Hochkalorisches Essen und wenig Bewegung können zu Lebensstilerkrankungen wie Diabetes und Adipositas (Fettleibigkeit) führen und auch das Risiko für Schlaganfall sowie Demenz erhöhen. Die Biologin Dr. Veronica Witte erforscht an der Uni Leipzig den Einfluss von Adipositas, Ernährung und Stoffwechselveränderungen auf die Gehirnstruktur und -funktion.
Sie ist Teilprojektleiterin im Sonderforschungsbereich (SFB) 1052 „Mechanismen der Adipositas“ der Universität Leipzig, in welchem Wissenschaftler/-innen verschiedener Fachdisziplinen Ursachen, Präventions- und Therapieansätze der Volkskrankheit untersuchen.
Welche Rolle spielt die Ernährung des Einzelnen für unsere Gesellschaft im Allgemeinen?
Die ständige Verfügbarkeit von hochkalorischem Essen mit wenigen weiteren Nährstoffen, sogenannte „leere Kalorien“, wie zum Beispiel die kostengünstige Tiefkühlpizza oder der Schokoriegel sowie auch zuckerhaltige Getränke, und unser meist „sitzender Lebensstil“ führen oft zu einer Gewichtszunahme und erhöhen das Risiko, an Adipositas zu erkranken.
Auch für die Gehirngesundheit oder Alterung des Gehirns kann dies negative Folge haben: Es ist mittlerweile gut belegt, dass Adipositas verglichen mit Normalgewicht im mittleren Lebensalter mit einem höheren Risiko einhergeht, im späteren Leben einen Schlaganfall zu erleiden oder an Demenz zu erkranken. Dieses Zusammenkommen von mehr Adipositas mit einer immer älter werdenden Gesellschaft stellt eine große gesellschaftliche Herausforderung dar.
Was sind mögliche Ursachen für einen Zusammenhang zwischen Ernährung, Übergewicht und Gehirngesundheit?
Ungesunde Ernährung, geringe körperliche Aktivität und Einlagerung von zu viel viszeralem Fett, also Fett, um die inneren Organe, oft auch als typische „Apfel“-Körperform beschrieben, können zu Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck und Typ 2-Diabetes führen.
Darüber hinaus schädigen diese Prozesse indirekt das Gehirn und beschleunigen vermutlich auch direkt dessen Alterungsprozesse. In einer Bevölkerungs-Studie mit rund 1800 zufällig ausgewählten Erwachsenen aus Leipzig konnten wir zum Beispiel beobachten, dass ein höherer Taillen-zu-Hüftumfang, also die „Apfel“-Körperform, im Durchschnitt mit vermehrten Auffälligkeiten in der weißen Substanz des Gehirns verbunden war, die auch im Alter vermehrt auftreten.
Diese sogenannten „white matter lesions“ konnten wir mittels hochaufgelöster Magnetresonanztomographie, MRT, nachweisen. Dieser Zusammenhang zwischen „Apfelform” und Gehirnalterung ließ sich durch eine Adipositas-bezogene höhere Konzentration an Interleukinen im Blut, also Entzündungsfaktoren, erklären.
Was ist das Ziel Ihrer Forschung im SFB „Mechanismen der Adipositas“ und wie wollen Sie es erreichen?
Es gibt Hinweise, dass wir die bestehenden Signalwege zwischen Körper und Gehirn auch positiv beeinflussen können, und zwar, indem wir mit der Ernährung oder einer gezielten Nährstoffgabe günstige Stoffwechselprozesse in Gang setzen können. Ziel ist, dadurch die Gehirnstruktur und -funktion zu stärken und nachhaltigere Entscheidungsprozesse zu begünstigen.
In einer neuen Studie am Sonderforschungsbereich 1052 „ObesityMechanisms“ der Universität Leipzig untersuchen wir daher derzeit, ob die Gabe von hochdosierten Präbiotika aus Ballaststoffen die neuronale Antwort auf verschiedene Essensreize bei Menschen mit Adipositas verändert und das Verlangen nach hochkalorischer Nahrung, wir sprechen dann von „Food craving“, verringert wird.
Die Teilnehmer/-innen nehmen dabei täglich entweder 28 Gramm Inulin oder ein Placebopräparat über einen Zeitraum von sechs Monaten ein und führen vorher und nachher eine Aufgabe während der MRT-Messung durch. Wer Interesse hat bei dieser Forschung mitzuwirken: Wir suchen noch Proband/-innen!
Welche Rolle spielt der Darm dabei?
In unserem Darm befinden sich unzählige Darmbakterien, die dabei helfen, unsere Nahrung zu verstoffwechseln. Insgesamt ist über die genaue Funktion der Darmbakterien, der Mikrobiota, zwar noch relativ wenig bekannt, es wird aber vermutet, dass einige Bakterien die Kalorienaufnahme über den Darm modulieren können.
Andere produzieren zum Beispiel aus pflanzlichen Nährstoffen kurzkettige Fettsäuren oder andere Signalstoffe und Hormone, welche die Nervenendigungen im Darm ansprechen oder über den Blutkreislauf das Gehirn erreichen können. Dort werden nicht nur Sättigungs-Prozesse eingeleitet, sondern vermutlich auch weitere kognitive Funktionen mit beeinflusst.
Vielleicht auch solche, die Entscheidungsprozesse beeinflussen – sozusagen entsprechend dem sprichwörtlichen „Du bist, was du isst“. In unserer SFB-Studie an der Universität Leipzig in Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften wollen wir herausfinden, wie groß der Einfluss der Bakterien überhaupt ist und welche Bakterien in der Darm-Hirn-Kommunikation eine besondere Rolle spielen.
Darüber hinaus erforschen wir, ob eine gezielte Nährstoffgabe bestimmte „gute“ Bakterien stärker wachsen lässt und sich so neue Möglichkeiten in der Prävention und Therapie von Adipositas ergeben könnten.
Das Interview mit Dr. Veronica Witte führte die Medienredaktion der Uni Leipzig.
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