Was heißt das nun? Ist das Leben und Arbeiten in Sachsen so besonders hart? Schuften hier die Menschen unter besonders belastenden Bedingungen? Ganz so liest es sich, wenn jetzt das BARMER Instituts für Gesundheitssystemforschung (bifg) auf neue Zahle aus dem Morbiditäts- und Sozialatlas hinweist, die die deutlich überhöhten Zahlen von Suchterkrankungen bei sächsischen Beschäftigten aufzeigen.
„Die Gefahr einer Suchterkrankung ist für sächsische Beschäftigte im Bau- und Gastgewerbe besonders hoch“, stellt die BARMER in Auswertung der Zahlen fest. „Demnach lag die Rate für eine Suchterkrankung im Zusammenhang mit Alkohol, Drogen oder Medikamenten bei den Beschäftigten des Bereichs Bergbau, Energie- und Wasserversorgung, Entsorgung und Baugewerbe im Jahr 2021 bei 245 Fällen pro 10.000 Einwohnerinnen und Einwohner (Bund: 168 Fälle).
Dahinter folgen die Beschäftigten des Gastgewerbes mit 224 Fällen (Bund: 173 Fälle). Am geringsten ist das Risiko einer Abhängigkeit in Berufen für Erziehung und Unterricht mit rund 94 Fällen (Bund: 86 Fälle).“
„In Sachsen liegen die Betroffenenraten überdurchschnittlich hoch. Allerdings ist Sucht keine Willens- oder Charakterschwäche, sondern eine chronische Krankheit, die jede und jeden treffen kann. Eine Chronifizierung kann aber verhindert werden, wenn Suchtkranke so früh wie möglich Hilfe bei Ärzten suchen. Beratung und Therapie können dann am ehesten greifen“, sagt Monika Welfens, Landesgeschäftsführerin der BARMER Sachsen.
Zweithöchste Betroffenenrate in Sachsen
Der Analyse der BARMER zufolge sind die branchenübergreifenden Raten von Suchterkrankungen regional sehr unterschiedlich. Während die Rate Betroffener im Jahr 2021 in ostdeutschen Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen, mit Werten von rund 244 und rund 226, im Vergleich zum Bundesschnitt von 183 Fällen pro 10.000 Einwohner, überdurchschnittlich hoch ist, fällt sie in Rheinland-Pfalz mit einem Wert von rund 154 eher niedrig aus.
Auf Kreisebene treten in Sachsen Fälle besonders häufig in der Region Chemnitz mit einem Wert von 264 je 10.000 Einwohner auf, gefolgt von der Region Görlitz und Bautzen mit 256 und 255 je 10.000 Einwohner. Die geringste Zahl an Erkrankungen verzeichnet der Erzgebirgskreis mit einem Wert von 190 je 10.000 Einwohner.
Abhängigkeit hat viele verschiedene Ursachen
Abhängigkeit habe viele Ursachen und Ausprägungen, sagt Welfens. In der Regel entstehe sie durch das Zusammenwirken verschiedener biologischer, psychologischer, psychotraumatologischer und sozialer Faktoren. Drogen- und Alkoholsucht werde häufiger bei Männern als bei Frauen diagnostiziert, scheint damit vor allem ein männliches Problem zu sein.
„So kann beispielsweise der Pfad vom Feierabendbier in die Abhängigkeit kürzer sein, als sich viele Menschen eingestehen wollen“, sagt Welfens und empfiehlt, für einen gewissen Zeitraum beispielsweise ganz auf Alkohol zu verzichten. „Wer einen mehrwöchigen Alkoholverzicht als große Herausforderung empfindet, zeigt vielleicht schon erste Anzeichen einer Sucht und benötigt gegebenenfalls Hilfe“, so Welfens.
Aber der Blick auf die Einkommensstruktur macht deutlich, dass man es nicht einfach auf biologische Faktoren zurückführen kann. Und auch nicht nur auf soziale. Es geht hier ganz eindeutig um ökonomische Faktoren, denn die Hauptbetroffenengruppe gehört zu den Niedrigverdienern in Sachsen mit weniger als 15.000 Euro Jahreseinkommen. Hier sind über 370 Personen je 10.000 von einer Suchtabhängigkeit betroffen.
Und nicht grundlos tauchen hier Berufsbilder aus Bergbau, Energie- und Wasserversorgung, Entsorgung und Baugewerbe und Gastgewerbe als besonders betroffene Berufe auf. Und da es meistens der Alkoholmissbrauch ist, zeigen sich die Folgen der Abhängigkeit am stärksten in den Jahrgängen von 50 bis 70 Jahren.
Das sind nicht ganz zufällig auch die Jahrgänge, die am heftigsten von der ökonomischen Transformation in den 1990er-Jahren und radikalen Umbrüchen im eigenen Berufsleben betroffen waren.
Und die Karte zu Sachsen zeigt eben auch, dass sich diese Transformationsfolgen auch lokalisieren lassen – ob nun in der alten Industriestadt Chemnitz oder in den Landkreisen Meißen, Bautzen und Görlitz.
Leipzig und Dresden liegen mit Betroffenenzahlen von 228 und 230 je 10.000 zwar im sächsischen Mittelfeld, aber ebenso deutlich über dem bundesdeutschen Durchschnitt von 183.
Aber auch der Deutschlandkarte zeigt, dass die Suchtproblematik eng mit der ökonomischen Entwicklung gekoppelt ist – mit deutlich höheren Betroffenenzahlen in Ostdeutschland und deutlich niedrigeren Zahlen in Süddeutschland.
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