Am 3. August veröffentlichte das Sächsische Kultusministerium die Ergebnisse der Leipziger Corona-Schulstudie, die in gewisser Weise die Wiederaufnahme des Schulregelbetriebs am 31. August unterfüttern soll. Die großen Medien stürzten sich alle gleich drauf. So wie auch auf die schon im Juli veröffentlichte Schulstudie aus Dresden, die nach demselben Muster durchgeführt wurde.

Während große Medien schon reihenweise titelten – so wie hier die „Welt“: „,Akute Ansteckung lag bei null‘ – Studie zeigt geringe Infektionsgefahr in Schulen“, bilden beide Studien in Wirklichkeit nur ab, wie viele Schüler/-innen und Lehrer/-innen in Sachsen tatsächlich schon mit dem Coronavirus in Berührung gekommen waren und entsprechende Antikörper gebildet haben. Die TU Dresden jedenfalls zeigte sich von den Dresdner Ergebnissen herb enttäuscht: „Immunisierungsgrad geringer als erwartet“.

Das heißt: Nur 0,6 Prozent der untersuchten Schüler/-innen haben eine Immunisierung gegen das Coronavirus ausgebildet. Und das in Schulen, in denen zuvor nachweislich Corona-Fälle aufgetreten sind. Diese Fälle haben also ganz und gar nicht zu einer (viel) größeren Immunisierung in den Schulen beigetragen, auch wenn wahrscheinlich mehr Jugendliche und Lehrer/-innen mit dem Virus in Kontakt kamen als im Durchschnitt der sächsischen Bevölkerung.

Und Fakt ist: Sachsen ist eines der Bundesländer mit den niedrigsten Corona-Fallzahlen je Einwohner.

Mit Stand vom 7. August wurden in Sachsen 5.624 Personen positiv auf SARS CoV-2 getestet. Das sind gerade einmal 0,14 Prozent der Bevölkerung. Was natürlich gut ist und davon erzählt, dass einerseits Sachsen von den großen Ausbrüchen der Pandemie im März verschont blieb und die ab Ende März beschlossenen Allgemeinverfügungen wirkten. Was dann auch ab Mai schon möglich machte, die Schulen unter Auflagen wieder zu öffnen (während andere Bundesländer berechtigterweise noch zögerten).

Die große Frage war natürlich: Geht das gut? Werden die Schulen jetzt nicht zu Hotspots und zum Ursprung neuer Ausbreitungen, die man dann nicht mehr nachverfolgen kann?

Das ist nicht passiert, was natürlich einen Beginn des neuen Schuljahres unter Beinahe-Normalbedingungen (mit Hygieneregeln) als sinnvoll erscheinen lässt.

Auch wenn auch dSCHULBETie nun vorgestellten Leipziger Zahlen ebenso etwas höher lagen als im Stadtdurchschnitt (der lag in Leipzig am 7. August bei 0,11 Prozent).

Gestestet haben die die Mediziner des Leipziger Universitätsklinikums in den Monaten Mai und Juni. Sie haben 2.599 Abstriche und 2.344 Blutproben von insgesamt 2.687 Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern genommen. Teilgenommen hatten insgesamt 18 Grundschulen und Gymnasien in Borna, Dresden, Leipzig, Werdau und Zwickau. Die Abstriche sowie das Blut wurden auf Antikörper gegen das Coronavirus untersucht.

Ziel der Studie war es, den Anteil der bereits Erkrankten und wieder Genesenen in den sächsischen Schulen zu bestimmen und über den Zeitraum der schrittweisen Wiedereröffnung der Schulen durch Folgeuntersuchungen und Auswertungen wissenschaftlich beratend zu begleiten. Ziel der Studie war es, ein Bild über die Infektionslage in sächsischen Schulen zu bekommen und die Wiederöffnung der Schulen durch die Untersuchungen beratend zu begleiten.

Corona in Sachsens Schulen: Prof. Wieland Kiess zur Studie am 03.08.20

Auch in Leipzig: Geringe Infektionslage

Die Infektionslage in den untersuchten Schulen war zum Untersuchungszeitpunkt unbedenklich, betont das Kultusministerium. Die Leipziger Studie bestätigt damit die Ergebnisse der Dresdner Studie: Beide Studien zeigen, dass die Infektionslage an Sachsens Schulen gering ist.

Aber geringe Infektionslage bedeutet eben nicht – wie diverse Zeitungen vollmundig meinten – auch sofort geringere Infektionsgefahr.

Denn genau das konnte auch die Leipziger Studie nicht erfassen

Zur Dresdner Studie fassten die Autor/-innen non netdoktor.de die ungeklärten Fragen so zusammen: „Grundsätzlich wird zunehmend angezweifelt, dass Antikörpertests eine durchgemachte Infektion tatsächlich zuverlässig anzeigen. So mehren sich inzwischen Hinweise, dass Sars-CoV-2-Antikörper insbesondere bei leichten und symptomfreien Verläufen schnell wieder aus dem Blut verschwinden – oder sich möglicherweise gar nicht erst bilden.

Bei Kindern sind solche milden Verläufe besonders häufig. Theoretisch könnten sich also deutlich mehr Schüler angesteckt haben, als die durchgeführten Antikörpertests belegen. Was die Studie angesichts der geringen Infiziertenzahlen ebenfalls nicht beantworten helfen kann ist, wie ansteckend Kinder und Jugendliche tatsächlich sind.“

Deswegen muss man auch bei der Leipziger Studie auf die Wortwahl achten: „Es wurden unter 2.599 Probanden keine aktiven Infektionen gefunden. Der Anteil der bereits Erkrankten und wieder Genesenen ist mit 0,6 Prozent sehr niedrig – lediglich 14 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wiesen Antikörper auf. Unter den Lehrerinnen und Lehrern wurden 0,8 Prozent (6 von 796 Teilnehmerinnen und Teilnehmern) positiv getestet, unter den Schülerinnen und Schülern 0,5 Prozent (8 von 1.542 Teilnehmerinnen und Teilnehmern).“

„Zusammenfassend haben wir zum aktuellen Zeitpunkt keinen Hinweis darauf, dass Kinder und Jugendliche besonders häufig den SARS-CoV-2 in sich tragen oder getragen haben. Es scheint sogar eher so, dass sich Kinder im Vergleich zu Erwachsenen seltener infizieren. Um diese Tendenzen zu bestätigen bedarf es weiterer Untersuchungen“, resümierte denn auch der Leiter der Studie, Prof. Wieland Kiess, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Leipzig.

Relevante Unterschiede beim Vergleich der ausgewählten Untersuchungsregionen gibt es nicht. Aber auch diese Studie gibt nur eine Momentaufnahme, Stand Mai/Juni 2020. Folgeuntersuchungen der Corona-Schulstudie in Sachsen sollen direkt nach den Sommerferien im September und erneut nach den Herbstferien im November 2020 stattfinden.

Die psychischen Belastungen für die Schülerinnen und Schüler

Schwerwiegender waren aus Sicht der Mediziner die pychosozialen Auswirkungen der Corona-Einschränkungen auf die Kinder.

Die Leipziger Mediziner untersuchten auch die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen auf die soziale und psychische Situation der Schülerinnen und Schüler. Mehr als dreiviertel aller Schulkinder wünschten sich, dass sie wieder normal zur Schule gehen können. Und das nicht nur, weil sie sich Sorgen um ihre schulischen Leistungen machten, sondern weil der fehlende Kontakt zu den Gleichaltrigen auch eine echte psychische Belastung ist.

Als negative Effekte stellten die Mediziner zum Beispiel fest:

– Allgemeiner Verlust der Lebensqualität in verschiedenen Bereichen
– stärkerer Effekt bei sozial schwächeren Gruppen
– Verlust von Tagesstruktur verbunden mit starkem Anstieg der Nutzung elektronischer Medien
– Starke Zunahme des Anteils der Kinder, die in ihrer Freizeit keinen Kontakt zu Gleichaltrigen haben

„Es ist angesichts der aktuellen Datenlage richtig, die Schulen in Sachsen wieder zu öffnen und unter Kontrolle die Hygienemaßnahmen zu lockern, um sich wieder einem normalen Schulalltag anzunähern“, sagte Klinikdirektor Wieland Kiess am 3. August. Die Gefahr, dass es trotzdem wieder zu Corona-Infektionen kommt, ist gegeben. Eine Generalentwarnung ist auch die Leipziger Studie nicht, nur ein Hinweis darauf, dass die Schutzverordnungen wichtig sind und helfen, eine unkontrollierte Ausbreitung des Virus zu verhindern.

Denn die Studie belegt eben auch, dass über 99 Prozent der Untersuchten augenscheinlich noch nie mit dem Virus in Kontakt kamen, also auch nicht immun sind.

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