Am 16. November werden die europäischen Mitgliedstaaten zum zweiten Mal zur Abstimmung darüber gebeten, ob der Unkrautvernichter Glyphosat europaweit erneut zugelassen oder verboten wird. Das erste Votum im Oktober blieb ohne Ergebnis. Deutschland hat sich in der ersten Abstimmungsrunde enthalten – und das, obwohl die zuständigen, grün geführten Ministerien für Landwirtschaft und für Umwelt die weitere Zulassung von Glyphosat ablehnen.

Grund dafür sind gegensätzliche Meinungen der Koalitionsparteien, denn die FDP spricht sich eindeutig für die Wiederzulassung von Glyphosat aus. Diese Konstellation erfordert scheinbar zwingend eine Enthaltung.

Ungewöhnlich daran ist, dass die FDP einem deutschen Verbot für Glyphosat im Koalitionsvertrag zugestimmt hatte. Und umso merkwürdiger erscheint es, dass sich mit dem Verkehrsministerium und dem Forschungsministerium nun zwei FDP-geführte Ressorts in die Debatte über die Zukunft von Glyphosat einmischen, die mit der Zulassung von Pestiziden überhaupt nichts zu tun haben.

Die SPD als größte Koalitionspartnerin hält sich in dieser Debatte auffällig zurück. Sie vermeidet es, sich klar gegen eine weitere Zulassung von Glyphosat zu positionieren, so wie es die sozialdemokratische Fraktion im Europaparlament macht. Dabei wäre ein SPD-geführtes Ministerium dazu prädestiniert, sich einzumischen: das Gesundheitsministerium. Denn Glyphosat bedroht nicht nur die Artenvielfalt, sondern birgt auch erhebliche Gesundheitsrisiken für den Menschen.

Schon im März 2015 stufte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ ein. Seither sind zahlreiche Studien erschienen, welche die krebserregende Wirkung des Unkrautvernichters bestätigen. Auch mit anderen schwerwiegenden Erkrankungen werden der Wirkstoff Glyphosat oder glyphosathaltige Produkte in Verbindung gebracht.

Jährlich gelangen tausende Tonnen Glyphosat in die Umwelt, was erhebliche ökologische und gesundheitliche Risiken birgt. Die SPD sollte den Konflikt zwischen den kleineren Koalitionspartnern nicht länger aussitzen, sondern ein Machtwort im Sinne des Koalitionsvertrages sprechen: gegen die Wiederzulassung von Glyphosat und damit für ein deutsches „Nein“ in Brüssel.

Sonst schafft es die FDP, die formalen Zuständigkeiten offenbar wenig Beachtung schenkt, als kleinste Koalitionspartei nicht nur, sich erfolgreich gegen die Haltung der eigentlich zuständigen Ministerien zu stellen, sondern auch das im Koalitionsvertrag festgehaltene Glyphosat-Verbot ad absurdum zu führen. Denn einen Pestizidwirkstoff national zu verbieten, solange er in der EU zugelassen ist, ist rechtlich kaum umsetzbar.

Die SPD sollte an ihre frühere klare Position gegen den Einsatz von Glyphosat anknüpfen und die Gesundheit der Bürger/-innen sowie den Schutz unserer Umwelt in den Vordergrund stellen. Es ist an der Zeit, dass die SPD und das Gesundheitsministerium ihre politische Verantwortung wahrnehmen und sich für das Verbot von Glyphosat in der EU einsetzen – unabhängig von Koalitionsinteressen.

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Und Leipzig?

77 Prozent der Deutschen sind laut einer Umfrage für den Pestizid-Ausstieg der Bundesrepublik. Auch in Leipzig war Glyphosat immer wieder Thema auch im Stadtrat. 2015 beschloss dieser, Leipzig zur pestizidfreien Kommune zu machen. Auf städtischen Flächen – so teilt das Umweltdezernat immer wieder mit – ist der Einsatz nur noch in Ausnahmefällen gestattet.

Am 18. Oktober 2023 stand das Thema freilich wieder auf der Tagesordnung des Stadtrates. Da ging es um die künftige Vergabe landwirtschaftlicher Flächen der Stadt. Und während die Verwaltung im Bewertungssystem noch den verringerten Einsatz von Pestiziden vorsah, brachten die Fraktionen von Grünen, Linken und SPD einen Änderungsantrag ein, der den Komplettverzicht bei Pestiziden höher bewertete. Denn die Stadt dürfe bei Landwirtschaftsflächen nicht hinter ihr eigenes Ziel zurückfallen.

Im Änderungsantrag hieß es dazu: „Die vorgeschlagene Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes und der beigefügte Maßnahmenkatalog können von der Stadt nicht wirksam kontrolliert werden. Damit besteht die Gefahr, dass sich die Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes nur auf dem Papier vollzieht. Für den Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel auf den Pachtflächen soll 1 Punkt vergeben werden, für den Verzicht auf allen Flächen 2 Punkte.

Leipzig hat sich schon 2015 auf den Weg gemacht, pestizidfreie Kommune zu werden und auf kommunalen Flächen auf den Einsatz von Pestiziden zu verzichten. Es ist also nur konsequent, wenn nun auch auf städtischen landwirtschaftlichen Flächen zum Schutz von Biodiversität und Gesundheit keine Pestizide eingesetzt werden. Dies entspricht auch dem Anliegen des Ende 2022 beschlossenen ‚Maßnahmenkatalog zum Schutz von Wild- und Honigbienen in Leipzig‘, wonach für den Insektenschutz Biolandbau gefördert und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln beschränkt werden soll.“

Hintergrundinformationen zum Thema Glyphosat stellt das Umweltinstitut München hier bereit.

Die Kommentatorin Christine Vogt ist Referentin für Landwirtschaft am Umweltinstitut München.

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