Am 16. Januar 2024 stellte Gesundheitsminister Karl Lauterbach seine Pläne zur Verbesserung der Notfallversorgung vor. Es ist durchaus eine überfällige Maßnahme, trotzdem gibt es offene Fragen zum Konzept. „Die Notfallambulanzen in Krankenhäusern sind überlastet, Patienten klagen über lange Wartezeiten.“ So beginnt der Beitrag der Tagesschau am gleichen Tag, auch das Statement des Gesundheitsministers eröffnet mit dieser Zustandsbeschreibung.
Wie ist die Lage in den Notaufnahmen der Krankenhäuser? – Für das November-ePaper der LZ hatten wir bei Krankenhäusern in Leipzig und im Umland nachgefragt, der Artikel ist jetzt auch separat online. Die Antwort des Leiters der Notaufnahme, dort im Volltext, hat auch uns überrascht. Sie entspricht eben nicht diesem Framing.
Auch die, damals nicht vorliegende, Antwort des Sana Klinikums Borna bestärkt die vorstehende Aussage. Nachstehend ein Auszug aus der Antwort, den kompletten Inhalt finden Sie am Ende des Artikels. Die Chefärztin Constanze Schwarz vom Zentrum für Notfall- und Akutmedizin am Sana Klinikum Borna sagte dazu:
Frage: Steigt die Anzahl der Fälle, die normalerweise den Besuch der Notaufnahme erforderlich machen, wirklich? Oder ist es ein „gefühlter Anstieg“?
„Seit Ende der Pandemie steigt die Patientenzahl wieder. Gegenwärtig bewegen wir uns ungefähr auf Vorpandemielevel. Zum Stadt-Land-Gefälle möchte ich sagen, dass sich das nicht pauschalisieren lässt. Es kommt sehr auf die konkreten infra- und bevölkerungsstrukturellen Gegebenheiten an. Wir sehen als stadtnahe Region nicht, dass Menschen in die Notaufnahme kommen, weil sie ärztlich nicht anders versorgt werden. In Regionen, die weiter von Ballungszentren entfernt liegen, mag sich die Situation aber anders darstellen.“
Es gibt also keinen Anstieg, wenn auch vielleicht das Vorpandemielevel schon zu hoch war.
Eckpunkte zur Notfallreform
Das Bundesministerium für Gesundheit stellt auf seiner Website die Eckpunkte des Lauterbachschen Konzepts vor, die klingen erst einmal gut.
Ausbau der Terminservicestellen, bundesweite Vereinheitlichung der notdienstlichen Akutversorgung, 24/7 telemedizinische Versorgung, Einbindung von qualifiziertem nichtärztlichen Personal (z.B. Gemeindenotfallsanitäter) für den aufsuchenden Dienst, flächendeckende integrierte Notfallzentren (INZ) und selbige, wenn möglich für Kinder und Jugendliche (KINZ), digitale Vernetzung der INZ mit Kooperationspartnern und die Anbindung einer Terminservicestelle an die INZ, schlussendlich dürfen dann die INZ und auch der aufsuchende Notdienst endlich Krankschreibungen ausstellen können.
Was nicht so deutlich in den Eckpunkten steht, aber von Karl Lauterbach stark betont wurde: „Um die Patienten besser zu steuern, werden wir die Notdienstnummern von Rettungsdienst (112) und KVen (116117) vernetzen“
Hände weg vom Notruf!
Das möchte man rufen, wenn das so ohne Erläuterung vorgebracht wird. Die Notrufnummer der Feuerwehr und des Rettungsdienstes 112, die Rufnummer 116117 ist die des Kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes. Was bedeutet eine „Vernetzung“?
Im schlimmst möglichen Fall bekommt man bei einem Anruf der 112 dann einen Automaten mit einer Abfrage. Das könnte dann so aussehen:
„Guten Tag, Sie sprechen mit der Notrufnummer der Feuerwehr, des Rettungsdienstes und des Kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes.
Wenn es bei Ihnen brennt, drücken Sie bitte die 1 – bei einem medizinischen Problem die 2.
Sie haben die 2 gedrückt, handelt es sich um ein länger bestehendes Problem drücken Sie die 1 bei einem akuten Problem die 2.
Sie haben die 2 gedrückt, benötigen Sie einen Termin bei einem Allgemein- oder bei einem Facharzt dann drücken Sie die 1, benötigen Sie sofortige Hilfe drücken Sie die 2.
Sie haben die 2 gedrückt, sind Sie in der Lage eine ärztliche Einrichtung selbständig aufzusuchen dann drücken Sie die 1, wenn nicht drücken Sie die 2.
Sie haben die 2 gedrückt, schätzen Sie Ihren Zustand als lebensbedrohlich ein dann drücken Sie die 1, wenn nicht drücken Sie die 2.
Sie haben die 1 gedrückt – wir verbinden zur zuständigen Rettungsleitstelle.“
Das Szenario ist selbstverständlich überspitzt, aber die Idee, dass wenn zuerst nach „akut lebensbedrohlich“ gefragt wird die Anrufer gleich diese Auswahl treffen wird im Raum stehen und am Ende wird der „echte Notruf“ zum Beispiel nach einem Unfall ans Ende der Auswahl gestellt werden.
Dazu muss auch gesagt werden, dass der überwiegende Teil der Patienten, die „unberechtigt“ dort sind, die Notaufnahme aufsuchen, ohne erst die 112 zu wählen.
Also erwarten wir eine Klärung wie diese Vernetzung aussehen soll und werden dazu beim Ministerium nachfragen.
Krankenhaus vs. Kassenärztliche Vereinigung (KV)
Die Befragung der Notaufnahmen von Krankenhäusern zum, oben verlinkten, Novemberartikel beruhten auf der Forderung von Andreas Gassen, dem Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, nach einer Gebühr für die „unberechtigte Inanspruchnahme der Notaufnahmen“. Wen vertritt diese Vereinigung?
Die KV Sachsen schreibt dazu: „Sie ist die Vertretung ihrer Mitglieder, aller zugelassenen Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten, der ermächtigten Krankenhausärzte und der in medizinischen Versorgungszentren (MVZ) bzw. bei Vertragsärzten oder Vertragspsychotherapeuten mindestens halbtags angestellten Ärzten im Freistaat Sachsen.“
Zur Erläuterung des Begriffs ermächtigte Krankenhausärzte: „Die Tätigkeit ermächtigter Ärzte ist eine solche. Krankenhausärzten wird häufig wegen Unterversorgung in der jeweiligen Region oder wegen ihrer besonderen Kenntnisse in einem bestimmten Gebiet eine Ermächtigung zur Erbringung bestimmter ambulanter Leistungen erteilt.“
Die KVen sind also mehr oder weniger Standesvertretungen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, die nicht an einer ambulanten Patientenversorgung in Krankenhäusern interessiert sind. Das muss man wissen, wenn Andreas Gassen die überfüllten Notaufnahmen beklagt.
Das Statement von Dr. Stöhr, dem Leiter der Notaufnahme des Diakonissenhauses Leipzig zeigt die Möglichkeit auf: „Es ist grundsätzlich möglich, Facharztkompetenzen in Krankenhäusern 24/7 verfügbar zu machen, auch dafür sind diagnostische Möglichkeiten wie Ultraschall, Röntgen, CT, Labor eben nur dort immer kurzfristig verfügbar.“ Das ist aber nicht das Interesse der KVen.
Das unterstützt auch Karl Lauterbach, wenn in den Eckpunkten steht: „INZ und KINZ bestehen aus der Notaufnahme eines Krankenhauses, einer zentralen Ersteinschätzungsstelle („gemeinsamer Tresen“) und einer KV-Notdienstpraxis in unmittelbarer Nähe.“
Die ambulante Versorgung von Patienten soll als in Verantwortung der KV bleiben.
Für die Maßnahmen werden Ärztinnen und Ärzte gebraucht
Ob „rund um die Uhr telemedizinische Versorgung“, verstärkt Hausbesuche, Gründung von INZ und KINZ – es werden zusätzliche Ärztinnen und Ärzte gebraucht. Woher sollen diese kommen?
Es ist zu befürchten, dass es sich bei den Maßnahmen hauptsächlich um angestelltes medizinisches Personal handeln wird, was dazu führt, dass sich der Nachwuchsmangel für niedergelassene Ärzte noch verstärkt. Schon jetzt sind viele, wenn nicht die meisten, Absolventen medizinischer Fakultäten eher an einer Festanstellung als an der Übernahme einer Praxis interessiert. Fehlen künftig noch mehr niedergelassene Ärzte, dann werden Notfallpraxen und Notaufnahmen wohl vermehrt frequentiert – ein Teufelskreis.
Fazit: Es gibt viele offene Fragen zum Konzept der Notfallreform, zu einigen werden wir beim Ministerium für Gesundheit und anderen Stellen nachfragen und darüber berichten. Die Notfallversorgung, wie auch allgemein die medizinische Versorgung, muss reformiert werden – das steht jedenfalls fest.
Antworten der Sana Klinik Borna
Steigt die Anzahl der Fälle, die normalerweise den Besuch der Notaufnahme erforderlich machen, wirklich? Oder ist es ein „gefühlter Anstieg“?
Seit Ende der Pandemie steigt die Patientenzahl wieder. Gegenwärtig bewegen wir uns ungefähr auf Vorpandemielevel. Zum Stadt-Land-Gefälle möchte ich sagen, dass sich das nicht pauschalisieren lässt. Es kommt sehr auf die konkreten infra- und bevölkerungsstrukturellen Gegebenheiten an. Wir sehen als stadtnahe Region nicht, dass Menschen in die Notaufnahme kommen, weil sie ärztlich nicht anders versorgt werden. In Regionen, die weiter von Ballungszentren entfernt liegen, mag sich die Situation aber anders darstellen.
Können Sie bestätigen, dass Menschen, die ohne „echten“ Notfall in die Notaufnahme kommen, als Grund angeben „Ich habe/finde keinen Arzt“?
Die Einschätzung, ob es sich bei Beschwerden um einen Notfall handelt, obliegt der behandelnden Ärztin bzw. dem behandelnden Arzt. Für uns ist ein Notfall ein Patient, der seine Beschwerden als Notfall empfindet. Damit stimmen wir mit der Auffassung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) überein, der ebenso nicht mehr von Notfallpatienten, sondern von Hilfesuchenden spricht. Insofern sind wir im Zentrum für Notfallmedizin auch für einen Patienten ansprechbar, wenn er das Gefühl hat, dass seine Beschwerden eine schnellere Behandlung erfordern, als dies bei einem niedergelassenen Arzt möglich wäre. In manchen Fällen ist eine Weitervermittlung oder Beratung dann auch ausreichend.
Gibt es einen signifikanten Zuwachs an Besuchern der Notaufnahmen aus dem ländlichen Raum?
Wir sind als Zentrum für Notfall- und Akutmedizin Borna Ansprechpartner für die Menschen im Landkreis Leipzig, also im ländlichen Raum, insofern stammen auch unsere Patientinnen und Patienten überwiegend aus dieser Region. Struktur und Versorgungsprozesse des Zentrums sind darauf ausgerichtet, die Bevölkerung unseres Einzugsgebietes in der Notfallversorgung abzusichern und ein verlässlicher Partner für Rettungswesen und niedergelassene Kollegen zu sein. Die Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten und Rettungsdiensten ist sehr vertrauensvoll und über viele Jahre gewachsenen.
Welche dringend erforderlichen Maßnahmen durch Kommune, Land und Bund sehen Sie?
Wir wünschen uns mehr Verantwortungsübernahme und Unterstützung, um die Krankenhäuser für Katastrophenfälle optimaler aufzustellen. Hierzu braucht es Investitionen in bauliche Erweiterungsmaßnahmen und Equipment. Ebenso gemeinsame, vernetzende Katastrophenübungen mit Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben.
Eine kostendeckende Vergütung der ambulanten Notfallversorgung in den Notaufnahmen, aber auch im niedergelassenen Bereich bei Haus- und Fachärzten ist ebenfalls erforderlich. Eine Notfallgebühr für den Patienten ist hierzu jedoch nicht der richtige Weg, Notfallversorgung muss jedem offen stehen.
Auch die Fachpflege in der Notfallaufnahme muss eine ähnliche Stärkung erfahren wie die Fachpflege anderer pflegesensitiver Bereiche durch das Personaluntergrenzengesetz.
Die sächsische Krankenhausstruktur ist durch die Verflechtung von Qualitätsvorgaben in Strukturprüfungen, Reformpläne etc. indirekt abhängig von einer flächendeckenden stabilen Quote in der Fachweiterbildung Notfallpflege. Um die Qualifizierungsrate der Fachpflege Notfallpflege in Sachsen zu erhöhen, wäre eine qualifizierte temporäre Übergangslösung in Weiterbildungskonzepten für langjährig erfahrene Notfallpflegende dringend erforderlich und hilfreich.
Und vor allem wünschen wir uns, dass Praktikerinnen und Praktiker in Reformpläne – sei es die Reform der Notfallversorgung oder die Krankenhausreform – einbezogen werden und dass zum Beispiel die Rettungsdienste und ihre Transportkapazitäten als Teil der Versorgungskette mitgedacht werden. Denn Rettungsdienste bringen nicht nur Patienten zu uns in die Klinik, sondern auch zurück in die Häuslichkeit oder zur Weiterbehandlung in eine andere Klinik.
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