupertino ist jetzt geknüpft, die Leipziger Software in eine „Vision Pro“ integriert, und im Juni steht ein weiteres (Online-)Treffen mit den Informatikern des US-amerikanischen Tech-Unternehmens auf Arbeitsebene an.

Nach einer E-Mail aus Leipzig und ihrer positiven Antwort: Die Entwickler:innengruppe um Prof. Dirk Winkler (4.v.r.) und Privatdozent Dr. Ronny Grunert (3.v.r.) vor der Firmenzentrale des Technologiekonzerns in Kalifornien, nachdem sie zu einer Vorführung ihrer Software eingeladen worden waren. Foto: UKL
Nach einer E-Mail aus Leipzig und ihrer positiven Antwort: Die Entwickler/-innengruppe um Prof. Dirk Winkler (4.v.r.) und Privatdozent Dr. Ronny Grunert (3.v.r.) vor der Firmenzentrale des Technologiekonzerns in Kalifornien, nachdem sie zu einer Vorführung ihrer Software eingeladen worden waren. Foto: UKL

Wann die Brille auf den Markt kommt, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht einmal bekannt. Doch, wenn es dann so weit ist, sehen sich die Leipziger Neurochirurg/-innen in einer vorteilhaften Ausgangsposition.

„Landkarte“ des Gehirns direkt vor den Augen

Dass der Besuch in der Firmenzentrale des Unternehmens mit dem Apfel-Logo kein Selbstzweck oder Marketing-Aktion gewesen sei, bekräftigt Klinikdirektor Prof. Güresir: „Unser Hauptziel ist, unsere bereits entwickelte Software in verschiedene Hardware integrieren zu können.“

Sein Fachbereich, die Neurochirurgie, sei im Übrigen prädestiniert, solche Technologie zu nutzen.
„Der Schädel ist ein unbewegliches Organ mit fester Hülle und sehr vielen Funktionen“, sagt Prof. Erdem Güresir.

„Mit einer solchen Brille können wir Daten, aber auch Funktionen des Hirns einspielen, wir können live unsere Operationsstrategie anpassen und haben sozusagen unsere ‚Landkarte‘ des Hirns direkt vor Augen“, so der Klinikdirektor.

Die Datenbrille zeigt einzelne Strukturen und ihre Position im Schädel an. Auch bei eingeführten Instrumenten gibt die Brille deren genaue Position sowie die umliegenden und teils funktionstragenden Strukturen.
Grundlage dafür bilden Aufnahmen mit Computertomografen und Magnetresonanztomografen, die über die eigene Softwarelösung ausgelesen und mithilfe der Brille durch das Gewebe hindurch „ins Gehirn“ projiziert werden.

Sein Stellvertreter Prof. Dirk Winkler ergänzt: „Es ist für Chirurg/-innen einfach toll, beide Hände frei und so etwas wie ein GPS-System für den Kopf zur Verfügung zu haben.“

Datenbrille passt sich Nutzer/-innen an – nicht umgekehrt

Datenbrillen der neuesten Generation, wie jenes exklusive Modell, das den UKL-Neurochirurg/-innen nun zur Verfügung steht, zeichnen sich nach ihren Angaben durch eine präzise Steuerung mit Gesten und Augenbewegungen aus.

„Weil es intuitiv funktioniert“, erklärt Prof. Güresir, „wird es vor allem für kommende Chirurgen-Generationen völlig normal werden, mit ihr zu operieren.“

Die Technologie unterstütze in hohem Maß bei einem Eingriff, erklärt der UKL-Experte, und nehme viel von der zum Teil heute noch notwendigen Vorarbeit der „Vermessung des Schädels“ ab. Die von Ingenieur Grunert und seinen Mitarbeiter/-innen entwickelte Software müsse von Anfang an strukturell so aufgebaut sein, dass sie stets in die jeweils aktuelle Hardware eingefügt und mit immer mehr Datensätzen umgehen könne, so der Neurochirurgie-Klinikdirektor.

Ingenieur/-innen und Mediziner/-innen hoffen jetzt, das neue Brillenmodell aus dem Hause „Apple“ zumindest in Lehrveranstaltungen mit Student/-innen bald einsetzen zu können. Bis dahin werde zum Beispiel noch die Menüführung an medizinische Erfordernisse und an die Vorgaben späterer Nutzer/-innen angepasst. Prof. Dirk Winkler fasst es zusammen: „Die Brille passt sich im Bausteinprinzip an die Nutzer an, nicht umgekehrt.“

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