Im Grunde war das, was das Universitätsklinikum Leipzig am 15. Juli veröffentlichte, ein Warnschuss an die Politik. Es brauchte gar nicht erst die Corona-Pandemie, um deutlich zu machen, wie sehr auch unser Gesundheitssystem durch die neoliberalen „Reformen“ der letzten 20 Jahre heruntergespart wurde. Nicht nur kommunale Krankenhäuser können ihren Betrieb immer schwerer finanzieren, weil die Behandlungskosten nicht gedeckt sind. Das Universitätsklinikum Leipzig machte 2019 kräftig minus.

Und das, obwohl das Universitätsklinikum Leipzig 2019 so viele Patienten behandelt hat wie noch nie. Mit zusätzlichen 228 Vollkräften wurden entsprechend vor allem die patientennahen Bereiche personell gestärkt. Damit sind jetzt mehr als 7.300 Menschen am Universitätsklinikum Leipzig (UKL) beschäftigt. Doch das sind genau die „systemrelevanten Helfer“, für die wir in der Corona-Zeit nur ein müdes Klatschen übrig hatten, die aber mit den von Controllern ausgedachten Fallpauschalen nicht bezahlt werden.

Trotz Wachstum fiel deshalb das wirtschaftliche Jahresergebnis für das zurückliegende Jahr durch Sondereffekte und gestiegene Personalkosten negativ aus: Das UKL verzeichnet nach Jahren erstmals ein Minus in Höhe von 22 Millionen Euro. Im Jahr 2018 lag das Jahresergebnis mit 3,4 Millionen noch im Plus.

„2019 stellte uns vor eine ganze Reihe von Herausforderungen, in deren Folge ein Jahresergebnis im negativen Bereich unvermeidlich war“, beschreibt Dr. Robert Jacob, seit August 2019 Kaufmännischer Vorstand des UKL, die Lage. „Da tröstet es nur wenig, dass viele andere Krankenhäuser und zahlreiche Universitätsklinika aufgrund der schwierigen Rahmenbedingungen ebenfalls Verluste schreiben.“

Denn dass die Krankenhäuser derart ins Schwimmen geraten sind, ist die systematische Fehlfinanzierung im deutschen Gesundheitswesen, die nicht mehr die Arbeit des medizinischen Personals grundfinanziert, sondern nur die aufs Komma berechneten Behandlungseinheiten. Einige Krankenhäuser greifen sich dann die gut bezahlten Behandlungen heraus und machen damit Profit, während die für die Grundversorgung zuständigen niedergelassenen Ärzte und Krankenhäuser auf den wachsenden Kosten sitzenbleiben und ihnen die eigentliche Fürsorgearbeit schon lange nicht mehr honoriert wird.

Und weil zuerst die Landkrankenhäuser durch dieses System in Schieflage geraten sind, hat ja bekanntlich die Bertelsmann-Stiftung den nächsten wilden Plan vorgelegt, die Zahl der Krankenhäuser in Deutschland zu halbieren. Aus Controller-Sicht: Damit sich der Rest dann vielleicht wieder rechnet.

So funktioniert Umverteilung im Gesundheitssystem.

Das streift das Universitätsklinikum zumindest, wenn es erläutert: Hintergrund der Entwicklung ist zum einen die allen Universitätsklinika gemeinsame Situation, in der Mehrkosten der universitären Medizin durch das DRG-System nicht ausreichend finanziert werden. Hinzu kamen steigende Personalkosten. Diese konnten vom Anstieg des sächsischen Basisfallwerts, mit dem die Leistungen des Universitätsklinikums von den Krankenkassen bewertet werden, nicht ausreichend refinanziert werden.

„Ein Einflussfaktor für die Ergebnisentwicklung war daher die Umsetzung unseres wegweisenden, aber auch finanziell herausfordernden Tarifabschlusses 2019 für die nichtärztlichen Mitarbeiter“, erläutert Dr. Jacob. Ebenfalls relevant waren erforderliche Rückstellungen, insbesondere für Risiken aus möglichen Rechnungskürzungen der Krankenkassen im Rahmen von MDK-Prüfverfahren, die in den letzten Jahren stetig zugenommen haben.

DRG ist das System der Diagnosis Related Groups, also der Fallgruppenpauschalen, mit denen jeder einzelne medizinische Behandlungsschritt auf den Cent genau vergütet wird, egal, ob er ausreicht, der Patient mehr Betreuung braucht oder das Krankenhaus ihn wirklich zu diesem Preis bereitstellen kann. Das System verwandelt Ärzt/-innen und Pfleger/-innen in Fließbandarbeiter, Patienten in Durchlaufprodukte. Und: Es rechnet sich seit seiner Einführung im Jahr 2003 immer weniger, weil die Fallpauschalen weder den gestiegenen Preisen noch den wachsenden Gehältern folgen.

Das bringt jetzt sogar ein leistungsstarkes Klinikum wie das Universitätsklinikum Leipzig an seine Grenzen.

Aber weder mit der aktuellen Bundesregierung noch dem aktuellen Bundesgesundheitsminister ist ein Ende dieser Praxis absehbar. Die Probleme der Krankenhäuser werden sich weiter verschärfen.

Weiter in der Meldung des Universitätsklinikums:

Wachstum bei Leistungen und Personal

Demgegenüber steht eine sehr positive Leistungsentwicklung: 58.300 Fälle wurden im vergangenen Jahr am UKL stationär und teilstationär versorgt. Das sind drei Prozent mehr als im Vorjahr. Der Case-Mix-Index, der die Schwere der behandelten Erkrankungen angibt, lag mit 1,5 im Durchschnitt der Universitätsklinika. Auch in den Ambulanzen des UKL ist die Zahl der Patienten weiterhin hoch.

Das medizinische Leistungsspektrum wurde in der Chirurgie mit der Inbetriebnahme eines zweiten „da Vinci“-Operationsroboters erweitert. Einen wichtigen Meilenstein markierte im Juni 2019 der erste Einsatz der Gentherapie mit Kymriah bei einem Krebspatienten, 14 Therapien folgten seitdem. Damit ist das UKL derzeit das einzige Zentrum in Ostdeutschland, an dem eine Behandlung mit Kymriah erfolgt.

Für personelle Verstärkung sorgten allein in 2019 insgesamt neun Neuberufungen, darunter fünf Neubesetzungen wichtiger Chefarztpositionen: Neu besetzt wurden gemeinsam mit der Medizinischen Fakultät die Leitungen der Kliniken für Psychiatrie, Radiologie und Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie sowie der Institute für Pathologie und Laboratoriumsmedizin. Weitere Wechsel an den Spitzen von Kliniken und Instituten werden in den kommenden Jahren im Zuge der Staffelstabübergabe der Generationen folgen.

Insgesamt schlug sich die Leistungserweiterung auch in der Zahl der am UKL Beschäftigten nieder. 2019 kamen 228 Vollkräfte mehr an Bord, ganz überwiegend in patientennahen Bereichen, zum Beispiel allein zusätzliche 70 Vollkräfte in der Pflege. „Dass uns dies angesichts des Pflegenotstandes gelungen ist, ist ein Beleg für die anhaltend hohe Attraktivität des UKL als Arbeitgeber“, sagt Prof. Christoph Josten, der Medizinische Vorstand des UKL. „Das ehrt uns und verpflichtet dazu, sicherzustellen, dass wir unseren Beschäftigten auch weiterhin beste Bedingungen für ihre hochengagierte Arbeit bieten können.“

Anstieg an Landes- und Drittmitteln an der Medizinischen Fakultät

Die Medizinische Fakultät Leipzig verfügte 2019 über 123,7 Millionen Euro Gesamteinnahmen, die sich auf 73,7 Millionen Landeszuschuss (Vorjahr 68,4 Millionen) und 50,271 Millionen Drittmittel (Vorjahr 48,23 Millionen) verteilten.

„Der erneute Zuwachs an Drittmitteln erfüllt mich besonders mit Stolz, steht er doch für die herausragende wissenschaftliche Forschung unseres Standortes“, resümiert Dekan Prof. Dr. Michael Stumvoll. „Im Vergleich zum Vorjahr verzeichnen wir einen Anstieg an Förderanträgen um 12 Prozent. Allein von den Drittmitteleinnahmen konnten im vergangenen Jahr von 1.621 Beschäftigten der Fakultät 846 Personalstellen finanziert werden.“

Bezogen auf den Generationenwechsel unter den Professoren fasst Dekan Stumvoll zusammen: „Der große personelle Umbruch durch den Generationenwechsel bescherte der Medizinischen Fakultät alle Hände voll zu tun. In Zahlen ausgedrückt waren das 37 Sitzungen zu Berufungsverfahren, davon 16 abgeschlossen, 253 Promotionsabschlüsse und 17 abgeschlossene Habilitationsverfahren.“ In der Ethikkommission wurden 2019 rund 2.500 Forschungsprojekte bearbeitet und davon knapp 600 neue Anträge begutachtet.

Seit dem Wintersemester 2019/20 zählt die Medizinische Fakultät 3.418 Studierende. Sie ist damit die größte Ausbildungsstätte für Studierende der Human- und Zahnmedizin in ganz Sachsen sowie die einzige für Pharmazie. „Mit der Akademisierung der Hebammenausbildung in 2021 werden wir an unserer Fakultät bald noch mehr Studierende begrüßen dürfen“, sagt Dekan Stumvoll. Der Beginn des Bachelor-Studiengangs ist ab Sommersemester 2021 mit aktuell 25 Studienplätzen geplant.

Entwicklung 2020 von Corona-Pandemie geprägt

Die Prognose für das laufende Jahr wird stark von den Auswirkungen der Corona-Pandemie beeinflusst. „Ursprünglich hatten wir auch für 2020 mit steigenden Patientenzahlen gerechnet. Dies ist nach den Entwicklungen der letzten Monate, in denen wir zahlreiche Betten freigehalten haben, jedoch nicht mehr realistisch“, so Prof. Christoph Josten.

„Wir können heute noch nicht verlässlich abschätzen, wie sich die vergangenen Monate der Corona-Pandemie auf die finanzielle Situation des UKL genau auswirken werden oder was uns noch erwartet. Es ist aber davon auszugehen, dass unter den derzeitigen Voraussetzungen 2020 kein ausgeglichenes Ergebnis möglich sein wird“, ergänzt Dr. Robert Jacob.

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