Dass die Hitzetage in Deutschland zunehmen, ist eine Binsenweisheit. Was zu tun ist, dazu gibt es einige Vorschläge. So brachte der Bundesgesundheitsminister Mitte Juli die Idee vor, die Kirchen als „Kälteräume“ zugänglich zu machen. Für Besucher der Stadt Leipzig ist das gewiss eine Möglichkeit, um sich abzukühlen, nur sind ja nicht alle Kirchen offen.
Zum gleichen Thema wie im „Spiegel“-Beitrag „Lauterbach möchte Kirchen als ‚Kälteräume‘ zugänglich machen“ hat die Fraktion Freibeuter im Leipziger Stadtrat den Antrag „Sofortprogramm: Evakuierungsorte für vulnerable Gruppen bei Hitze“ ins Verfahren gebracht.
Der Antrag der Fraktion Freibeuter.
Was beinhaltet dieser Antrag?
Im Antrag wird gefordert: „Die Stadt Leipzig legt ein Sofortprogramm für Evakuierungsorte für vulnerable Gruppen bei Hitze auf und berücksichtigt dabei die Ertüchtigung von Sporthallen mit Klimaanlagen und andere geeignete klimatisierte öffentliche Standorte im Stadtgebiet.“
Das ist eine andere Hausnummer als der Tweet des Gesundheitsministers. Mit dem Antrag will die Fraktion auf die Auswirkungen einer steigenden Anzahl von Hitzetagen und die mangelhafte Vorbereitung auf diese hinweisen.
Die Leserinnen und Leser erinnern sich bestimmt an die Diskussion um Wärmestuben für den Winter 2022/23, wegen eventueller Heizungsausfälle. Hier geht es um die reale, in den nächsten Jahren steigende Hitzebelastung in unserer Stadt.
Stadtrat Sascha Matzke (Freibeuter) teilte auf Anfrage dazu mit: „Als Krankenpfleger und Stadtrat empfinde ich nun mal akuten Handlungsbedarf. Die Sommer werden aktuell an einzelnen Tagen unerträglich heiß in dieser Stadt, für vulnerable Gruppen bis hin zur Lebensgefahr. Da helfen klimatisch erträgliche Orte in der Stadt, das örtliche Gesundheitssystem zu entlasten. Bautechnische Versäumnisse der letzten Jahrzehnte politisch nur zu beklagen, hilft uns im Sommer 2024 nicht.
Die Menschen müssen wissen, wohin sie schon morgens gehen können, um den Tag zu überstehen, ohne in der Notaufnahme zu landen. Der Hitzeaktionsplan weist langfristig den richtigen Weg, aber bereits 2024 braucht es eine handfeste Übergangslösung für vulnerable Gruppen.“
Vulnerable Gruppen, wer ist das?
Es gibt dazu einige Definitionen, im Zusammenhang mit einem Hitzeaktionsplan könnte man unter anderem chronisch kranke Menschen, Menschen mit Pflegebedarf, Kleinstkinder, wohnungslose Menschen und auch ältere Menschen ohne Pflegebedarf, die sich im Alltag selbst versorgen, dazu zählen.
Besonders die letzte Gruppe gilt es zu beachten. Wer kennt nicht einen Menschen über 80 Jahre, womöglich verwitwet, der sein Alltagsleben noch selbst gestaltet, aber nur wenig soziale Kontakte pflegt? Das sind diejenigen, deren plötzliche Abwesenheit kaum jemandem auffällt. Wenn diese bei Hitze (eventuell in der überhitzten Dachgeschosswohnung) kollabieren, bemerkt es niemand.
Die AWO-Präsidentin Katrin Sonnenholzner bringt das soziale Problem auf den Punkt: „Die Klimakrise ist ungerecht, das zeigt sich auch beim Thema Hitze. Armutsbetroffene, sozial isolierte und wohnungslose Menschen gehören zu den besonders gefährdeten Personengruppen. Erstere leben oft beengt, in kleinen, alten und somit sich schnell aufheizenden Gebäuden. Wohnungslose Menschen haben oftmals gar keine Rückzugsmöglichkeiten oder andere Möglichkeiten der Abkühlung.“
Die sozial-vulnerablen Gruppen
Armutsbetroffene, sozial isolierte und wohnungslose Menschen haben kaum kühle Rückzugsorte bei Extremhitze.
Letztere, also wohnungslose Menschen, können zwar die Nacht in Notunterkünften (Übernachtungshäusern) verbringen, wenn ausreichend Plätze vorhanden sind. Den Tag verbringen sie aber auf der Straße – in der Hitze. Selbst wenn die Notunterkünfte, wie bei Corona, tagsüber zugänglich sind, hilft das wahrscheinlich wenig. Die meisten davon sind dann ebenfalls überhitzt. Beim Versuch, sich in Einkaufszentren oder anderen öffentlichen Objekten aufzuhalten, werden sie oft schnell vertrieben.
Die andere Gruppe, also Armutsbetroffene, die oft in unsanierten Altbauten leben, eventuell mit Kleinstkindern oder selbst vorerkrankt, haben kaum eine Rückzugsmöglichkeit, wenn die Wohnung aufgeheizt ist. Das trifft auch für ältere Menschen zu, die oft sozial isoliert sind, aber normalerweise ihren Alltag noch selbst gestalten. Ebenso auf Menschen, die von ambulanten Pflegediensten betreut werden.
Wir haben dazu auch Hausärzte und ambulante Pflegedienste angefragt.
Was sagen die Profis?
Unter den Befragten fand sich niemand, der namentlich genannt werden wollte. Den Ansatz fanden aber alle prinzipiell gut.
Ein Hausarzt wies darauf hin, dass auch an solchen Rückzugsorten die Möglichkeit bestehen muss, den Menschen, die sich nur eingeschränkt selbst organisieren können, Getränke nicht nur bereitzustellen. Sie müssen auch zum Trinken animiert werden.
Die ambulanten Pflegedienste bestätigten, dass sie kaum die Möglichkeit präventiver Maßnahmen haben. Grund dafür ist das limitierte Zeitfenster für die einzelnen Pflegebedürftigen. Wenn diese in einer überhitzungsgefährdeten Wohnung leben, dann können sie zwar beim Besuch durch den Pflegedienst zum Trinken angehalten werden. Beim nächsten Besuch kann schon eine Dehydrierung eingetreten sein und es hilft nur noch der Notruf.
Von einem ambulanten Pflegedienst kam der Hinweis, dass es auch an solchen Rückzugsorten, eine zumindest rudimentäre pflegerische Unterstützung geben müsste, beispielsweise beim Toilettengang.
Rückzugsorte – Ausstattung
Die Leserinnen und Leser werden bemerkt haben, dass wir hier statt „Evakuierungsorte“ den Terminus „Rückzugsorte“ verwenden. Der Grund ist die negative Konnotation des ersteren Begriffs, der aber im Antrag durchaus, zur Verstärkung der Dringlichkeit, seine Berechtigung hat. „Rückzugsorte“ soll als Ausdruck die Bedeutung „Ich kann mich dorthin freiwillig begeben“ haben, das stimmt auch mit dem Statement von Sascha Matzke überein.
Diese Orte müssen, außer der annehmbaren Temperatur, noch weitere Kriterien erfüllen: wohnortnah, barrierefrei, mit ausreichenden sanitären Einrichtungen und mindestens einer Getränkeversorgung ausgestattet.
Weitere Herausforderungen kommen ins Spiel, wenn man dauerhaft bettlägerige, oft von Angehörigen gepflegte Menschen mit einbezieht.
Eine offene Frage ist auch die Mitnahme von Haustieren. Gerade wohnungslose und sozial isoliert lebende Menschen haben oft Hund & Co.
Es ist also nicht so einfach, klimatisierte Turnhallen sind da wahrscheinlich nur bedingt geeignet.
Fazit: Die Schaffung und Bereitstellung von Rückzugsorten (Evakuierungsorten) für vulnerable Gruppen ist nicht einfach. Ob eine solche notwendig und praktikabel ist, darüber sollte man wenigstens nachdenken.
Da das Thema Hitze auch Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern, Bewohner und Bewohnerinnen von Alten- und Pflegeheimen sowie Teilnehmerinnen und Teilnehmer an medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen betrifft, haben wir bei einigen Einrichtungen nachgefragt.
Ob der Hitzeschutz dort ein Thema ist und wie die Einrichtungen damit umgehen, dazu mehr im nächsten Artikel.
Der Beitrag entstand im Rahmen der Workshopreihe „Bürgerjournalismus als Sächsische Beteiligungsoption“ – gefördert durch die FRL Bürgerbeteiligung des Freistaates Sachsen.
Es gibt 3 Kommentare
Niemand spricht von Zwang – es steht direkt im Artikel, dass es um Freiwilligkeit geht bzw. darum, erst einmal Möglichkeiten zu haben, vor der Hitze zu fliehen.
Wer in seiner Wohnung sterben will, darf das natürlich auch weiterhin.
Endlich mal ein ironischer Text wo man über sich selbst lachen könnte. Vor dem Hitzetod gibt es noch typische Symptome, wie geistige Verwirrtheit und religiöse Apathie. Leider hat der Polarsturm am Wochenende der fatalistischen Selbstläuterung ein Ende bereitet. Schade auch, hätte gern mal gekochte Eier direkt aus Hühnern aufgeschlagen. Wie macht man das dann eigentlich mit den Fünf-Minuten-Eiern ?
Paar schöne Tage und paar schwüle Tage gab’s dieses Jahr. Nicht so oft über 30 Grad. Dafür 4 Wochen in den Sommerferien mit um die 20 Grad. Ist es jetzt gerechtfertigt, eine gewisse Panik zu verbreiten und Hitzeschutzplan mit Evakuierung zu verlangen oder zu erwarten? Ich sage nein! Man kann doch vernünftig mit Leuten umgehen und das Selbstbestimmungsrecht achten. Wer nicht mehr dazu in der Lage ist, aufgrund Erkrankungen oder im hohen Alter, der lebt meist sowieso betreut. Keiner hat doch etwas gegen Hinweise oder Tipps für Hitze, um gut durch den Sommer zu kommen. Außerdem gibt es noch Notdienste, die helfen können, wenn es wirklich nötig ist.
Ansonsten habe ich das Gefühl, dass den Menschen immer mehr angesprochen wird, in der Lage zu sein für sich selber zu denken und zu handeln, und ich finde diese Entwicklung bedenklich.
Ich freue mich auf eine faire und freundliche Diskussion!