Alzheimer, wie die Alzheimersche Krankheit im Volksmund genannt wird, ist eine verbreitete Erkrankung, die besonders im Alter die Gehirne von Menschen dauerhaft schädigt. Für die Erkrankten und ihre Angehörigen ist der unaufhaltsame Verfall der Betroffenen eine grausame Erfahrung. Bisher gibt es Mittel, die den Verfall verlangsamen, aber keine Heilung. Diese Mittel sind in Europa aber (noch) nicht zugelassen. Es gibt jetzt Hoffnung.

Zumindest im frühen Stadium könnte es machbar sein, das Fortschreiten der Alzheimerschen Krankheit nicht nur zu verlangsamen, sondern die kognitiven Fähigkeiten zumindest teilweise wieder herzustellen. So habe ich den Vortrag von Dr. Kathrin Thiem und Dr. Alexander Brener von der PRInnovation GmbH, auf dem Hoffest der Bundesagentur für Sprunginnovationen am 30.08.2023, verstanden.

PRInnovation, mit Sitz in Leipzig und Düsseldorf, und die Priavoid GmbH in Düsseldorf, welche die Rechte an dem Wirkstoff PRI-002 vom Forschungszentrum Jülich erworben hat, bilden zusammen mit der Bundesagentur für Sprunginnovation SPRIND eine Forschungskooperation. Deren Ziel ist es, die Wirksamkeit von PRI-002 im nächsten Schritt, nämlich im Rahmen einer klinischen Phase II-Studie an Alzheimer-Patienten, unter Beweis zu stellen.

Was ist das Besondere?

Während die neuesten Mittel, „Lequembi“ von Biogen und „Donanemab“ von Eli Lilly, vor allem die bereits bestehenden Eiweiß-Ablagerungen (Amyloid-Plaques) im Gehirn angreifen, greift der Wirkstoff, der von der PRInnovation klinisch weiterentwickelt wird, an anderer Stelle ein.

Kurz gesagt, wie ich es als medizinischer Laie verstanden habe, wird Alzheimer durch korrumpierte Proteine (Oligomere) ausgelöst, die in ihrer normalen Form (Monomere) wichtige Funktionen erfüllen, und durch diese werden die Amyloid-Plaques gebildet. Vermutlich durch eine Vielzahl unterschiedlicher Entwicklungen, zu dem auch die Amyloid-Plaque-Bildung gehört, kommt es dann zur Schädigung von Hirnzellen.

Der Wirkstoff, den die Forscher entwickelt haben, greift toxische Oligomere an und verhindert somit die Schädigung von Hirnzellen. Diese könnten sich, sofern sie nicht zu stark geschädigt sind, wieder regenerieren. Es ist also ein Verhinderungs- und Heilungsprozess.

Zu sehen sind Kathrin Thiem und Alexander Brener, die Geschäftsführer der PRInnovation GmbH, beim Vortrag auf dem SPRIND-Hoffest. Foto: SPRIND/Thomas Victor
Kathrin Thiem und Alexander Brener, die Geschäftsführer der PRInnovation GmbH, beim Vortrag auf dem SPRIND-Hoffest. Foto: SPRIND/Thomas Victor

Fragen wir die Profis, also Dr. Kathrin Thiem

Frau Dr. Thiem, ich hoffe, dass meine obige laienhafte Darstellung ist nicht ganz falsch. Vielleicht können Sie uns etwas mehr zur Wirkweise von PRI-002 sagen. Wer ist überhaupt auf diesen Ansatz gekommen?

Der neue Wirkstoff und Ansatz wurde von Prof. Dieter Willbold, dem Direktor am Institut für Biologische Informationsprozesse – Strukturbiochemie des Forschungszentrums Jülich und Professor für Physikalische Biologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, entwickelt. Im Jahr 2020 identifizierte SPRIND diese Innovation als Projekt mit Sprunginnovationspotenzial. Ihre Darstellung ist richtig. Um es zu präzisieren, viele Beta-Amyloid Monomere bilden die von Ihnen erwähnten toxischen Oligomere. PRI-002 lagert sich an diese Bestandteile an und löst sie damit auf. Die Oligomere zerfallen wieder in ihre ungefährliche Monomer-Form.

Es ist die Rede von einer klinischen Phase II-Studie, das bedeutet, Sie sind über Experimente in der Petrischale, mit Mäusen und die ersten Versuche an Menschen schon hinaus. Wie können Sie die Ergebnisse, auch Nebenwirkungen betreffend für uns darstellen?

Das stimmt. In allen durchgeführten präklinischen Studien und in drei klinischen Phase I-Studien im Menschen wurde ein sehr gutes Sicherheitsprofil von PRI-002 demonstriert. Wenn überhaupt, dann wurden Nebenwirkungen wie Schwindel oder Kopfschmerz beobachtet. Es wurden bisher überhaupt keine schweren Nebenwirkungen von PRI-002 im Menschen beobachtet.

Was sind die Unterschiede zu den einleitend genannten Medikamenten? Ich hatte etwas von einer oralen Darreichung gehört.

PRI-002 ist eine neue Wirkstoffklasse. Er gehört zu den sogenannten D-Peptiden. Proteine in der Natur bestehen ausschließlich aus L-Aminosäure-Bausteinen. Ein D-Peptid, so wie PRI-002, setzt sich aus D-Aminosäuren, also den Spiegelbildern der L-Aminosäuren zusammen. PRI-002 kann durch diese Eigenschaft länger im Körper stabil und damit wirksam bleiben, weil alle Enzyme im Körper auf die Spaltung von Proteinen und Peptiden aus L-Aminosäuren optimiert sind. In der Tat kann PRI-002 dadurch auch oral eingenommen werden.

Die von Ihnen erwähnten Wirkstoffkandidaten von Biogen und Eli Lilly müssen hingegen intravenös appliziert werden. Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen PRI-002 und den Antikörper-basierten Wirkstoffen ist, dass keine Immunreaktionen durch die Einnahme von PRI-002 erwartet werden und bisher auch nicht beobachtet wurden. Die Immunreaktion, die durch Antikörper ausgelöst wird, kann in einigen Fällen zu Hirnblutungen und -schwellungen führen.

Der Wirkstoff ist in frühen Phasen der Erkrankung wirksam, wird es auch spätere Versuche im fortgeschrittenen Stadium geben und sehen Sie die Notwendigkeit verstärkter Maßnahmen zur Früherkennung von Alzheimer?

Die Aufgabe der PRInnovation ist die Vorbereitung und Durchführung der klinischen Phase II-Studie. Das primäre Ziel unserer Studie ist es, die Wirksamkeit von PRI-002 nachzuweisen. Danach gilt, dass eine Einnahme so früh wie möglich und eventuell sogar präventiv erfolgen sollte. Die Suche nach geeigneten Biomarkern, um die Alzheimer-Krankheit (früh) diagnostizieren zu können, ist definitiv sehr wünschenswert. Leider gibt es bisher aber nicht den einen Biomarker, der das kann. Es gibt einige interessante Ansätze, die wir im Rahmen unserer Phase II-Studie testen werden.

Zuletzt natürlich die große Frage: Wann kann frühestens, vorausgesetzt die Phase II-Studie ist erfolgreich, mit einer Markteinführung gerechnet werden?

Das ist natürlich eine sehr wichtige Frage. Die klinische Phase II-Studie wird voraussichtlich Mitte 2026 abgeschlossen sein. Eine klinische Phase III-Studie, auch Zulassungsstudie genannt, muss dann noch erfolgen, sodass wahrscheinlich am Ende dieses Jahrzehnts mit einer Markteinführung zu rechnen wäre, sollten alle Ergebnisse positiv ausfallen.

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Fazit: Es gibt Hoffnung für Alzheimer-Patienten und ihre Angehörigen, wenn auch wohl erst 2030. Wir werden den Kontakt halten und weiter berichten.

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