Adoption ist ein bekannter Begriff, doch Adaption โ€“ was ist das? In Leipzig begeht Anfang Juni ein wichtiger Baustein der medizinischen Rehabilitation Jubilรคum: die Abteilung Adaption der Soteria Klinik Leipzig in der Ludwig-Erhard-StraรŸe 21. Holger Zรผrch sprach mit deren Leiter, Dr. phil. Benno Fabricius, รผber das, was mit Patienten nach einer Suchtentwรถhnung passiert, wenn es wieder heiรŸt: zurรผck ins Leben.

Was ist Adaption, wozu ist sie gut, wie lange dauert sie?

Benno Fabricius: Die Adaption ist der zweite Schritt der medizinischen Rehabilitation von Menschen mit einer Suchterkrankung. Die erfolgreiche Entwรถhnungsbehandlung ist Voraussetzung fรผr die meist dreimonatige Adaptionsphase. Wรคhrend sich die Entwรถhnungstherapie hauptsรคchlich mit der Verarbeitung der Lebens- und Suchtgeschichte und Verhaltensรคnderungen beschรคftigt, geht es in der Adaption um die Umsetzung des Gelernten in die persรถnliche abstinente Lebenspraxis.

Sind Sie der โ€žArzt im weiรŸen Kittelโ€œ? Was sind Ihre Aufgaben und die Ihres Teams? Wie viele Leute sind Sie?

Nein, ich bin kein Mediziner. Ich bin Diplomsozialpรคdagoge und Suchttherapeut mit handwerklichem und pflegerischen Berufshintergrund. Der weiรŸe Kittel ist bei uns nicht der gewohnte Anblick, aber Teil des Behandlungssettings. Adaption ist ohne Medizin nicht denkbar. Wir haben ein Multiteam bestehend aus Ergotherapeut/-innen und Bezugstherapeut/-innen, die die Lebenspraxis der Patient/-innen therapeutisch und sozialdienstlich begleiten und ihnen helfen, sich zu organisieren.

ร„rzt/-innen decken die medizinische Versorgung ab, Pflegedienste die Nacht. Unser Chefarzt fรผhrt die sozialmedizinischen Visiten durch. Logistisch sind wir mit der Soteria Klinik des Helios Park-Klinikums Leipzig vernetzt.

Die Begleitung unserer Patient/-innen ist eine Mischung aus Therapie und Sozialdienst. Wir begleiten und behandeln Patient/-innen, die suchtkrank sind und die zu uns kommen, zum Teil ohne Wohnraum, mit Hafterfahrung, Obdachlosigkeit, Schulden, fehlender Anmeldung bei Krankenkassen und รคhnlichen Erfahrungen.

Wer kommt warum zu Ihnen โ€“ und woher?

Zu uns kommen Menschen mit vielfรคltigen Erkrankungen oder Folgeerkrankungen der Sucht, Missbrauchserfahrungen, Mobbing, schwierigen Familien im Hintergrund, toxischen Beziehungsmustern. Viele von ihnen sind abhรคngig von Alkohol, von Drogen, Medikamenten, nicht wenige von mehreren Substanzen.

Einige betrieben pathologisches Glรผcksspiel oder sind von Medien abhรคngig. Sie haben nicht selten weitere Erkrankungen; zum Beispiel des Bewegungsapparates, der Psyche, Erkrankungen innerer Organe, Depressionen oder Persรถnlichkeitsstรถrungen.

Unsere Patient/-innen sind zwischen 18 und 60 Jahre alt. Mit durchschnittlich 35 Jahren sind sie in einem fรผr den Arbeitsmarkt wichtigen Alter. Etwa die Hรคlfte hat einen Realschulabschluss oder hรถheren Schulabschluss. Andere haben die Schule im Zeitraum zwischen der 6. Klasse und dem Abi abgebrochen.

Im Verhรคltnis sind es deutlich weniger Frauen als Mรคnner. Frauen holen sich oft spรคt Hilfe, fรผhlen sich verantwortlich fรผr Familie, Partner, Arbeit, auch wenn sie schon am Ende ihrer Krรคfte sind. Das ist eher eine These oder Erfahrung.

Mehr als die Hรคlfte unserer Patient:innen hat im Vorfeld mehrere stationรคre Entgiftungen gehabt. Etwa 40 Prozent der Betroffenen haben zwei oder mehrere Therapien erlebt. Einige kommen aus der ersten stationรคren Rehabilitation zu uns. Andere glauben, sie kรถnnten problemlos in ihr altes Umfeld zurรผckkehren und รผberfordern sich dann. Sie entschlieรŸen sich wรคhrend einer zweiten oder weiteren Entwรถhnungsbehandlung, eine Adaption anzuschlieรŸen.

Was passiert in der Adaption?

In der Adaption leben Patient/-innen einen abstinenten Alltag unter therapeutischer Begleitung. Sie erproben sich bei Betriebspraktika. Das ist wichtig, weil ihnen kontinuierliche Berufserfahrung fehlt. Die Ausbildung wurde oftmals nicht abgeschlossen. Oder eine berufliche Umorientierung ist nรถtig, weil sie mit ihrer Suchterkrankung nicht in den bisherigen Beruf zurรผckgehen kรถnnen โ€“ wie etwa der alkoholabhรคngige Braumeister oder die medikamentenabhรคngige Krankenschwester.

Wir haben standardgemรครŸ psychotherapeutische und soziotherapeutische Gruppen im Haus. Es gibt das Abstinenzsicherheitstraining und das Training der sozialen Kompetenz. Dazu kommen eine Vielzahl von Einzelgesprรคchen โ€“ ganz nach Bedarf unserer Patient/-innen. Oft ist das eine Mischung aus psychotherapeutischem und sozialdienstlichem Bedarf.

Fรผr die Zeit ihres Aufenthaltes leben sie bei uns im Haus in Einzelapartments. Sie lernen, wieder auf eigenen Beinen zu stehen, sich eine abstinenzfรถrdernde Umgebung zu schaffen, aber auch mit sich allein zurechtzukommen. Sie mรผssen wieder lernen, anders auf ihre soziale Umwelt zuzugehen. Aus der Geschichte der Patient/-innen ist bekannt, dass viele von ihnen allein zu Hause getrunken oder andere Dinge konsumiert haben.

Oder sie konnten sich nicht von einem konsumierenden, dealenden Umfeld abgrenzen. Sie verloren ihre Wohnungen, weil sie der Szene die Tรผr geรถffnet haben. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom sogenannten nassen Wohnraum. Das endet hรคufig mit Zwangsrรคumungen und Obdachlosigkeit oder Haft. Und dann wird auch klar, warum die Leute eine eigene, selbststรคndige Umgebung neu erlernen mรผssen.

Was sollen die Leute in der Zeit bei Ihnen โ€“ wieder โ€“ lernen?

Die Selbststรคndigkeit, gleichzeitig die Fรคhigkeit, sich Hilfe zu organisieren. Aber es geht auch um den Wiedererwerb von Fรคhigkeiten, die im Arbeitsleben benรถtigt werden. Arbeitstugenden wie Pรผnktlichkeit, Absprachefรคhigkeit, Kritikfรคhigkeit, Selbstfรผrsorge. Manche Betroffene haben sich im Arbeitskontext รผberfordert โ€“ etwa die Pflegekraft, die kein Wochenende mehr freihatte. Wir unterstรผtzen Menschen, Beziehungen wieder auf Augenhรถhe gestalten zu kรถnnen. Wie gehen die Betroffenen mit ihren Familien um? Mit ihren persรถnlichen Verwerfungen und Brรผchen?

Sie sollen bei uns wieder lernen, sich soziale Netze zu schaffen. Die Zeit nach der Adaption vorzubereiten im Sinne in der Wahrnehmung von Nachsorge und Selbsthilfegruppen. Wir sind nur eine Station auf ihrem Weg in die abstinente Lebensgestaltung. Das kann bedeuten, die Patient/-innen gehen nach der Adaption in eine eigene Wohnung.

Die Adaption ist also eine Realitรคtsprรผfung, ein Alltags-Check: Sie erleben ganz praktisch, ob sie in der Lage sind, selbststรคndig ihr Leben zu fรผhren, oder ob sie weitere Hilfen benรถtigen โ€“ wie etwa ambulant betreutes oder soziotherapeutisch betreutes Wohnen.

Stichwort Praktikum: Was hat es damit auf sich?

Das Praktikum ist sozusagen das โ€žFiletstรผckโ€œ der Adaption. Weil bei vielen die Arbeitserfahrungen brรผchig sind, weil sie zum Teil nicht zu Ende gebrachte Studien oder Ausbildungen haben. Sie waren zum Teil lange arbeitslos, haben sich รผberfordert oder konnten ihrer Arbeit im Rausch nicht mehr nachgehen.

Die Qualitรคt einer Adaptionsbehandlung kann man nicht sofort im Anschluss der Adaption beobachten. Aus Sicht der Rentenversicherung zeigt sie sich, wie die Betroffenen nach ein bis zwei Jahren auch wieder im Berufsalltag FuรŸ fassen konnten.

Das Praktikum kann an allen mรถglichen Arbeitsstellen stattfinden โ€“ im Bรผro, im Verkauf, im Handwerk sowie in der Pflege. Diese Wiedereingliederung ins Erwerbsleben wird von unseren Ergotherapeutinnen eng begleitet. Der Erwerbsbezug wird sozialmedizinisch geprรผft und findet im besten Fall seinen Ausdruck in punktgenauen Praktika, die die Patient/-innen machen.

Dabei unterscheiden wir strukturelle von inhaltlichen Praktika. Strukturell geht es um die Wiedererlangung รผberhaupt einer Struktur. Die Patient/-innen stehen auf, kommen pรผnktlich und gehen ihren Verpflichtungen nach. Demgegenรผber geht es bei inhaltlichen Praktika um die weitere Qualifikation zum Beruf.

Wie geht es fรผr die Leute nach der Adaption weiter?

Da sind wir bei der Frage nach einer eigenen Wohnung: Ja? Nein? Zurรผck in die bisherige Wohnung? Was wurde verรคndert, um sich einen suchtmittelfreien Raum zu schaffen? Gibt es einen Bedarf auf ambulantes betreutes oder soziotherapeutisches betreutes Wohnen? Ersteres ist nรคher an einem freien Alltag der Patient/-innen, wรคhrend soziotherapeutisch betreutes Wohnen einen hรถheren Betreuungsbedarf hat.

Wie erfolgreich ist Adaption? Oder anders gefragt: Waren einige Leute schon mehrfach in Ihrem Haus?

Wir hatten wenige Patient/-innen, die die Adaption wiederholt haben, nachdem sie nach Jahren festgestellt haben, dass sie nochmal eine Therapie benรถtigen. Erfolg ist fรผr den einen, dass er zeitweise abstinent sein konnte dank der Behandlung. Fรผr den nรคchsten ist Erfolg, dass er oder sie wieder gut im persรถnlichen Leben und Arbeitsalttag gelandet ist. Fรผr andere besteht er darin, dass sie ihre Familien wiedergewonnen haben. Sich wieder um ihre Kinder kรผmmern kรถnnen, die zuvor in Pflegefamilien und Heimen waren.

Ein wichtiger Erfolg, an dem sich Adaption bemisst, ist, dass Patient/-innen ihre Konflikte und ihr Leben suchtmittelfrei meistern kรถnnen. Das gelingt unterschiedlich gut. Einige Patienten sind jetzt schon fast 25 Jahre trocken. Das finde ich groรŸartig.

Wann, warum und wie ist Ihre Einrichtung entstanden?

Die Soteria Klinik wurde 1997 nach einem Vorgรคngerbau neu erรถffnet. Ein logischer Schritt war dabei der zeitnahe Aufbau eines weiteren Behandlungsschrittes zur Sicherung des Therapieerfolges.

Unsere Einrichtung ist die erste ihrer Art im Freistaat Sachsen gewesen โ€“ wir waren sozusagen โ€žVorreiterโ€œ. Mit meinen ersten drei Patient/-innen begann die Arbeit am 15. Juni 1998. Aus der Anfangsphase gibt es noch zwei Kolleginnen, die sehr zur Stabilitรคt und Qualitรคt dieses Hauses beigetragen haben.

Was wรผnschen Sie sich kรผnftig fรผr die Adaption und Ihre Klienten?

Fรผr die Patient/-innen wรผnsche ich mir, dass mรถglichst viele von ihnen den Weg in ein mรถglichst normales, abstinentes Leben finden. Fรผr das Team wรผnsche ich mir, dass wir weiterhin in dieser guten Qualitรคt mit unseren Patient/-innen arbeiten kรถnnen und dass dies auch von den Patient/-innen angenommen wird.

Und fรผr das Haus wรผnsche ich mir, dass wir eines Tages hier im Wohngebiet eine ganz normale Einrichtung sind โ€“ ohne Zรคune und Baugeschehen โ€“, die akzeptiert wird und in ihrem Umfeld gut agieren kann.

Welche Frage fehlt noch aus Ihrer Sicht? Und wie lautet Ihre Antwort darauf?

Ich wรผnsche mir, dass die 25 Jahre Adaption als Teamleistung gesehen werden und als Lebensschule, nicht nur fรผr die Betroffenen, sondern fรผr jeden, der hier seinen Dienst tut. Denn nur mit der Gemeinschaftsleistung, die wir tagtรคglich vollbringen, kรถnnen wir mรถglichst vielen Menschen gut helfen.

Ihnen und Ihrem Team alles Gute und weiter viel Erfolg!

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