Die sächsischen Krankenhäuser und Arztpraxen befinden sich aktuell in der wohl herausforderndsten Situation seit Beginn der Corona-Pandemie. Eine Mitgliederbefragung des Marburger Bundes Sachsen bestätigt jetzt die Überlastung sächsischer Gesundheitseinrichtungen. 593 Mitglieder des Ärzteverbandes haben sich zwischen dem 29. November und dem 5. Dezember 2021 an der Umfrage zur aktuellen Corona-Lage beteiligt.

Und die Lage ist auch aus Sicht jener dramatisch, die am Ende mit den dramatisch gestiegenen Fällen schwerer Erkrankungen umgehen müssen.

90 Prozent der Befragten gibt an, dass in ihrer Klinik die Behandlung von Nicht-Corona-Patienten aufgrund der Behandlung von COVID-19-Patienten einschränkt werden musste. Dabei steigt die Zahl der Patienten, die eine stationäre Versorgung im Krankenhaus benötigen: Mehr als die Hälfte der befragten Ärztinnen und Ärzte sieht in ihrem Fachbereich einen Rückstau von Behandlungen aufgrund der coronabedingten Bettenschließungen in der Pandemie.

Fast 300 Ärztinnen und Ärzte haben konkrete Einschränkungen in der Einrichtung, in der sie tätig sind, geschildert: Viele beklagen, dass die Therapiequalität aufgrund abgesagter Behandlungen sinkt. Zudem leiden die Patienten unter dem Besuchsverbot. Fast ein Drittel der Befragten beschreibt eine physische oder psychische Überlastung.

Wie lange kann das Klinikpersonal noch durchhalten?

33 Prozent der Befragten glaubt nicht, dass die Ärztinnen und Ärzte sowie das Pflegepersonal ihrer Klinik unter den aktuellen Bedingungen mehr als vier Wochen weiterarbeiten kann. Nur 41 Prozent glauben, dass das möglich sei.

Der Rückstau an Behandlungen aufgrund der Corona-Pandemie. Grafik: Marburger Bund Sachsen
Der Rückstau an Behandlungen aufgrund der Corona-Pandemie. Grafik: Marburger Bund Sachsen

„Kurzfristige Dienstplanänderungen, sehr viele Überstunden, sinkende Behandlungsqualität und die Unterbrechung von Fort- und Weiterbildungen: Die Arbeitsbelastung unserer Mitglieder steigt, Qualifizierung wird zurückgestellt. Auch in Sachsen sind die Ärztinnen und Ärzte am Anschlag. Umso erschreckender, dass uns aus einzelnen Häusern vom Stellenabbau im ärztlichen Dienst berichtet und der ärztliche Dienst bei der Corona-Prämie im großen Stil übergangen wird“, findet Torsten Lippold, der Landesvorsitzender des Marburger Bunds Sachsen.

„Keine Behandlungskapazitäten mehr“

Corona verengt das Nadelöhr der Akutbehandlung: 35 Prozent der Befragten gibt an, dass es in ihrem Haus durch COVID-19 bedingte Situationen gibt, in denen sie die Behandlung von Notfallpatienten im Sinne einer Triage priorisieren mussten.

„Es ist Standard in der Akutmedizin und im Interesse von Notfallpatienten, dass sich die Reihenfolge der Versorgung nach der Dringlichkeit und nicht nach der Ankunftszeit in der medizinischen Einrichtung richtet. Durch Corona werden die Spielräume kleiner – zu klein. Viele unserer Mitglieder schildern erschütternde Fälle von Patienten, denen sie nicht die Therapie ermöglichen können, die sie benötigen“, zeigt sich Torsten Lippold betroffen über die Angaben in der Umfrage.

Wie lange hält das Klinikpersonal noch durch? Grafik: Marburger Bund Sachsen
Wie lange hält das Klinikpersonal noch durch? Grafik: Marburger Bund Sachsen

42 Prozent der Befragten geben an, dass in ihrer Einrichtung über 20 Prozent der Betten personalbedingt nicht genutzt werden können. Die Krankenhauslandschaft sieht das dauerhafte Betreiben von bettenstarken Infektionsbereichen nicht vor. Um die vielen COVID-Patienten versorgen zu können, wechselt ohnehin knappes Personal aus anderen Fachabteilungen in die Pandemiebereiche. 74 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte in Sachsen bestätigen in der Umfrage, dass ihre Abteilung Personal abgeben musste, um die Versorgung auf den Corona-Stationen zu unterstützen.

„Lasst Euch impfen, ehe wir alle kollabieren“

Viele der Befragten sind unzufrieden mit den Maßnahmen der Politik und dem Krisenmanagement im eigenen Haus. Wiederholt werden mehr Impfungen und auch ein Lockdown gefordert.

In Krankenhäusern und Praxen prallen Befürworter auf Impfgegner: Das führt zu Spannungen in den Teams und erhöht die Belastung, wie die Umfrage zeigt. Die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte berichten über „Anfeindungen von ungeimpften Patienten trotz drohender Intubation auf der Intensivstation“, oder von „ungeimpften Patienten, die weiter gegen Impfung poltern“.

Doch es gibt auch gute Nachrichten aus den sächsischen Kliniken: Über 98 Prozent der Befragten gibt an, dass ihre Arbeitgeber für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Impfangebote organisiert. Regelmäßige Corona-Tests am Arbeitsplatz bestätigen 95 Prozent der Befragten.

„Mit Unterstützung der Ärztinnen und Ärzte sorgen die sächsischen Gesundheitseinrichtungen für einen hohen Infektionsschutz. Diese Dichte der Schutzmaßnahmen muss auch in der Breite der Bevölkerung etabliert werden“, fordert Torsten Lippold.

„Wir können nicht mehr und fühlen uns im Stich gelassen.“

Rund 500 Freitextantworten mit detaillierten Lagebeschreibungen sind mit der Umfrage eingegangen, von denen hier einige als Zwischenüberschriften stehen.

„Diese Schilderungen zeichnen das Bild eines Gesundheitssystems, das niemand in Deutschland vermuten würde. Die Berichte unserer Mitglieder dürfen nicht ungehört und vor allem nicht folgenlos für die Gesundheitspolitik bleiben!“, so der Landesvorsitzende des Marburger Bundes Sachsen.

Im Marburger Bund Sachsen sind rund 6.000 in sächsischen Krankenhäusern oder Arztpraxen angestellte Ärztinnen und Ärzte sowie Medizinstudierende organisiert. Der Marburger Bund setzt sich als Berufsverband und Gewerkschaft für bessere Arbeitsbedingungen von Ärztinnen und Ärzten, für eine praxisnahe Ausbildung und für ein Gesundheitssystem, in dem medizinische Entscheidungen nicht von wirtschaftlichen Interessen beeinflusst werden, ein.

Die Umfrage des Marburger Bundes Sachsen „Mitglieder-Umfrage Corona Sachsen 2021“ fand vom 29.11. bis zum 05.12.2021 statt.

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